Das Kolloquium dauerte nicht lange. Es gab an diesem Tag nur einen Vortrag und danach gingen die Studenten ins Zebulon, eine Kneipe an der Uni, um den Beginn des Wochenendes zu feiern. Herr Duhler und Frau Dr. Lapaine schlossen sich an, was manchmal vorkam, und auch Tom ging mit, auch wenn Ela fand, dass er aussah, als ob er lieber zurück in sein Büro gegangen wäre um weiter zu forschen. Vielleicht ließ sie sich aber auch nur von Fees Gerede beeinflussen.
Schlotte überredete sie mitzukommen.
„Ich kann wirklich nicht“, wand sich Ela, „ich hab morgen früh um 8 die Klausur! Ich muss dringend nach Hause und mir noch was ansehen.“
„Du spinnst ja“, Schlotte hängte sich Elas Tasche über die Schulter, „was du jetzt noch nicht kannst, lässt du weg. Du musst dich entspannen. Du kommst mit uns mit.“
Sie ging entschlossen den Flur hinunter zu der Gruppe Studenten, die an der Glastür warteten.
„Aber ich kann doch heute abend nicht trinken gehen, ich muss morgen früh aufstehen, ich muss um sieben Uhr elf den Bus nehmen.“
„Du sollst dich ja nicht volllaufen lassen“, Schlotte sah sie an. „Nur ein Bier!“
In dem Moment kam Herr Duhler mit Tom und Dr. Lapaine aus seinem Büro und zog die Tür hinter sich zu. Er hatte Schlottes letzten Satz gehört.
„Kommen Sie mit, Frau Thomas? Sie sollten sich entspannen heute Abend.“
Ela sah ihn unsicher an. Frau Dr. Lapaine knöpfte sich ihre Jacke zu und achtete nicht auf sie, aber Tom lächelte ihr aufmunternd zu.
„Na gut“, sagte Ela. Schlotte ging mit dem Schwarzen Schlumpf, Herrn Richter und den anderen Studenten voraus und Ela fand sich quasi allein mit Tom wieder. Sie hatte ihn seit der Muppet Show nicht gesehen und wusste nicht, worüber sie mit ihm sprechen sollte. Sie setzten sich in Bewegung.
„Heute gehst du also nicht zum Sport“, sagte sie schließlich.
„Nein, montags und mittwochs.“, antwortete er.
„Ah. Ich geh dienstags und mittwochs.“
„Aha, was machst du?“
„Naja, Fitness im Sportstudio. In der Kasernenstraße.“
„Ach, da geh ich auch hin. Dienstags zum Volleyball und Mittwochs zur Fitness.“
„Echt, ich hab dich noch nie da gesehen.“
„Stimmt.“
Sie gingen durchs Koblenzer Tor und liefen schräg über die Straße.
„Ich war die letzten paar Male sehr spät, weil ich länger in der UB war.“, sagte Ela.
Tom nickte anerkennend.
„Sag mal“, fragte Tom schließlich und Ela wunderte sich über den verschwörerischen Tonfall, „dann kennst du doch auch den Trainer da, Jan, oder?“
„Klar.“
„Der ist doch geliftet, oder?“
Ela musste lachen. Tom hatte sicherlich recht, der Fitnesstrainer sah aus, als sei er mehrmals unterm Messer gewesen. Ela hatte die Leute im Sportstudio schon öfter darüber spekulieren hören, genau wusste es aber niemand.
Sie folgten den anderen durch das Zebulon zu den Sitzecken nach hinten. Herr Duhler und Frau Lapaine hatten Stühle gefunden, Schlotte und die anderen Studenten hatten sich auf die ausgeleierten Sessel verteilt. Ela ließ sich in das tiefe Sofa fallen. Tom sah sich betreten um und nahm dann vorsichtig neben ihr Platz.
„Keine Ahnung“, nahm Ela das Gespräch wieder auf, „würde mich aber nicht überraschen. Ich find den ziemlich gestört.“
Tom schien nicht zu wissen, wohin mit seinen Beinen und Armen.
„Gestört, wieso?“
Ela begann zu erklären, und stellte fest, dass es ihr fast leichtfiel, sich mit Tom zu unterhalten. Gut, sie sprachen über ein Verlegenheitsthema, lachten über den Trainer und verglichen ihre jeweiligen Trainingsprogramme. Aber sie lachten miteinander. Tom sah toll aus, wenn er lachte. Bald jedoch musste sie aufbrechen.
„Viel Glück morgen, Frau Thomas“, wünschte Herr Duhler, und Ela fiel auf, dass Toms Vornahme ihr Nachname war. Das war schön. Was für ein Glück, dass er mit ihren Prüfungen nichts zu tun hatte. Stattdessen kam es ihr beinahe vor, als wären sie miteinander befreundet.
