Stammgäste hin. Die feinen Pinkel schätzen kein Kerzenlicht.“ Eljosch schrak
zusammen. Feiner Pinkel? Damit konnte doch nur er gemeint sein. Waren die
aufgerissene Jeans und der graue Kapuzenpulli, in dem er so tief wie möglich
versunken war, denn nicht unauffällig genug? War seine Tarnung aufgeflogen?
Würde gleich jemand vor ihm stehen, ihn mit einer Knarre bedrohen und an einen
Ort bringen, wo ihn niemand finden würde? Die Summe an Lösegeld wäre gewaltig.
Aber nein, dachte Eljosch mit hämischem Grinsen, die Zeiten haben sich geändert.
Heutzutage will dich niemand entführen. Ab jetzt ist es viel lukrativer, dich
bloßzustellen. Präsident besucht Rattenkneipe. Ha, ha. Hoffentlich würde ihn
niemand überfallen. Eljosch war so wenig bei der Sache, dass er die Frage des
Mannes, was er trinken wolle, einfach überhörte. Ihm fiel nur auf, wie der müffelnde
Kloß vor ihm stand, in einer Haltung, als würde er etwas erwarten. Verwirrt wandte
Eljosch sich ab. „Ob du was trinken willst, Mann!“, die Stimme des Mannes war laut
und hart. Er hatte keine Lust, noch zehntausend mal zu fragen. „Ein Bier.“, nuschelte
Eljosch, woraufhin sein Gegenüber sich schimpfend an die Arbeit machte. „Mann,
Mann, Mann, wenn du von hier weg gehst, sollst du voll sein, nich schon vorher. Was
ist das denn für´ne Gesellschaft heutzutage!“ Das Bier war warm. Er ließ es sich den
Rachen hinunterfließen, gurgelte und merkte, wie der penetrante Geschmack langsam
immer stärker wurde. Ihm war, als würde er Desinfektionsmittel schlucken. Gut. Er
musste sich reinigen. Reinigen von der eigenen Dummheit, seiner Gutgläubigkeit. In
diesem Moment fiel ihm ein, dass er den Gedanken gehabt hatte, Borost mundtot zu
machen. Direkt nach dem Interview schon. Aber er hatte nichts unternommen. Nichts
unternehmen wollen. Jetzt gerade fiel ihm eine noch viel einfachere Methode ein, ihn
zum Schweigen zu bringen. Blöd nur, dass der Feigling mit den gefrorenen Haaren
längst geredet hatte. Aber als kleine Racheaktion… Nimmst du mir mein Leben,
nimm ich dir deins. Ein Satz aus dem „fünften Evangelium“. Ein schreckliches Buch.
Eljosch hatte es gelesen. Wenn das wirklich von einem der Jünger geschrieben
worden war, war es um die Leute, die das glaubten, schlecht bestellt. Vielleicht war
es Zeit, sich nach einer neuen Religion umzusehen. Aber nicht nach einem anderen
Gott. Eljosch hatte sein Bier bereits geleert. Frustriert starrte er in den schmuddeligen
Krug. Immer noch dachte er über seine Probleme nach. Er hatte es satt. Er wollte sie
ertränken. Ihnen den letzten Atem rauben. Sie betäuben, sie nicht mehr zu Wort
kommen lassen. Der Barmann fing seinen Blick auf. Ein wissendes Lächeln zog sich
über sein hässliches, gerötetes Gesicht. Er wusste, was solche Gäste wollten. Gut für
das Geschäft. Doppelt gut. Äußerlich lächelte er, aber innerlich strahlte der kleine
Mann. Jetzt bloß aufpassen, dass der Gast nicht aus heiterem Himmel die Kneipe
wechselte. „Noch was?“, fragte er und grinste dreckig. „Bitte.“ Eljoschs Stimme war
verändert. Sein Hals kratzte. Er war trocken, obwohl gerade erst ein Schwall Bier
hindurchgeflossen war. Das Wort klang hohl. Er fragte sich, wann er das letzte Mal
so etwas getan hatte wie heute. Eigentlich nie. Und wenn doch vor langer, langer
Zeit, während seines Studiums. Aber er erinnerte sich nicht. Nachdem er den zweiten
Krug geleert hatte, merkte er beim dritten nicht mehr, wie scheußlich das warme
Getränk schmeckte. Nach dem vierten breitete sich eine wohlige Wärme in seiner
Bauchgegend aus. Und nach dem fünften hatte er so viel getrunken, dass er sich an
nichts Schlechtes mehr erinnern konnte. Er stand an der Theke und kicherte leise vor
