„Sie können heute mal früher gehen“ informierte er seine Büroleiterin noch „ich hab‘ noch eine wichtige Vorlage für den Ministerpräsidenten fertigzustellen, da möchte ich vollkommen ungestört sein. Also, einen schönen Feierabend dann.“
Frau Wenzel nickte nur überrascht, dann schaltete sie ihren Computer aus und ging bald. Frieder Bergmann presste sein Ohr an die Tür als sie nach draußen ging und schloss diese dann sofort ab, als die Schritte seiner Büroleiterin verklungen waren.
Jetzt konnte er schalten und walten wie er wollte und insgeheim setzte er darauf, dass sich in den Schränken des Sekretariats noch irgendetwas Brauchbares finden lassen würde. Zunächst legte er sein Jackett und das Hemd ab, denn er ging davon aus, dass er wieder ins Schwitzen kommen würde. Zuallererst würde er die unangenehm riechende Brühe beseitigen müssen und dazu brauchte er Wischwerkzeuge und einen Eimer. Beides fand er in einem der Schränke und machte sich an die Beseitigung der entstandenen Schweinerei. Der Eimer füllte sich immer mehr und Bergmann musste ein Würgen unterdrücken, denn seine Stoffwechselprodukte verbreiteten einen nahezu unerträglichen Geruch. Trotzdem kam er ganz gut voran und versuchte durch den Mund zu atmen, um sich nicht diesem ekligen Gestank auszusetzen. Als der Eimer ziemlich voll war fiel Frieder Bergmann plötzlich ein, dass er dessen Inhalt ja nicht in das immer noch verstopfte Toilettenbecken entsorgen konnte. Verdammt, in seiner Aufregung hatte er daran überhaupt nicht gedacht. Aber es blieb ihm ja noch das Waschbecken. Dem stinkenden Eimer weit von sich weg haltend begab er sich dorthin und kippte einen Teil der Brühe hinein um gleich darauf entsetzt festzustellen, dass nun auch noch dessen Abfluss aufgrund der stückigen Stoffwechselprodukte im Nu verstopfte. Er war nahe dran loszuheulen und überdachte seine verbleibenden Möglichkeiten. Sein Büro zu verlassen und mit dem Eimer in der Hand eine an dem Gang liegende Toilette aufzusuchen um den Eimer dort zu entleeren schied aus, was wäre, wenn ihm jemand auf dem Flur begegnen würde und in den Eimer schaute? Er musste die Brühe loswerden! Zu keiner rationalen Handlung mehr fähig ging Bergmann zum Fenster des Ruheraumes und sah hinaus. Sein Büro lag im 5. Stock des blendend weißen Gebäudes (es hatte vor 4 Wochen einen neuen Anstrich erhalten) und er blickte auf die unter ihm liegende Fläche. Ihm war mittlerweile alles egal und er beschloss, den Inhalt des Eimers aus dem Fenster heraus auszuschütten. Dabei musste er ein Stück nach links zielen, um nicht den Eingangsbereich des Ministeriums zu treffen. Los jetzt spornte er sich an, hob den Eimer an, packte ihn mit beiden Händen und beförderte dessen Inhalt mit einer kräftigen Bewegung auf eine Luftreise. Dann machte er sich wieder an das Aufwischen und nach gut 10 Minuten war alles trocken. Auch diesen Eimer leerte er wieder so aus wie die erste Ladung. Er sackte auf dem Sofa zusammen, rauchte zur Nervenentspannung eine Zigarette und versuchte einen Plan zu schmieden. Noch steckten der Revolver, der Brieföffner und der Regenschirm im Toilettenbecken. Das krieg‘ ich schon hin redete er sich Mut zu, erhob sich und graste nochmals die Schränke im Sekretariat ab. Zu seiner Verblüffung fand er in einer Schreibtischschublade eine größere Zange und dann ging alles sehr schnell. Mit dem Werkzeug zog er zuerst den Rest des Regenschirmes aus dem Abfluss heraus, dann konnte er den Revolver packen und zu guter Letzt gelang ihm auch die Bergung des Brieföffners. Da sich der Stau im Waschbecken mittlerweile auch aufgelöst hatte spülte Bergmann diese Gegenstände dort gründlich ab und drapierte sie zum Trocknen auf dem kleinen Badschrank. Langsam gewann Bergmann seine Fassung wieder, wusch sich gründlich die Hände und zog sich dann komplett um. Mieft noch ein bisschen hier dachte er sich aber er ging davon aus, dass der Geruch bis zum nächsten Tag verflogen wäre, denn glücklicherweise war im Ruheraum kein Teppichboden verlegt worden sondern hochwertiges Parkett. Ich rauch‘ noch eine am Fenster und dann geht es nach Hause, für heute reicht es mir aber war sein Gedanke.
