Flecken. Sie wirkte, als wäre sie in einen Fleischwolf geraten. Ihr Mund verzog sich
und ließ einen säuerlichen Ausdruck auf ihrem Gesicht entstehen. Die Aktion letzte
Nacht war ja total erfolgreich gewesen. Nicht einmal den blöden Ernie hatte sie
einfangen können! Stattdessen war sie von einem Lehrer mit Albträumen vermöbelt
worden! Missmutig ging sie ins Bad und machte sich fertig. Als sie wieder zurück ins
Zimmer kam, war auch Marie schon wach. Bestürzt hauchte sie: „Wie siehst du denn
aus?“ „Ich hab schlecht geschlafen.“, antwortete Hedwig knapp. „Albträume.“ Das
stimmte ja auch. Kurz nach dem Frühstück hatte Hedwig endlich eine Minute, um
allein mit den beiden Jungen zu sprechen. Marie war schon zum Griechischraum
vorausgegangen und Hedwig wartete mit den Jungen im Flur darauf, dass der
Unterricht begann. „Was ist letzte Nacht wirklich passiert?“, nahm Leo das Thema
auf, über das sie während des Frühstücks die ganze Zeit geredet hatten. Doch statt zu
antworten, sagte Hedwig einfach: „Ich geb´s auf. So geht das nicht weiter. Wir
müssen uns irgendeine andere Methode suchen, wie wir die Terminkalender
einfangen können. So macht das alles keinen Sinn.“ Jonas machte große Augen. „Bist
du von ihnen verprügelt worden?“, fragte er überrascht und schaute Hedwig ernst an.
Diese grunzte verärgert. „Natürlich nicht. Aber ich kann einfach nicht Nacht für
Nacht diesen Dingern hinterherlaufen. Erstens sind die viel zu schnell, um sie mit
dem Kescher einzufangen und zweitens ist das alles zu auffällig.“ Leo sah sie
prüfend an. Dann nickte er. „Okay. Wir müssen uns also etwas Anderes ausdenken.“
In diesem Moment quietschte die Eingangstür des Nebenhauses, in dem sich die
Unterrichtsräume befanden. Herein kam Professor Xynulaikaus. Als sein Blick auf
Hedwig fiel, dachte sie, er würde gleich anfangen zu weinen. Es tat ihm wirklich leid.
Das sah sie ihm an. „Wie geht es dir?“, fragte er, als er vor ihr und ihren Freunden
stehen blieb. Hedwig lächelte schief. „Ganz gut.“, räumte sie dann ein, „Machen Sie
sich mal keine Sorgen, ich bin Schlimmeres gewohnt. Wissen Sie nicht, wie meine
Freunde und ich monatelang durch die Wildnis gelatscht sind, um dieses hässliche
Amulett kaputt zuhauen? Das war auch kein Spaziergang.“ Professor Xynulaikaus
lächelte gequält. Dann sagte er: „Kommst du dann zum Unterricht, wenn ihr euch
zuende unterhalten habt, Jonas?“ Erst guckte der Junge ihn verdutzt an, dann
antwortete er grinsend: „Na klar!“ Er wartete noch eine Weile, bis der Lehrer um die
nächste Ecke verschwunden war, dann kicherte er: „Ist ja voll cool. Seit wann dürfen
wir bei dem machen, was wir wollen?“ Hedwig antwortete nicht, sondern
verabschiedete sich von ihrem Freund. Leo und sie machten sich auf den Weg zur
Hebräischstunde.
Nero fluchte. Was wollte dieser Hornochse von Jäger eigentlich von ihm? Er war hier
der Leiter der Operation, nicht so ein dahergelaufener Einheimischer. Aber der Mann
hörte nicht auf zu reden. Mit jedem Atemzug, den er tat, hatte Nero das Gefühl, die
Luft um ihn herum würde dicker werden. In seinem Kopf kreiste nur ein Wort.
