Nacht.
»Psssst« Machte Hermes und hielt sich symbolisch den Zeigefinger vor den Mund. Saibo unterbrach daraufhin seine traktierende Nörgelei an Hermes, seiner Meinung nach unausgereiften und kindischen Plan. Im düsteren Gang vor den Gitterstäben liefen in regelmäßiger Patrouille Wachen Auf und Ab. Als die Wache den Gang hinauf geschritten war, packte Hermes die Gelegenheit beim Schopfe.
»Bereit?« Fragte er Saibo, nachdem er den Schlüssel im Schloss platziert hatte. Saibo nickte und Hermes drehte den Schlüssel.
»Klack!« Tönte es lauter als gedacht durch den Gang und das Echo hallte noch eine Weile nach.
»Du verfluchter Idiot!« Fuhr Saibo ihn an, doch Hermes entgegnete nur ein weiteres »Psssst«.
Stiefelschritte kamen aus den Schatten und orangefarbenes Licht schien in dem Gang, als die patroullierende Wache mit ihrer Fackel, schnellen Schrittes auf die Zelle zu kam.
»Was ist hier los?« Fragte sie in rauem Ton und starrte Hermes aufgebracht durch die Gitterstäbe an. Mit gespielter Unschuld presste er ein unschuldiges Lächeln heraus.
»Gar nichts. Wirklich...« Sagte er. »Wir sind nur gerade dabei, hier auszubrechen..«
Verwirrt hielt die Wache einen Moment inne. Saibo der vor dem Eintreffen der Wache bereits die Zelle verlassen hatte, tauchte hinter dem Wachmann aus dem Schatten und riss ihm das Schwert aus der Scheide an seiner Hüfte. Erschrocken schrie die Wache durch den Gang, bevor Saibo sie mit einem schnellen Schwerthieb niederstreckte.
»Jetzt aber schnell!« Spornte er Hermes an und riss die Gittertür auf.
»Ja ja. Ruhig Blut«
Aufmerksam wie ein Luchs trappelte Hermes, mit dem bewaffneten Rebellen im Rücken durch die Gänge und spähte bei jeder Ecke erst einmal vorsichtig hervor, bevor er weiter schlich. An einer T-Kreuzung erstarrte er und hockte sich hinter eine Mauer. Ruppig riss er Saibo zu sich herunter.
»Bewegt euch!« Keifte Aga einigen Männern zu und sie rannten durch den schummrigen Gang. »Findet raus, was los ist!« Saibo und Hermes hockten hinter der Ecke und wurden von Aga und seinen Männern im Düsteren übersehen.
»Knappes Ding.« Atmete Hermes aus. »Siehst du die Tür dort am Ende des Ganges?«
Saibo nickte.
»Geh da raus, etwa 50 Meter geradeaus durch das Dickicht. Warte dort.«
»Was ist mit dir?«
»Ich muss nur noch schnell etwas erledigen, ich komme dann nach.« Urplötzlich sprang Hermes auf und raste den Gang in die Richtung aus der Aga gekommen war entlang. Ratlos über sein weiteres Vorgehen, beschloss Saibo den Anweisung zu folgen und stürmte in die entgegengesetzte Richtung, aus der kleinen Hintertür hinaus in den dunklen Wald.
Kapitel 5: Die Flucht aus Assandria
Fast eine halbe Stunde war bereits vergangen, seit Saibos und Hermes Wege sich getrennt hatten.
»Wo zum Teufel steckt der?« Murmelte Saibo ungestüm vor sich hin und suchte mit seinen Augen zwischen den Bäumen nach einem Lebenszeichen von Hermes. »Ob sie ihn geschnappt haben?« Unruhig schritt er Auf und Ab und versuchte in der schwärze der Nacht die Umgebung zu mustern. Plötzlich packte ihn eine Hand.
»Ich hab ihn!« Ließ eine Stimme verlauten und Saibos Herz schien stehen zu bleiben. Erschrocken packte er die Hand und schleuderte den Besitzer über seine Schulter hinweg auf den Boden. Instinktiv zog er das von der Wache entwendete Schwert und stoppte noch in letzter Sekunde den Streich.
»Ich bins!« Rief ihm panisch der am Boden liegende Mann entgegen und Saibo erkannte, dass es Hermes war, der da zu seinen Füßen lag. »Komm mal wieder runter!« Protestierte dieser völlig aufgewühlt von dem plötzlichen Angriff Saibos.
»Was heißt hier kommt runter?! Man packt einen Mann auf der Flucht nicht einfach von hinten und verkündet »Ich hab ihn!« Weißt du, wie du mich erschreckt hast?«
»Ich meinte doch nicht dich du Neandertaler! Ich meinte meinen Dolch!« Antwortete Hermes und streckte Saibo seinen edel verzierten Dolch entgegen.
