„Ich auch nicht“, sagte Florian.
„Nee, entweder wir bleiben alle oder keiner.“ Raphael verschränkte die Arme vor der Brust.
Fee sah nachdenklich aus dem Fenster. Es wurde dunkel.
„Wir könnten noch schnell zum Kiosk laufen und uns was zu essen holen.“
„Es gießt in Strömen!“ Florian sah sie genervt an.
„Wir könnten Pizza bestellen“, sagte Fee.
Hinterher waren Fee, Florian und Raphael sehr zufrieden mit der Art und Weise, wie sie die Situation gemeistert hatten. Raphael und Fee liefen zum Kiosk und kauften Bier, Chips, Zigaretten und Erdbeerbuttermilch. Florian kochte inzwischen noch eine Kanne Kaffee und die drei nutzten die Gelegenheit, noch einige Stunden an ihren Referaten weiterzuarbeiten.
„Naja, so beschissen ich’s finde, hier eingeschlossen zu sein“, Florian warf sich in seinem Stuhl zurück und streckte die Beine aus, „Zuhause hätte ich wahrscheinlich nichts mehr an meinem Referat getan. Jetzt bin ich fertig.“
Fee und Raphael nickten, ihnen ging es eben so.
Später bestellten sie tatsächlich Pizza. Raphael holte das Bier, dass er im Kühlschrank im Sekretariat kaltgestellt hatte, und den Beamer aus dem Sekretariat. Florian hatte den ersten Teil vom Herrn der Ringe auf dem Laptop und sie schoben die Tische zusammen, streckten sich aus und schoben sich ihre zusammengeknüllten Jacken unter die Köpfe. Sie hatten das Licht gelöscht und sahen sich den Film an der Wand des Arbeitsraumes an, direkt neben dem Regal, in dem die Kongressbände standen.
„Eigentlich ist das ganz cool“, sagte Florian, als Aragorn auf der Wetterspitze die Nazgul vertrieb und die drei stießen mit ihren Bierflaschen an.
Nachdem der Film vorbei war, ging Fee Zähneputzen.
„Wieso hast du eine Zahnbürste dabei?“, fragte Florian überrascht.
„Die hab ich immer dabei“, erklärte Fee, „falls ich spontan woanders übernachte.“
„Hört, hört“, Florian stieß Raphael seinen Ellenbogen in die Seite. Raphael sah Fee interessiert an. Die lachte und hob vielsagend eine Augenbraue. „Man weiß nie, ob man sie vielleicht brauchen wird.“ Sollte er sie doch für promiskuitiv halten!
„Eigentlich keine schlechte Angewohnheit.“
„Nein, solltest du dir auch angewöhnen. Sonst sitzt du mit einem Mal nachts eingeschlossen in der Uni ohne Zahnbürste da.“
Sie schliefen wenig in der Nacht. Fee rollte sich auf den Tischen zusammen, aber Florian und Raphael saßen zusammen im Fenster, rauchten eine Zigarette nach der anderen und unterhielten sich, und schließlich gesellte Fee sich wieder zu ihnen. Gegen halb vier sahen sie sich noch The Big Lebowksi an, den Fee auf der Festplatte hatte und dann ging bald die Sonne auf. In der Nacht hatte der Regen aufgehört und sie gingen zum Bäcker und kauften sich etwas zum Frühstücken.
Raphael kochte die nächste Kanne Kaffee und Florian schmiss seine leere Schachtel Kippen weg.
„Wieder so eine Nacht, in der ich viel zu viel geraucht hab, und ich war nicht mal auf ’ner Party“, sagte er und Fee lachte.
„Willst du dich schöner trinken?“, fragte Raphael und Fee sah ihn entrüstet an.
„Wie bitte?“
„Das steht da“, Raphael deutete auf den Becher und las den Werbespruch ab, „Trink dich einfach schöner.“
„Ach, das macht man mit Buttermilch!“, Florian nickte. „Aber warum versuchen das im Zebulon alle mit Bier?“
„Mit Bier kannst du dir die anderen schöner saufen, mit Buttermilch dich selbst“, Fee lachte. „Am besten bestellst du gleich beides auf einmal, dann kannst du nur gewinnen.“
Raphael und Florian stimmten in ihr Lachen ein.
„Wenn wir alle mehr Buttermilch trinken würden“, sinnierte Fee, „wäre die Welt ein schönerer Ort.“
„Vögel würden in den Zweigen singen“, nahm Raphael ihren Gedanken auf, „es wäre Frühling…“
„Rehe würden über die Hofgartenwiese hüpfen“, Fee konnte sie beinahe vor sich sehen, „in Zeitlupe…“
„Und Herr Maler würde über den Flur laufen und Blumen streuen“, schloss Florian und Fee und Raphael brachen erneut in Gelächter aus.
