„Wie heißt diese Kultur?“, fragte Dora und schob sich eine Gabel Rinderragout in den Mund.
„Cucuteni-Tripolje-Kultur“, antwortete Florian, „und Fee erklärt also die verschiedenen Verzierungen und holt dann aus ihrem Karton Gefäße, die sie nachgetöpfert hat, eins in jedem Stil und gibt die rund. Der Maler sah aus als wüsste er nicht wie ihm geschieht.“
„Ich glaube, der dachte, ich wollte ihn verarschen“, sagte Fee. „Hey Raphael, setzt du dich zu uns?“
„Klar“, sagte Raphael, der eben gekommen war. Er stellte sein Tablett auf den Tisch, ließ sich neben Fee nieder und zog seine Jacke aus. „Coole Aktion übrigens vorhin mit den Gefäßen. Was isst du denn da?“ Die letzte Frage galt Dora.
„Ach, Scheiß mit Reis“, antwortete sie, und stocherte lustlos in ihrem Ragout herum, „das war als Rinderragout ausgeschrieben, aber eigentlich ist es der Rinderschmorbraten von vorgestern mit den Resten von oben, aus der Asienabteilung. Echt widerlich.“ Raphael setzte sich, beugte sich zu Doras Teller und inspizierte das Gemüse. „Stimmt“, sagte er, „schmeckt’s denn wenigstens?“
Dora zuckte mit den Achseln.
„Es ist genießbar, schmeckt nicht wirklich. Aber ich hab einfach so großen Hunger.“
„Tja“, sagte Florian, „Hunger ist, wenn man trotzdem isst. Jedenfalls hab ich den Maler noch nie so erlebt. Das Referat war ja gut, da konnte man dir echt nichts vorwerfen, Fee, und dann oben drauf noch diese Töpfe? Er sah ziemlich unglücklich aus.“
„Ja, er hatte sich bestimmt schon gefreut, mich fertig zu machen.“ Fee lächelte zufrieden.
„Das fing schon vor dem Referat an“, bestätigte Herr Richter, „als du deinen Rechner hochgefahren hast und dein Wallpaper an die Wand projeziert wurde.“
„Echt, hat er da was gesagt?“
„Nee, gesagt nicht, aber er sah aus, als ärgerte ihn, dass ihn das gefiel, was du da gemalt hattest.“
„Stimmt“, sagte Schlotte, „das Bild, das du von der Waldgöttin gemalt hast, ist dein Wallpaper, oder?“
Fee nickte.
„Super schönes Bild“, sage Raphael. Fee lächelte ihm erfreut zu.
„Und du hast die Gefäße echt selbst gemacht?“, fragte der Schwarze Schlumpf.
Fee nickte.
„Isst du die noch?“, fragte Dora und deutete auf Florians Apfelsine.
„Allerdings!“, sagte Florian ohne sie anzusehen.
„Ich töpfer’ öfter. Macht mir Spaß.“
„Kann ich dann ’ne Hälfte haben?“, fragte Dora.
Florian lachte, kopfschüttelnd.
„Die waren aber nicht gebrannt, die Gefäße, oder?“, fragte Raphael und Fee schüttelte den Kopf.
„Drei Gefäße hattest du, oder?“, fragte Schlotte.
„Vier.“
„Wann hätte sie die denn noch brennen sollen?“, fragte Herr Richter. „In der knappen Vorbereitungszeit.“
„Ein Wunder, dass du's überhaupt geschafft hattest, die vorher noch fertigzustellen und trocknen zu lassen“, sagte der Schwarze Schlumpf.
„Ja, das letzte war auch nicht ganz durchgetrocknet.“
„Und wo sind sie jetzt?“, fragte Florian und langte über den Tisch, um sich seine Apfelsine zurückzuholen.
„Ich hab sie in der Bibliothek geparkt.“
„Komm schon!“, bettelte Dora.
„Wenn Du so gerne eine Apfelsine willst, hättest du dir auch eine nehmen sollen, anstatt Salat“, sagte Florian streng und Schlotte und Fee lachten.
„Wo kann man denn Tonwaren in Bonn brennen lassen?“, fragte Raphael.
„Im Baumarkt.“
„War ’ne sehr coole Aktion. Das Gesicht vom Maler war herrlich.“
„Hey, weißt du was, Fee?“ Schlotte hatte eine Idee. „Warum töpferst du mir nicht einen Glockenbecher, den schieben wir dem in meiner Magisterarbeit unter, mal gucken ob er’s merkt.“
Fee und Raphael lachten.
„Der merkt das garantiert“, sagte Fee.
„Ja“, stimmte Herr Richter zu, „der ist so pedantisch, der prüft garantiert jeden Topf doppelt und dreifach nach.“
„Zum Glück hat er in Wirklichkeit nichts mit meiner Magisterarbeit zu tun.“
„Ach, der liest bestimmt jede Magisterarbeit im Institut“, widersprach Raphael, „so beurteilungsgeil wie der ist…“
Schlotte lachte laut auf.
