Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, als er an den wundervollen Abend dachte, der vor ihm lag. Er hörte gerade noch, wie der Professor ihn mit der Frage: -„Was meinen Sie denn dazu, Fox?“ aus seinen Gedanken riss, als zwei Männer durch die Schwenktüren des Hörsaals traten. Beide trugen schwarze Kleidung, die aus Cordhose, langem Mantel und einem Hut mit breiter Krempe bestand. Unvermittelt gingen sie auf den Professor zu. Die drei Männer wechselten ein paar Worte miteinander und nach kurzem Zögern winkte der Professor Colin zu sich.
-„Sie sollen kurz etwas mit diesen beiden Herren klären. Es geht um ein nicht uninteressantes Angebot. Tun Sie das aber bitte vor der Tür. Ich werde meinen Vortrag derweil fortsetzen.“
Colin Fox folgte den beiden Männern nach draußen.
-„Also, meine Herren, um was für ein Angebot handelt es sich denn genau?“ Er versuchte seine aufkeimende Neugierde zu verbergen. Wenn der Professor von einem „nicht uninteressanten“ Angebot sprach, dann musste es zweifelsohne lukrativ sein. Der eine der beiden Männer schlug vor, ein paar Schritte zu gehen. Colin stimmte zu und ging voraus in Richtung Ausgang. Es dauerte nicht lange und sie waren im Universitätspark angekommen. Während Colin zwischen den Männern über die breiten Wege des Parks schlenderte, begannen die beiden mit ihrem Vortrag. Nach den üblichen einleitenden Floskeln, die zumindest einen der beiden Männer als Amerikaner auswiesen, kamen sie zur Sache:
-„Die Harvard-Universität bietet Ihnen die Möglichkeit ihre Abschlüsse ideal einzusetzen. Sie können sich mit einem Forschungsprojekt Ihrer Wahl auf eine Professur vorbereiten und dann eine entsprechend dotierte Stelle übernehmen. Geld spielt dabei keine Rolle. Die Universitätsleitung wird alle anfallenden Kosten tragen.“
Colin war skeptisch. Mal abgesehen davon, dass er nicht vorhatte ein solches Angebot anzunehmen, zumal für ihn spätestens nach diesem Ferienprojekt die Zeit der Universitätsbesuche zu Ende sein sollte, sprach die Darstellung dieses Angebots nicht gerade für die Überzeugungskraft der beiden Abgesandten. Während er sich bereits eine höfliche Absage zurechtlegte und der Amerikaner die Vorzüge der Harvard-University anpries, nahm der andere Mann plötzlich ein kleines Gerät aus der Tasche, das Colin nur aus dem Augenwinkel wahrnahm. Er bemerkte gerade noch, wie ihm das Gerät gegen den Hals gedrückt wurde und wollte etwas unternehmen, aber da war er bereits bewusstlos.
Ein leichtes Schaukeln ließ ihn eine ganze Zeit später wieder zu sich kommen. Anfangs interpretierte er die Bewegung als Nachwirkung des elektrischen Schocks. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen. Vorerst orientieren! Wo war er? Ein kurzer Blick nach rechts und links gab ihm die Antwort: Colin befand sich in einem Kleinbus, dessen Fahrersitz von den restlichen Passagieren durch eine Scheibe getrennt war. Außer ihm befand sich niemand in dem Fahrzeug. Colin blickte aus dem Fenster. Der Kleinbus war eingekeilt zwischen Dutzenden von anderen Vehikeln. Rechts eine Reihe und links zwei Reihen mit Autos, Bussen und Lastkraftwagen. An die äußeren Reihen angrenzend konnte Colin eine riesige Glasfläche erkennen, die den Blick auf das Wasser freigab. Erst jetzt realisierte Colin, wo er sich wirklich befand: auf einer Fähre mitten auf dem Meer. Auf dem Meer? Dafür war das Ufer auf beiden Seiten eigentlich zu gut zu erkennen. Aber eine andere Erklärung hatte er vorerst nicht. Wie war er überhaupt hierhergekommen und warum? Er erinnerte sich vage an eine Unterhaltung mit zwei Männern in schwarzer Kleidung. Was dann geschehen war, wollte ihm nicht einfallen.