„Und was würde Herr Duhler tun in diesem Szenario?“, fragte Raphael, als er sich beruhigt hatte.
„Der wäre ein kleiner dicker Satyr“, antwortete Florian, „der unter dem Weinfass liegt… ich glaube ich sollte mit den Studenten und den Dozenten des Instituts den Sommernachtstraum inszenieren.“
„Ah ja“, sagte Raphael, „das versuche ich die ganze Zeit… zu vermeiden!“
Tatsächlich war Herr Maler der erste, der um 20 nach Sieben im Institut auftauchte. Fee, Raphael und Florian saßen konzentriert an ihren Laptops und taten als bemerkten sie ihn nicht. Aber weder Herr Maler noch sonst irgendjemand tat ihnen den Gefallen, zu denken, dass sie die Nacht durch studiert hatten, und wenn doch, kommentierte es niemand.
Fees Referat
„Wenn die Welt ein besserer Ort wäre, gäbe es kein Hallstatt C“, erklärte Schlotte, als Fee ihr von ihrem Abenteuer erzählte.
Fee lachte. Schlotte schrieb ihre Magisterarbeit über Siedlungskeramik aus der Zeitstufe Hallstatt C und war von der Materialsuche genervt.
„Und dann habt ihr die ganze Nacht im Arbeitsraum gesessen, Pizza gegessen und Filme geguckt? Richtig so!“
Schlotte drückte auf die Klingel neben der Glastür und kurz darauf ertönte der Summer. Sie schoben die Tür auf, riefen Frau Wagner einen Gruß zu und blieben am Glaskasten stehen.
„Eine Exkursion!“, rief Fee begeistert und las sich den Aushang durch. „Schon nächste Woche! Komm Schlotte, da fahren wir mit!“
„Was soll ich denn in Sachsen-Anhalt?“, fragte Schlotte skeptisch.
„Steht doch da, Feldbegehung! Das wird lustig, komm schon!“
„Aber ich würd viel lieber die Zeit nutzen um meine Materialaufnahme endlich abzuschließen. Und überhaupt, wer hängt denn eine Woche vorher erst eine Ankündigung für eine Exkursion aus? Das kriegt doch niemand so schnell organisiert.“
„Ach komm, die soll nur fünf Tage gehen. Das wird für deine Materialaufnahme jetzt nicht den Unterschied machen! Auf der anderen Seite hättest du fünf Tage Urlaub von Hallstatt C!“
„Ich bin doch sowieso nicht in dem Seminar“, wandt Schlotte ein, „der nimmt mich doch gar nicht mit.“
„Die Exkursion ist nicht an mein Seminar gebunden“, sagte eine Stimme hinter ihnen. Fee und Schlotte drehten sich um. Herr Maler stand vor ihnen.
„Werden wir die Himmelsscheibe von Nebra sehen?“, fragte Fee.
„Das halte ich für eher unwahrscheinlich“, er sah sie verächtlich an, „die wird unter Hochsicherheitsvorkehrungen untersucht und restauriert. Ich denke nicht, dass sie die jemandem zeigen, bevor die Analysen abgeschlossen sind, aber vielleicht machen sie ja eine Ausnahme, wenn sie hören, dass Frau Maiwald aus Bonn persönlich vorbeikommt.“
„Hätt’ ja sein können, dass Sie da bekannt sind. Ich dachte, Sie haben da vielleicht connections!“
Herr Maler warf ihr einen abschätzigen Blick zu und ließ sie dann ohne ein weiteres Wort stehen. Fee sah ihm unglücklich nach.
„O je, jetzt ist er schon wieder sauer auf mich! Ausgerechnet heute, wo ich gleich mein Referat bei ihm halten muss.“ Sie verlagerte das Gewicht der Kiste, die sie unter dem Arm trug und zuckte mit den Achseln. „Komm, tragen wir uns in die Exkursionsliste ein, bevor ich meinen Vortrag verhaue und er Frau Wagner verbietet, mir die Liste zu geben!“
„Fee stellt also die verschiedenen Phasen der Cucuteni-Kultur vor und erklärt, wie sich in den einzelnen Stufen die Verzierung ändert“, erzählte Florian nach dem Referat enthusiastisch. Schlotte, Fee, Florian, der Schwarze Schlumpf, Herr Richter und Dora, Florians Exfreundin, saßen in der Mensa. Fee aß grinsend ihre Gemüsepfanne und hörte Florians Bericht zu.
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