1 ...7 8 9 11 12 13 ...35 „Was für ein Pech aber auch! Dann kannst du dir gar keine Autogramme mehr von
ihnen holen.“ Maries Gesichtsausdruck veränderte sich. Jetzt war sie stinkwütend.
„Das ist nicht lustig.“, sagte sie und fixierte Leo dabei mit einem so düsteren Blick,
dass er für zehn Minuten die Klappe hielt. Irgendwann bekamen sie Hunger. Sie
kauften sich zwei überteuerte Brötchen und spazierten dann zurück zum Gate, um die
neue voraussichtliche Abfahrtszeit zu erfahren, bis zu der sie noch eine
Dreiviertelstunde warten mussten. Also beschlossen sie, sich in dem nah gelegenem
Shop umzusehen. Marie war gerade vor einem Regal mit allerlei billigem Schmuck
stehen geblieben, den sie nur mäßig interessiert betrachtete, als sie plötzlich etwas
Feuchtes im Nacken spürte. Dazu ein Pumpgeräusch und Leos kindisches Lachen.
Erst dann roch sie es. Oder besser gesagt: Sie konnte den Gestank nicht mehr
ignorieren. „Ihh!“, rief sie und fügte dann mit zugehaltener Nase hinzu: „Ist das
Männerparfüm?“ Leo grinste schadenfroh. „Nein.“, eröffneter er dann, „Aber es ist
das weiblichste Frauenparfüm, das ich jemals gerochen habe.“ „Das stinkt wie
Walkotze!“, beschwerte sich Marie und machte eine Geste, als müsse sie sich
übergeben. Da hörte sie, wie sich ihnen Schritte näherten. Gefolgt von einem großen
Mann mit Glatze. Er schien aus einem unerfindlichem Grund wütend zu sein. „Hey,
was macht ihr da?“, rief er und riss Leo unsanft die Parfümflasche aus der Hand.
„Bist du wahnsinnig, das ist doch keine Probe! Das neue Hip-Parfüm kostet 80€.
Hast du so viel Geld mit dabei?“ Als Leo ungläubig den Kopf schüttelte, fing der
Mann einfach an, ihn vor sich her zu stoßen. „Na dann hau ab!“, schimpfte er, „Du
hast Hausverbot! Wenn du innerhalb einer Minute nicht verschwunden bist, musst du
mir das Parfüm ersetzen!“
Ein paar Sekunden später stolperten Leo und Marie etwas verwirrt aus dem Laden
heraus, gefolgt von einem Kassierer mit hochrotem Kopf. Als er endlich laut
schimpfend wieder verschwunden war, konnte Leo nicht mehr an sich halten. „80€
für Walkotze!“, prustete er, „Wer kauft so etwas denn bitte?“ „Scheinbar genug
Leute.“, antwortete Marie trocken. Schnell warf sie einen Blick auf die Uhr. „Noch
zehn Minuten. Endlich! Wir kommen unserem Ziel immer näher.“ Dann fügte sie
düster hinzu: „Das heißt: wenn die mich überhaupt in das Flugzeug einsteigen lassen.
So wie ich stinke, würde ich mich mir nicht mal auf hundert Metern Entfernung
nähern!“
Marie durfte einsteigen. Und zu ihrer Überraschung beschwerte sich wirklich
niemand über den seltsamen Geruch. Mit dem ersten Fuß, den sie in das Flugzeug
setzte, atmete sie auf. Die an den Wänden mit Bibelversen verzierten Abteile ließen
sogleich Erinnerungen ihn ihr aufkommen. Erinnerungen an ein zweites Zuhause. Sie
konnte es gar nicht erwarten, endlich dort anzukommen. Den Flug über sprach sie
mit Leo kein Wort. Die meiste Zeit über hatte dieser die Augen sowieso geschlossen,
doch sie traute ihm nicht. Wahrscheinlich tat er nur so, als würde er schlafen. Es wäre
nicht das erste Mal. Ihre Vermutung wurde bestätigt, als sie fast schon angekommen
waren. Da öffnete Leo nämlich von einem Moment auf den anderen die Augen, setzte
sich kerzengerade auf und schaute aus dem Fenster. Selbst er schien Vorfreude auf
die kommende Zeit zu verspüren, auch wenn er das niemals zugegeben hätte. Ein
paar Minuten später war die Maschine schon auf dem Platz nahe des Bahnhofs in
Miniklu, einer Kleinstadt nahe Firaday, angekommen. Sie konnten Jonas und Hedwig
schon von Weitem erkennen. Die beiden standen auf der anderen Seite der Straße und