Unterdessen war der Fahrer des Kleinbusses an seinen Platz zurückgekehrt. Colin klopfte an die Scheibe, doch der Mann zeigte keinerlei Reaktion. Bei einem Blick aus der Frontscheibe erkannte Colin den Fährhafen, der nun lediglich noch wenige Meter vor ihnen lag. Langsam fuhr das Schiff an den Anleger. Neben ihnen startete gerade eine weitere Fähre, allerdings deutlich älteren Datums. Keine riesige Fensterfläche. Keine Designerlampen an der Unterkante des oberen Decks. In schlichtem Weiß und Hellblau gehalten, außerdem mit etlichen Rostflecken versehen, wirkte sie reichlich heruntergekommen. Als die schwimmende Brücke direkt neben ihm war, konnte er den Namen der Fähre lesen: „Konstanz“ stand in großen Lettern auf der Außenwand des Schiffes. Aber natürlich, dass er nicht sofort darauf gekommen war! Das Gewässer, das er gerade überquert hatte, war der Bodensee. Und der Fährhafen, in dem sie soeben anlegten, war der des Konstanzer Vorortes Staad. Ein Ruck ging durch das Schiff, als sie an den Anleger andockten und die Fahrrampe in die Verankerung einrastete. Der Fahrer des Kleinbusses startete den Motor und löste die Handbremse.
Kurze Zeit später fuhren sie in einer langen Schlange von der Fähre auf das Konstanzer Festland. Dann ging es im Eiltempo in Richtung Stadtzentrum. Vorbei an den wartenden Fahrzeugen im Hafen, vorbei am Klinikum und über die alte Rheinbrücke in Richtung Laube. Noch einmal bogen sie rechts ab, um kurz darauf abermals rechts abzubiegen und dann fuhren sie geradewegs auf die Fahrradbrücke über den Rhein zu. Kurz davor, neben einem gelblichen Sandsteingebäude mit roter Backsteinverzierung hielten sie an. Der Fahrer stieg aus und öffnete die hintere Tür. Mit einer Handbewegung wies er Colin an, ihm zu folgen. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwarten würde. Sein Verstand riet ihm allerdings, den Anweisungen dieses Mannes zu gehorchen. Colin folgte dem Mann um das Haus herum, zum Haupteingang des Gebäudes. Zwischen zwei großen Handwerkerstatuen aus Stein gingen sie ein breites Treppenportal hinauf zu einer Tür, neben der ein Schild angebracht war, auf dem stand:
Handels- und Handwerkskammer Konstanz
Webersteig 3
Geöffnet an Werktagen von 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr
Sie betraten das Gebäude und im Innern wurde Colin von einem Mann in Hausmeisterkleidung zu einer Treppe gebracht, die vermutlich in den Keller führte. Er stieg die wenigen Stufen hinab und fand sich in einem hell erleuchteten Gang wieder. Der Innenarchitekturstil passte so gar nicht zu der äußeren Fassade der Handels- und Handwerkskammer: helle Fliesen, nobel wirkende Lampen, edle Wandfarben in rot und weiß und an der Treppe moderne Geländer.
-„Die erste Tür links“, sagte der Mann in Hausmeisterkleidung, der noch immer auf der obersten Treppenstufe stand. „Sie werden bereits erwartet.“
Colin drehte sich nicht einmal um, sondern ging geradewegs auf die erste Tür links zu. Wer oder was mochte ihm darin entgegenblicken? Immerhin wurde er selbst bereits erwartet – von wem auch immer. Als er nur noch einen halben Meter von der Tür entfernt war, öffnete sie sich automatisch. Auch dieses Einrichtungselement passte nicht zu dem äußeren Stil des Gebäudes. Eine Metallschiebetür mit Bewegungssensor – Hightech statt Handwerkskunst. Als die Tür zur Seite geglitten war, trat Colin in den Raum dahinter. Er wusste nicht, womit er gerechnet hatte, aber so einen hochmodernen Konferenzraum hatte er definitiv nicht erwartet. Ein vierzig mal zehn Meter großer Raum mit einem ovalen Tisch in der Mitte, an dem zwanzig bequeme Bürosessel standen; vor jedem Platz ein Touchscreen, in der grauen Ledertischplatte eingelassen. Im Zentrum des Tisches war ein zusätzlich eingebautes und in diesem Fall vermutlich auch ausfahrbares Modul zu erkennen. Außerdem weitere Bildschirme an den Wänden, eine große Weltkarte, mehrere Videoprojektoren und eine ausfahrbare Leinwand. Des Weiteren noch ein Fax-Gerät, mehrere Telefone und ein Kaffeeautomat. Colins Blick wanderte zum Ende des Raums, wo gerade eine Verbindungstür geöffnet wurde. Eine Frau in den Fünfzigern trat in den Raum und kam auf ihn zu. Colin fiel sofort die Anstecknadel am Jackenrevers des Hosenanzugs der Frau auf, in die ein Opal eingearbeitet war.
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