Langweiler. Er stellte sich breitbeinig vor den kleinen, untersetzten Mann und
durchbohrte ihn mit verächtlichen Blicken. „Das Wetter ist zu schlecht….“ Bla, bla,
bla. Nero verdrehte die Augen. Als ob ihn das Bisschen Nebel davon abhalten
könnte, seine Mission auszuführen. Der fette Jäger vor ihm war nicht der Einzige, der
ihn begleiten würde. Er hatte sich ein Team aus erfahrenen Leuten zusammengesucht,
ausgerüstet mit den besten Waffen der Welt. Hoffte er zumindest. Bis jetzt hatte er
alles getan, um nicht so zu enden wie Tilo. Und nun? Jetzt hielten ihn seine
notorischen Vorsichtsmaßnahmen doch tatsächlich davon ab, sein Vorhaben
durchzuführen. Jetzt stimmte auch noch jemand anderes dem kleinen Mann bei. Es
war eine Frau. Keine besonders weibliche, aber immerhin. Sie trug eine
Kurzhaarfrisur und war zwei Köpfe größer als der dicke Mann neben ihr. Eine
Bogenschützin. Während der kleine Mann noch weiter auf Nero einredete und
behauptete, es wäre zu gefährlich, bei diesem Nebel in den Wald zu gehen, machte
sie Neros festen Entschluss, es doch zu tun, mit einem einzigen Satz zunichte. „Ich
dachte, du wolltest nicht so enden wie Tilo?“ Ihr Blick war geradeheraus und ihre
Augen glitzerten hinterlistig. Nero malmte in kreisenden Bewegungen seine
Backenzähne aufeinander. Er hatte mal gehört, dass Kühe das so machten. Um ihr
Futter zu zerkleinern. „Na gut.“ Er gab nach, aber nicht bereitwillig. Stattdessen
würde er dafür sorgen, dass diese vorlaute Frau bei ihrem nächsten Versuch nicht mit
dabei war. Er wollte in diesen Wald gehen. Um jeden Preis.
„Och nö.“, Marie stöhnte, als sie einen Blick auf ihren Stundenplan warf, „Ich hasse
die Stationsarbeit in IPT.“ Hedwig pflichtete ihr stumm bei. Dann meinte sie:
„Immerhin ist danach Schulschluss.“ Leo grinste nur, als er registrierte, dass das
Maries Laune auch nicht aufbesserte. „So was kenne ich ja gar nicht von dir.“, foppte
er, „Seit wann hasst du irgendwelche Fächer?“ „Schon immer.“, gab Marie patzig
zurück, „Ich habe es vorher nur nie gesagt. Aber IPT ist das bescheuertste Fach
überhaupt. Und Professor Grünschnabel kann ich langsam auch nicht mehr sehen.“
„Wieso?“, fragte Jonas, „Die ist doch immer so nett zu dir.“ „Ja.“, stöhnte Marie,
„Jede Stunde erzählt sie, wie toll ich bin und wie gut ich alles kann. Dabei ist das
alles gar nicht so. Ich mache auch manchmal Fehler.“ „Echt?“ Die vier Freunde
drehten sich um. Es war Naomis Stimme. Das Mädchen kam auf sie zu und lehnte
sich neben ihnen an die Wand. „Dann habe ich ja doch noch eine Chance, die
Klassenbeste zu werden.“, sagte sie ruhig und kratzte sich am Arm. Jonas schnappte
nach Luft. „Marie überholst du nie.“, sagte er bestimmt und mit Bewunderung in der
Stimme, „Die kann das alles im Schlaf.“ „Ach ja?“, antwortete Naomi erstaunt und
kniff die Augen zusammen. „Aber in Sport bist du nicht so gut, was?“ Marie wand
sich unter ihrem Blick. Sie wusste nicht, was sie erwidern sollte, immerhin war ihre
Unsportlichkeit bis jetzt noch für niemanden ein Problem gewesen. Außerdem
überraschte sie Naomis so offensichtlicher Angriff. „Was willst du denn jetzt?“,
konterte Hedwig, „Denkst du, du kriegst einen besseren Durchschnitt, weil du besser
in Sport bist?“ „Vielleicht.“, piepste Naomi nur, stieß sich flink von der Wand ab und
verschwand ohne einen Blick zurückzuwerfen im Klassenraum. „Ich habe doch
schon immer gesagt, dass die komisch ist!“, platzte es aus Marie heraus. Leo
schüttelte nachdenklich den Kopf. „Das ist wirklich nicht böse gemeint, Marie, aber
manchmal denke ich, du bist auf dem besten Weg, genauso zu werden wie sie.“
Marie blieb die Luft im Hals stecken. „Was?“, krächzte sie. Dann spürte sie Trauer
und Enttäuschung wie bittere Galle in ihrer Magengegend aufsteigen. „Schön zu
erfahren, was die eigenen Freunde von einem denken.“, sagte sie nur. Dann folgte sie
Naomi, ohne auf die Anderen zu warten, in den Raum hinein. „Hallo?“, fragte Jonas
wütend, „Geht´s noch?“ Vorwurfsvoll sah er Leo an. Der hob beschwichtigend die
Hände. „So habe ich das doch gar nicht gemeint.“, stammelte er, „Ich meinte nur,
dass Naomi so ist wie Marie. Nur asozialer.“ „Super.“, Hedwig schüttelte genervt den
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