winkten ihren beiden Freunden zu. Sobald sie bei ihnen angekommen waren, ging
das große Begrüßen los. Glücklicherweise hatte Hedwig Erwin, ihren Labrador-
Schäferhundmischling nicht mitgenommen, sonst hätte er die mit Koffern und
Taschen bepackten Kinder so lange angesprungen, bis ihnen ihr gesamtes Gepäck aus
der Hand gefallen wäre. „Hi!“, Hedwig strahlte und umarmte zuerst Marie und dann
Leo, wobei sie erstaunt von seinem Wachstumsschub Notiz nahm. Dann war Jonas an
der Reihe. Auch er umarmte seine beiden Freunde. Doch Marie merkte sofort, dass
etwas nicht stimmte. In seine Stirn hatte sich eine kleine Falte gegraben, die vorher
noch nicht dagewesen war. Davon abgesehen, waren seine sonst strohblonden Haare
ein kleines bisschen länger und dunkler geworden. Und er schien seine Aufgabe als
Plappermaul nicht mehr ganz so ernst zu nehmen, denn an seiner Stelle musste
Hedwig sie über die neuen Ereignisse in der Schule informieren. „Ihr erratet nie, was
Professor Ferono passiert ist!“, lachte sie und strich sich eine dunkelrote Haarsträhne
aus der Stirn. „Schieß los!“, forderte Leo sie gespannt auf. „Sie hat sich statt einem
Satz Englischbücher fliegende Terminkalender liefern lassen!“, Hedwig prustete vor
Lachen. „Fliegende Terminkalender?“, Marie zog die Stirn in Falten, „Sind das
Roboter?“ „Ach, Quatsch.“, Jonas grinste, „Das sind echte Terminkalender mit
Flügeln. Sie können sogar sprechen.“ „Ist klar.“, Leo schnaubte, „Das glaube ich
nicht, bevor ich es sehe.“ „Du wirst es sehen.“, versicherte Jonas ihm mit einem
Lächeln auf den Lippen. Dann war er plötzlich wieder ernst. „Allerdings hat die
Sache auch einen Haken. Sie kann die Dinger nicht einfangen und wieder
zurückschicken. Deshalb wird jetzt jeder Schüler dazu verpflichtet, so ein Teil zu
nutzen.“ „Na und?“, fragte Hedwig mit großen Augen, „Was ist daran so schlimm?“
„Ich hab halt keine Lust, mich um so ein Teil kümmern zu müssen.“, meinte Jonas,
eine Spur zu mürrisch für seine Verhältnisse, „Was ist, wenn man das füttern und
putzen muss?“
Die Luft wurde mit jeder Sekunde dicker. Der Schweiß auf seiner Stirn immer mehr.
Und der Drang, nervös mit seinen Finger auf den Tisch zu trommeln immer
unerträglicher. Dies war einer der schrecklichsten Augenblicke in Eljoschs Leben.
Hier saß er also, mit zusammengebissenen Zähnen, ihm gegenüber Borost, umringt
von einer Arme, deren Waffen weder Schwerter, Gewehre noch Giftgas waren,
sondern einfach nur Kameras, Mikrofone und Diktiergeräte. Borost schien ganz ruhig
zu sein. Mit einem charmanten Lächeln eröffnete er das Gespräch. Eljosch wusste,
dass dieses Lächeln nicht ihm gegolten hatte, sondern den Millionen von Frauen, die
dies alles hier früher oder später mitverfolgen würden. „Ich, Christian Borost,
Vertreter der Bürgerinitiative „Heimat Südland“, besuche heute den Präsidenten von
Iria, um ihm einige wichtige Fragen zu stellen und mich mit ihm zu unterhalten.“
Statt noch einen Moment zu warten und Eljosch wenigstens das Recht zu lassen,
seinerseits einen Gruß zu äußern, legte er los. „Herr Präsident, wie stehen Sie
persönlich zum irianischen Bürgerkrieg? Fühlen Sie sich nicht verbunden mit den
Südirianern, die damals ihr Leben lassen mussten? Sie selbst kommen doch auch aus
dem Süden, richtig?“ Am liebsten wäre Eljosch aufgesprungen und hätte dem Typen
vor ihm das Lächeln mit einer einzigen Bewegung aus dem Gesicht gewischt. Borost
wusste genau, wer er war und woher er kam. Jeder wusste das. Und sein Aussehen
machte es den Leuten auch nicht schwer, nach seinem Ursprung zu fragen. Eljosch
hatte dunkle Haut und schwarze, zu einem Zopf zusammengebundene Rastalocken.
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