»Dafür hast du dich in da rein geschlichen? Für ein Messer!?«
»Nicht EIN Messer! MEIN Dolch!«
»Sucht das ganze Gelände ab!« Schrie eine dunkle Stimme aus der Ferne auf einmal in ihr Gespräch hinein und Saibo erblickte die Lichter dutzender Fackeln zwischen den Baumstämmen. Empört und erwartungsvoll sah er Hermes in die Augen.
»Gut. Kann sein das ich von ein, zwei Leuten entdeckt wurde, als ich mir meinen Dolch aus Rhakims Thronsaal wieder geholt habe. Jetzt schau mich nicht so anklagend an. Sehen wir lieber zu, dass wir hier wegkommen.«
»Lasst die Hunde los!« Rief die Stimme in der Ferne.
Erschrocken weitete Saibo seine Augen. »Du hast recht. Gute Idee. Weg hier.« Schnell streckte Saibo ihm seine Hand entgegen und hievte ihn hoch.
Über Stock und Stein, Erde und Gras hasteten die Zwei auf ihrer Flucht durch die rabenschwarze Nacht. Im Nacken, Hundegebell und Fackeln. Mitten im Wald blieb Hermes stehen und kämpfte sich aus seinen Schuhen.
»Was tust du da!?« Fuhr Saibo ihn an. Wortlos warf Hermes einen seiner Schuhe in den Wald.
»Die haben Hunde.« Erklärte er. »Ich hab in meinem Leben genug Erfahrungen mit Spürhunden gemacht. Ich lege falsche Fährten mit meiner Kleidung.«
»Die werden uns trotzdem riechen!« Widersprach Saibo aufgebracht.
Hermes zuckte mit den Schultern. »Solange du kein Schmieröl oder Knoblauch dabei hast, ist das legen falscher Fährten unser einziger Trumpf.«
Saibo kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Schmieröl oder Knoblauch?«
»Das ist das Einzige was unseren Körpergeruch genug verdecken würde, damit die Spürhunde uns nicht riechen.«
Saibo konnte nichts einwenden, anscheinend wusste Hermes tatsächlich wovon er sprach.
»Komm weiter!« Forderte Hermes und sauste sofort los, Saibo hinterher. Während sie den Wald durchquerten, warf Hermes hier und dort Kleidungsstücke in das Gehölz und es schien zu funktionieren. Je weiter sie rannten, desto mehr rückten die Fackeln in die Ferne und je leiser wurde das Gebell der Hunde, bis es verstummte. Orientierungslos folgte Saibo seinem Wegweiser, erst durch die konfuse Eintönigkeit des Waldes und schließlich durch die Gassen der Innenstadt.
Letztlich kamen sie zum Stehen. Hechelnd stützten sich die beiden Flüchtigen auf ihre Knie und verschnauften kurzatmig.
»Ich glaube wir sind in Sicherheit...« Stellte Hermes fest.
»Wir haben sie schon lange abgehängt.«
»Zwischen abhängen und in Sicherheit, liegt ein Unterschied. Der ganze verdammte Norden wird von Rhakim kontrolliert, jeder dort würde dich umgehend verraten, sobald er Wind kriegt das Rhakim dich sucht.«
»Und was nun?«
»Nun sehen wir zu, das wir aus der Stadt kommen. Aber nicht heute. Ich kenne einen sicheren Ort. Dort werden wir heute Nacht rasten und Morgen umgehend aufbrechen.«
Saibo nickte.
»Na dann komm.«
Hermes führte Saibo durch die ärmlichen Gassen Assandrias in den Teil der Stadt, in dem die Oberschicht verkehrte. Sie schritten die Treppen eines der edlen, riesigen Ziegelhäuser hoch und blieben schließlich vor einer hölzernen Tür stehen. Skeptisch beäugte Saibo Hermes, welcher in einem rhythmischen Takt gegen die Tür klopfte. Ein kurzes Zögern. Hermes klopfte erneut, in dem selben Rhythmus und die Tür, wurde zögernd ein kleines Stück geöffnet.
»Ich bin es.« Flüsterte er durch den engen Türspalt und die Tür wurde ruckartig aufgerissen.
»Hermes!« Rief ihm ein Mädchen, etwa in seinem Alter entgegen und fiel ihm euphorisch um den Hals. Ihre braunen Augen strahlten in der Dunkelheit. Langes schwarzes Haar fiel von ihrem Kopf herab auf ihre schmalen Schultern. Saibos Blick wanderte hinunter. Ihre verschmutzte und verblichene lila Kleidung erinnerte leicht an das Kleid einer Bauchtänzerin, doch ihr schlanker Bauch wurde von einem engen weißen Shirt verdeckt, welches sie darunter trug. Mit offenem Mund stand Saibo da und sah dem Mädchen in die Augen.
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