Florian griff über den Tisch nach Doras Handgelenk.
„Gib mir meine Apfelsine wieder! Jetzt ist gut!“
„Aber ich hab Hunger!“
Zur selben Zeit saß Thomas Maler in seinem Büro und versuchte, sich auf den Aufsatz, den er für die Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte schrieb, zu konzentrieren. Hannah Maiwald ging ihm nicht aus dem Kopf, und er ärgerte sich darüber. Dieses unverschämte Mädchen. Was war denn das für ein Referat gewesen? Seit wann töpferte man denn die Gefäße nach, das war keine wissenschaftliche Arbeitsweise! Ein unreifes Kind, nicht fähig, sich dem Thema sachlich zu nähern, ein albernes Mädchen, mehr war sie nicht! Thomas rollte mit seinem Bürostuhl näher an seinen Schreibtisch heran und las den letzten Satz noch einmal. Das Problem war, dass an ihrem Referat nichts auszusetzen gewesen war. Sie hatte die Chronologie abgehandelt, die Forschungsgeschichte, die Ausbreitung der Siedlungen, die Kultfiguren, die Berührungsgebiete der Cucuteni- und der Tripoljekultur. Alle mit dem Thema verbundene Problematik hatte sie klar dargestellt. Sie hatte die Ortsnamen falsch ausgesprochen, aber das auch nur beim ersten Mal. Nachdem er sie einmal berichtigt hatte, hatte sie sich gemerkt, dass die i-s am Ende stumm waren und die T-s mit einem Punkt drunter als Z gesprochen wurden. Er sah ihr glückliches Lächeln vor sich, als sie das erste Gefäß aus dem Karton holte. Sie wusste, dass sie ein unkonventionelles Medium einsetze und sie hatte sich gefreut, dass sie ihre Kommilitonen überraschen konnte. Thomas ärgerte sich. Ihre Gefäße waren gut gewesen. Und die Abbildungen, die sie gezeigt hatte, waren tadellos gewesen, nicht einmal den Gefallen, schlechte oder unscharfe Bilder oder schwarz-weiß-Fotografien zu benutzen, hatte sie ihm ihm getan.
Er versuchte, sich wieder auf seinen Aufsatz zu konzentrieren und dachte dann daran, dass sie sich für die Sachsen-Anhalt-Exkursion angemeldet hatte. Er wollte nicht, dass sie mitfuhr. Da merkte selbst Thomas schließlich auf. Wieso ärgerte sie ihn so? Etwas hatte sie an sich, das ihm auf die Nerven ging. Was war das? Sie nahm die Archäologie nicht ernst, das war es. Sie war zu fröhlich und unkonzentriert für eine ernsthafte Studentin. Thomas nickte. Ja, sie ging ihm auf die Nerven. Und die Sachsen-Anhalt-Exkursion nächste Woche belastete ihn auch, auch wenn er nicht genau sagen konnte, wieso.
Er schob die Gedanken an beide Themen beiseite und arbeitete noch einige Stunden konzentriert weiter. Dann griff er nach seiner Sporttasche und machte sich auf den Weg ins Fitnessstudio, heute war Mittwoch.
Donnerstags zwischen 10 und 12 Uhr hatte Thomas Sprechstunde. In der Regel empfand er diese als lästige Pflicht, die ihn bei seinen Forschungen unterbrach. Die schlimmste Zeit zu Anfang des Semesters, in der Nachzügler noch schnell in sein Seminar nachrücken, Referatstermine umlegen und Ähnliches von ihm wollten, war jedoch vorüber und Thomas hoffte, dass ihn außer den Referenten der nächsten Sitzungen niemand belästigen würde. Er öffnete die Datei „Exkursionsplan“ und starrte finster auf die vorgesehene Route. Es war alles organisiert, die Teilnehmer hatten den Betrag überwiesen, der Universitätsbus war bestellt und die Unterkünfte waren bestätigt. Wieso nur überkam ihn stets ein ungutes Gefühl, wenn er an die Exkursion dachte?
Er dachte an Michaela Thomas und musste lächeln. Sie hatte seinen Ratschlag befolgt und sich ebenfalls für die Exkursion angemeldet. Er hoffte, dass sie hinsichtlich ihres bronzezeitlichen Prüfungsthemas von der Zeit in Sachsen-Anhalt profitieren würde. Sie hatte es verdient, eine so vorbildliche Studentin… Nicht, dass jemand, der so fleißig war, Hilfe brauchte; er war sicher, dass sie auch so eine hervorragende Prüfung machen würde. Gestern im Fitnessstudio hatte sich gezeigt, dass sie ebenso konzentriert trainierte, wie sie studierte. Er war sehr beeindruckt von ihrer Disziplin. Sie waren sich einig gewesen, dass sie öfter gemeinsam trainieren sollten, beide hatten den Abend genossen. Wie kam es nur, dass sie mit dieser Chaotin befreundet war?
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