gedrückt. Mittlerweile war er wieder so klar, dass er sich wehrte. Er wollte nicht, dass
die das mit ihm machten. Sie taten ihm weh. Nein, das wollte er nicht. Also schlug er
um sich und warf sich gegen die Männer, die ihn von allen Seiten umzingelten. als
Nächstes spürte er eine starke Erschütterung an seiner linken Gesichtshälfte. Seine
Lippe platzte auf und warmes Blut quoll daraus hervor. Erst danach spürte er den
Schmerz. Er machte ihn fast wahnsinnig. Doch anscheinend hatte er noch nicht
genug, denn jetzt wurde er auch noch brutal zu Boden geschmissen. Während Eljosch
wimmerte, traten und schlugen die Männer auf ihn ein, bis er sich nicht mehr rührte.
Dann hoben sie ihn auf und pressten ihn abermals gegen die Wand. Als sie Eljoschs
zerschundenes Gesicht dagegen drückten, bröckelte ein wenig Putz heraus. Dann
wurde er abgetastet. Er ließ es willenlos über sich ergehen. Doch sie fanden nichts.
Als letztes zogen sie ihm die Kapuze vom Kopf. „Nichts.“, grimmig durchbohrte
einer der Männer Eljosch mit seinen Blicken. Der Dicke, der sich bis jetzt kein
einziges Mal die Finger schmutzig gemacht hatte, antwortete in einer Tonlage, die
man normalerweise benutzt, wenn man mit Dreijährigen redet. „Vielleicht möchte
uns der Kleine etwas über sich erzählen.“ Einer der Männer schüttelte langsam den
Kopf und erklärte: „Dazu ist der immer noch zu voll.“ Doch ein anderer meinte: „Wir
können es versuchen.“ Ab da war Eljosch irgendwie weggetreten. Er bekam nichts
mehr von dem mit, was sich um ihn herum abspielte. Das Nächste, woran er sich
erinnern konnte, war der bittere Geschmack von Kaffee auf seinen aufgeplatzten
Lippen. Der Schmerz wurde immer greifbarer, immer realer, immer heftiger. Eljosch
schnappte nach Luft. Keine Frage, er kam wieder zur Besinnung. Vor ihm das
vollbärtige Gesicht eines Mannes. „Wer bist du?“, fragte er grob und als Eljosch nicht
gleich antwortete, wiederholte er: „Wenn du mir nicht gleich sagst, wer du bist, muss
ich dich wohl noch mal vertrimmen.“ Eljosch riss sich zusammen. Jetzt wurde nicht
hoch gepokert. Er musste alles tun, um sich selbst noch mehr Schmerzen zu ersparen.
Er öffnete den Mund und heraus drang ein schwerfälliges Stöhnen. Dann presste er
mühsam hervor: „Ich… ich bin Eljosch Kanidis.“ „Nie gehört.“, drohend hob der
Mann vor ihm die Faust. Deshalb beeilte sich Eljosch zu sagen: „Ich bin der
Präsident von Iria.“ Ja, das war er. Für ein paar Stunden hatte er es vergessen. Der
Mann vor ihm hielt mitten in seiner Bewegung inne. Dann verzog sich sein Gesicht
und Eljosch schrak bei den ersten Tönen seines rauen Lachens furchtbar zusammen.
„Der Präsident von Iria! Dass ich nicht lache!“, japste er. „Doch, es stimmt.“, sagte
Eljosch flehend. Schlagartig veränderte sich der Gesichtsausdruck des Mannes.
Resigniert stellte Eljosch fest, dass er ihn nicht überzeugt hatte. „Du willst noch mehr
Prügel, richtig?“, fragte der Mann wütend, trat einen Schritt zurück und holte zum
Schlag aus. „Halt!“, die bestimmte Stimme gehörte dem kleinen, dicken Mann. Ohne
ein weiteres Wort zu sagen, drängte er sich an dem Muskelprotzen vorbei und stellte
sich direkt vor Eljosch hin, sodass die kleinen, grauen Augen direkt vor den großen,
braunen des Präsidenten waren. „Du bist also der Präsident?“, fragte der Mann
prüfend. Eljosch nickte. Seine Kehle war schon wieder trocken. Aber dieses Mal
würde er garantiert kein Bier trinken. Was hatte er nur getan? Leise und vorsichtig
wisperte er: „Ihr habt meine Karte, darf ich jetzt gehen?“ Die Antwort des Dicken
überraschte ihn. Seine Stimme war laut und großzügig. „Natürlich darfst du gehen!“,
eröffnete er lächelnd und leise fügte er hinzu: „Wenn du für uns einen klitzekleinen
Gefallen tust.“ Eljoschs Augen weiteten sich.