sich hin, während er ein weiteres Bier bestellte. Ihm war, als würden die Portionen
von Mal zu Mal größer. Und wenn er sich nicht täuschte, war das eine Bier gar nicht
braun gewesen, sondern durchsichtig. Wie komisch. Er gluckste und betrachtete
glücklich sein wieder aufgefülltes Glas. Noch während er es leerte, fing seine
Umgebung langsam an, sich in Luft aufzulösen. Stück für Stück. Der Fußboden unter
ihm wackelte immer stärker. Eljosch schwankte. Nachdem der Wirt noch eine weitere
Bestellung abgewartet hatte, zog er seinem besoffenem Gast in geflissentlicher Eile
einen Stuhl heran. Eljosch gab sich alle Mühe, in die Hocke zu gehen, um das Polster
zu treffen, doch irgendwie ging es immer daneben. Hätte der nette Mann, der ihn mit
allem was das Herz begehrte versorgte, ihn nicht aufgefangen, wäre Eljosch aus
Versehen auf den Boden daneben geplumpst. So langsam wurde der Nebel um ihn
herum stärker. Und er selbst immer abwesender. Bis er zu dem Punkt kam, an dem er
sich an nichts mehr erinnern konnte. Immerhin atmete er noch. Im Laufe der Nacht
waren noch ein paar weitere Leute mit in die Bar gekommen. Allerdings so spät, dass
Eljosch ihre Gesichter schon nicht mehr hatte erkennen können, wenn er sie ansah.
Jetzt kamen ein paar der Männer zu ihm. Auch der Barkeeper trat hinzu, stellte sich
vor Eljosch hin und sagte irgendetwas. Dieser schaute ihn nur mit offenem Mund an
und starrte danach vorwurfsvoll in sein leeres Bierglas. Ihm wurde nachgefüllt. Aber
noch bevor er schlucken konnte, merkte er, dass mit dieser Flüssigkeit irgendetwas
nicht stimmte. Egal. Doch das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass
sich, je länger er wartete, der Nebel um ihn herum langsam auflöste, bis er mit
Sicherheit wieder seinen eigenen Namen wusste und auch, dass er nach Hause wollte.
Alles andere war ihm nach wie vor ziemlich unklar. Als er zur Tür ging, strauchelte
er. Ob er überhaupt in der Lage war, den Weg zu seinem Haus, das am anderen Ende
von Verida lag, zu finden, wusste niemand. Doch bevor Eljosch die Tür aufreißen
konnte, rief ihn jemand. „Nicht so schnell, Bürschchen!“, die Stimme gehörte dem
Mann von der Bar. „Du musst erst noch bezahlen.“ Eljosch schaute verwirrt drein.
Laut seiner Erinnerung hatte er für jedes Getränk genug hingeblättert. Aber er ahnte,
dass sein Hirn in so einer Lage alles andere als vertrauenswürdig war. Also kramte er
so lange in seinen Taschen, bis sie ausgebeult waren. Er konnte nichts finden. All sein
Bargeld war futsch. Ausgegeben. Das Einzige, was er fand, war eine Geldkarte. Auf
dem dazugehörigen Konto lag ein für ihn unbedeutender Betrag. Zum Glück. Denn
jetzt, da er nichts anderes fand, streckte er dem Mann vor ihm mit einem dämlichen
Hicksen die Karte hin, woraufhin dessen blutunterlaufene Augen so groß wurden wie
Fußbälle. Er riss Eljosch das Plastikteil mit einer schnellen Bewegung aus der Hand
und setzte sich an einen alten Computer. Als er sah, wie viel Geld sich auf dem Konto
befand, schrak er zusammen und seine Stirn legte sich in Furchen. Wohingegen die
Männer, die um ihn herum standen, in grölendes Jubelgeschrei ausbrachen. „Tja,
kaum zu glauben, dass man das kriegen kann, ohne jemanden halb tot zu schlagen!“,
freute sich einer und klopfte dem Barmann freundschaftlich auf die Schulter. Doch
der zuckte zusammen und schlug die Hand seines Kumpanen mit einer angeekelten
Geste von sich. „Bullshit.“, murmelte er, „Unser Krankenhausfall da muss jemand
Besonderes sein. Sonst würde der nicht so viel Geld haben.“ Und ehe die Bedeutung
der soeben gesprochenen Worte schwerfällig durch Eljoschs Suff hindurch dringen
konnten, befahl der Dicke: „Durchsucht ihn!“ Grob wurde Eljosch gegen eine Wand
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