Er inhalierte genüsslich und schaute über die Stadt, als er die Asche von der Zigarette schnipste fielen ein paar Krümel auf das Fensterbrett und er pustete sie weg. Da sein Blick jetzt dadurch nach unten gerichtet war sah er, dass auf dem Fensterbrett des links unter ihm liegenden Zimmers (es musste das von Dr. pol. Weiland sein) einige Gegenstände lagen, die eine schwarzbraune Farbe aufwiesen. Frieder Bergmann fiel vor Entsetzen die Zigarette aus dem Mund und diese segelte abwärts. Er beugte sich weiter aus dem Fenster heraus und konnte nun so auch ganz deutlich erkennen, dass sich beginnend ab seinem Fenster ein nasser und schmutziger Streifen über die ansonsten makellose Fassade hinzog. Er musste einen Reflex, sofort aus dem Fenster zu springen, unterdrücken, denn wer vor dem Gebäude stand musste unweigerlich sehen, dass sich dieser Streifen wie ein Fingerzeig von Bergmanns Büro aus bis zum Boden erstreckte und damit klar wurde, wer für diese Sauerei zuständig gewesen war. Ich bin erledigt sagte er sich, wenn das die BilderZeitung spitz kriegt machen die mich fertig. Unfähig, noch klare Gedanken fassen zu können, verließ Frieder Bergmann mit bleiernen Beinen sein Büro und fuhr wie in Trance nach Hause. Petra hatte Nachtdienst, er wäre also allein zu Haus und das war heute auch gut so. Bergmann trank in schneller Folge einige Biere und drei, vier Jagertee, dann entschlummerte er, aber wurde in der Nacht mehrere Male munter, weil ein heftiges Gewitter tobte. Am nächsten Morgen erwachte er mit einem üblen Brummschädel und einem flauen Gefühl im Magen. Petra schlief noch und er schlich ins Bad, wo er als erste Handlung eine Kopfschmerztablette einwarf. Ich werde mich dieser Sache wie ein Mann stellen nahm er sich vor, schließlich geht es nicht wie bei den Cowboys um Leben oder Tod sondern nur um meinen Ruf.
Als er sich dem Ministerium näherte und die Gebäudeseite, an der sein Büro lag, in den Blick bekam stellte er verblüfft fest, dass der Streifen durch die Wirkung des Unwetters spurlos verschwunden war. Frieder Bergmann bekam sofort wieder Oberwasser und betrat nunmehr gut gelaunt sein Büro. Frau Wenzel begrüßte ihn heute auf eine Art, die er bei ihr noch nicht bemerkt hatte. Irgendwie war sie verstört und schaute ihn mit einem traurigen Blick an.
„Was ist denn los“ fragte Frieder Bergmann „ich erkenne Sie doch gar nicht wieder. Was bedrückt Sie denn?“
„Kann ich mit Ihnen reden?“
„Natürlich, gehen wir in mein Büro.“
„Also, Herr Minister“ druckste die Büroleiterin herum „ich weiß, dass es für einen Macher wie Sie sehr schwer ist, sich hier wohlzufühlen. Nein, bitte lassen Sie mich ausreden. Ich merke doch ganz genau, dass Ihnen diese lahmen Bürokraten auf die Nerven gehen weil sich nichts bewegt. Das habe ich gestern ganz deutlich wahrgenommen, als Sie die Referatsleiterrunde so schnell abgewürgt haben. Aber Sie sollen wissen, dass es ganz viele Mitarbeiter gibt, die hinter Ihrem neuen Kurs stehen, ich selbstverständlich auch. Bitte machen Sie weiter so und verzweifeln Sie nicht. Es gibt keinen Grund, unüberlegte Dinge zu tun. Denken Sie bitte auch unbedingt an Ihre Familie!“
„Was zum Teufel meinen Sie damit“ fragte Bergmann erstaunt.
„Nun, es fällt mir schwer darüber zu reden, aber die Reinemachfrau hat in Ihrem Ruhebereich einige Gegenstände gefunden, mit denen man sich, nun .., ähm, ..äh..“
„Was denn?“
„Nun, ähm, …. das Leben nehmen kann. Es wurden ein Revolver, ein Brieföffner, mit dem man sich die Pulsadern aufschlitzen kann und ein extrem spitzer Holzstab – der für Harakiri geeignet wäre –gefunden.“
An die zum Trocknen auf dem Badschrank ausgebreiteten Sachen hatte Bergmann gar nicht mehr gedacht und suchte krampfhaft nach einer Erklärung.
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