„Danke“, sagte sie und lächelte ihren Prüfer an. Dieser wandte sich wieder Schlotte und Frau Lapaine zu.
„Ja, viel Glück, Michaela“, wünschte Tom und fügte mit kaum merklich leiserer Stimme hinzu, „vielleicht können wir, nach deiner Klausur ja mal gemeinsam trainieren.“ Ela blieb beinahe das Herz stehen.
Als Ela am Samstagmittag die Mensa verließ, regnete es wieder. Ohne ihre Umgebung wahrzunehmen eilte sie die Nassestraße hinab und überquerte den Vorhof des Juridicums. Sie war sicher, dass sie ihre Klausur gut hinter sich gebracht hatte. Sie war sicher! Tatsächlich waren die latènezeitlichen Wagengräber drangekommen, das Thema, auf das sie sich ausführlichst vorbereitet hatte, und sie war überzeugt, dass sie nichts vergessen hatte. Ela drückte probehalber gegen die Glastür und hatte Glück: das Juridicum war nicht verschlossen und sie konnte die Abkürzung zur Adenauerallee nehmen. Das Problem war, dass sie nicht besonders viel geschlafen hatte. Sie ärgerte sich zu Tode über sich selbst, aber Toms Lächeln war ihr nicht aus dem Kopf gegangen. Sie waren halb verabredet! Sie kam sich vor, als wäre sie fünfzehn und sie schämte sich, es zuzugeben, aber sie war einfach zu aufgeregt gewesen, um einzuschlafen, und das hatte nicht an der bevorstehenden Klausur gelegen. Fee und Schlotte hatten sie nach der Klausur im Hauptgebäude abgeholt und ihr die Müdigkeit angesehen. Ela war froh gewesen, dass ihre Freundinnen dies sofort auf ihre Prüfungen schoben.
„Du solltest nach Hause gehen und dich ins Bett legen“, hatte Schlotte gesagt, aber das konnte sie sich nicht leisten. In vier Wochen hatte sie ihre mündliche Prüfungen und sie musste unbedingt heute noch in die UB und einige Artikel im Lesesaal durcharbeiten.
Ela hatte das Juridicum durchquert und stand nun auf der Adenauerallee. Auf der anderen Straßenseite lag die UB. Sie kniff die Augen gegen den Regen zusammen und vergewisserte sich, dass keine Autos kamen, bevor sie über die Straße lief. Schlotte war lustig, sie würde zu gern nach Hause gehen und schlafen, ihre Augen brannten, aber sie musste unbedingt in die UB… Ela blieb stehen. Oder? Konnte sie nicht einen einzigen Nachmittag freinehmen? Sie war so müde! Zögernd ging sie auf die Glastür der Bibliothek zu. Eigentlich hatte sie sich schon fast entschieden, nach Hause zu gehen, als sich die Tür öffnete und Tom aus der UB trat. Er spannte einen Schirm auf, dann fiel sein Blick auf Ela, die, ihre Umhängetasche an sich gepresst, im Regen stand.
„Michaela“, sagte er und trat auf sie zu, „wie ist deine Klausur gelaufen?“
„Ganz gut“, sagte Ela und hoffte, selbstbewusst zu klingen. Er stand etwa einen Meter vor ihr und Ela wusste, dass er es unhöflich gefunden hätte, wäre er ihr näher gekommen. Aber dann hätte sie unter seinem Schirm etwas Schutz vor dem Regen gehabt und das wäre ihr im Moment sehr lieb gewesen.
Tom lächelte nicht.
„Das freut mich“, sagte er und nickte, „und nun geht es gleich weiter in die ULB, hm? Die Prüfungen sind nicht mehr weit entfernt.“
Ela nickte müde.
„Sehr gut, Ela. Ich bin sicher, du wirst gute Prüfungen machen.“
Damit ließ er sie stehen und Ela trottete in die Bibliothek. Sie fühlte sich plötzlich stumpf und grau. Genau wie ihr Leben.
Währenddessen saß Fee im Arbeitsraum des Institutes in der letzten Reihe und scannte Abbildungen für ihr Referat ein. Nebenbei blätterte sie eine weitere Monographie durch, auf der Suche einer befriedigenden Chronologietabelle für die Cucuteni-Tripolje-Kultur. Schlotte hatte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen können. „Komm, gehen wir nach Hause?“, hatte sie gefragt, als Ela in die Mensa gerauscht war.
„Ich kann nicht“, hatte Fee geantwortet, „ich muss ins Institut, ich muss mein Referat weitermachen.“
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