Wieder bewegte er sich durch die nächtlichen Straßen Veridas. Dieses Mal keuchend
und mit schleppendem Gang, sowie mit flatterndem Herzen. Als er nach einer halben
Ewigkeit endlich zu Hause angekommen war, erlosch gerade das Licht der
Straßenlaternen. Es war Morgen. Noch nie war er erpresst worden. Doch jetzt spürte
er umso schmerzhafter, dass dies der erste Tag sein würde, von dem an er nicht mehr
frei war.
Die frische Luft tat ihnen gut. Als sie aus dem Süßigkeitenladen hinaus auf die Straße
traten, strich ihnen ein leichter Wind um die Ohren. Jonas hatte die Arme von sich
gestreckt und versuchte, den Berg aus Süßigkeiten und Backwaren vor sich her zu
balancieren, damit bloß nichts davon mit einem lauten Klatschen auf dem in der
Sonne glänzenden Kopfsteinpflaster landen würde. Da diese Aktivität seine ganze
Aufmerksamkeit forderte, merkte er erst nach geraumer Zeit, dass seine drei Freunde
missmutig und in Gedanken versunken vor sich hinstarrten. Das war kein gutes
Zeichen. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch und etwas unsicher fragte Jonas:
„Was habt ihr denn?“ „Ach, Eljosch Kanidis wurde von so einer blauhaarigen
Bohnenstange fertig gemacht, die meinte, sie müsse alle Nordirianer abschlachten,
um sich selbst besser zu fühlen. Wir haben das Gespräch gerade im Fernsehen
gesehen.“ „Blauhaarige Bohnenstange?“, Jonas war verwirrt. Dann lachte er auf.
„Ach, ich weiß, wen du meinst. Diesen Borost, richtig? Und der soll unseren
Präsidenten heruntergemacht haben? Ich dachte immer, die Leute würden nicht auf
einen hören, der allgemein schon so viel Mist von sich gibt.“ „Falsch gedacht.“,
Hedwig knirschte mit den Zähnen. Danach seufzte sie niedergeschlagen. „Ich frage
mich, wie das hier alles weitergehen soll. Noch vor ein paar Wochen war alles in
bester Ordnung und jetzt...“ „Vielleicht liegt das daran, dass wir den „Schlüssel der
Macht“ zerstört haben?“, meinte Leo vorsichtig. Die Idee war ihm gerade erst
gekommen. Eigentlich fand er sie absurd, aber das war die gesamte Situation sowieso
schon. Noch nie hatte er erlebt, dass die Streitereien innerhalb eines Landes über so
einen kurzen Zeitraum eskalierten. Und eigentlich hatte er auch gehofft, so etwas nie
erleben zu müssen. „Das ist doch Quatsch!“, rief Hedwig und unterbrach so seine
Gedankengänge, „Das alles hat doch nichts mit uns zu tun. Klar, es gibt ein paar
wenige Leute, die sauer sind, dass die Mitglieder des Ordens verhaftet wurden. Aber
auf der anderen Seite gibt es vielmehr Menschen, die bedauern, dass es nicht genug
Beweise gibt, um diese Verbrecher zu verurteilen!“ Marie schüttelte langsam den
Kopf. „Ich glaube, das meint Leo nicht.“, sagte sie gedehnt, „Emanuel hat mir so
etwas Ähnliches auch gesagt, als ich mich von ihm verabschiedet habe. Er meinte,
dass uns eine schlimme Zeit bevorstehe, weil die Herzen der Irianer jetzt wie ein
offenes Buch dalägen, in dem jeder unverblümt lesen könne, was sie wirklich
denken. Aber er hat mir ausdrücklich klargemacht, dass wir uns dafür nicht die
Schuld geben sollen.“ Die Freunde schwiegen eine Weile lang. Dann bemerkte
Hedwig skeptisch: „Aber das hast du geträumt.“ „Ich habe nicht geträumt!“,
erwiderte Marie hitzig, „Na gut, das eine Mal schon. Aber das war danach. Ich weiß,
wie sich Träume anfühlen und worin sie sich von der Wirklichkeit unterscheiden.
Und das war definitiv kein Traum. Außerdem: Wer hat denn miterlebt, wie mein
Traum beim letzten Mal Realität geworden ist?“ Herausfordernd schaute sie vom
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