Faber stimmte widerwillig zu. In der Nacht wurden viele Kommunisten aus ihren Betten geholt.
Am nächsten Tag las Faber in der Zeitung, dass Ernst Torgler freiwillig bei Diels erschienen war, um die Unschuld der Kommunisten zu beteuern. Er wurde sofort verhaftet. Die SA war außer Rand und Band. Nach vorbereiteten Listen wurden Kommunisten verhaftet, geschlagen und gefoltert. Es war also kein Zufall, dass die komplette SA- Führung in Berlin weilte. Am 28 Februar wurde die SA von Göring zur „Hilfspolizei“ ernannt. Es war auch sehr verdächtig, dass alle wichtigen Naziführer Hitler, Göring und Goebbels, in Berlin waren und unmittelbar nach dem Brandausbruch am Reichstag erschienen. Eigentlich war ja Wahlkampf im Reich. Am 28. Februar erschien gegen Mittag die Kurierin Erna im Hotel und brachte Faber eine wichtige Mitteilung von Kippenberger. Gegen 16 Uhr sollte sich Faber mit Kippenberger und Viktor in einer Bierkneipe in der Neuköllner Kirchgasse treffen. Dort überfiel ihn Kippenberger mit vielen Neuigkeiten.
Der Reichstagsabgeordnete Wilhelm Kasper war zuhause verhaftet worden. Viele andere auch. Nur das Politbüro, das gestern tagte und von der Provokation überrascht wurde, war untergetaucht. Viktor meinte, dass „wir wieder einmal schuld sind, wird vor allen Dingen der Intrigant Wehner verbreiten“. Kippenberger nickte und fügte hinzu: „Wir haben sie alle gewarnt, speziell nach deinem Telegramm, Faber, aber die Herren aus dem Politbüro hören nicht auf uns“. Dann teilte Viktor mit, dass faktisch im gesamten Reich, die Jagd auf kommunistische Funktionäre und Arbeiter läuft. Fast alle SA- Sturmlokale in Berlin waren zu Folterkammern umfunktioniert. Bereits in der Nacht waren viele Kommunisten getötet worden. Aus Bayern telegrafierte der Abwehrmann Ludwig Ficker, dass es dort noch relativ ruhig sei.
Hitler regierte bereits mit einem Ausnahmegesetz unterschrieben vom senilen Reichspräsidenten Hindenburg. Irgendwie hatte Faber das Gefühl, mit bereits besiegten Leuten zusammenzusitzen. Faber fragte noch nach der Sicherheit Thälmanns. Kippenberger entgegnete, dass er nicht in die von der Abwehr vorbereiteten illegalen Quartiere zöge, sondern sich mit seiner auffälligen Gestalt in einer „roten Gartenkolonie“ aufhalte. Faber schüttelte den Kopf. Er befürchtete für Thälmann das schlimmste. Sogar im Landkreis Altötting in Grenznähe zu Österreich, in Bayern hatte Faber persönlich ein illegales Quartier für Thälmann auf einem Einödhof bei Reischach vorbereitet. Faber wurde auch darüber informiert, dass die SPD in Gestalt von Künstler ein Einheitsfrontangebot der KPD abgelehnt hatte. Künstler hatte gegenüber dem KPD-Kurier erklärt: „Das geht jetzt überhaupt nicht, wir werden doch unsere Legalität nicht gefährden.“
Faber forderte keine bewaffnete Aktion mehr. Seit dem gestrigen Tag war für ihn die Chance vertan. Er forderte nur noch, die Kader entsprechend zu schützen und vorläufig von sogenannten Massenaktionen abzusehen. Kippenberger umarmte Faber am Ende des Gesprächs und sagte zum Abschied: ‘Wir brauchen deine Infos aus der Naziführung unbedingt. Bleib unabhängig von der Parteiarbeit und verkehr nur noch mit Leuten, die sich mit Viktor mit C legitimieren, sowie mit dem Genossen Ficker in München.“
Mit Ludwig Ficker bei Baum 6
Am 28. Februar gegen Abend stieg Hans Faber in den Nachtzug nach München. Wie es sich für einen gut situierten Rechtsanwalt und NS-Parteigenossen gehörte, reiste er erster Klasse. Gut sichtbar hatte er sein Parteiabzeichen am Jackett angebracht. Das Essen im Zug schmeckte ihm nicht. Zu viele Gedanken wirbelten durch seinen Kopf. Dann setzte sich auch noch ein Fahrgast zu ihm, der sich als Vertreter der IG- Farben zu erkennen gab. Der Herr meinte: “Wir hatten Wichtiges in Berlin zu besprechen aber das Entscheidende ist jetzt, dass es der Kommune an den Kragen geht“. Hans Faber nickte das ab und beschloss, noch einen Cognac zu trinken. Es fiel ihm schwer, in seinem Schlafabteil die nötige Ruhe zu finden. Er dachte an die vielen Genossen, die in den Folterkellern der SA Unsägliches zu erdulden hatten. Hermann Göring setzte die SA als Hilfspolizei ein und ließ sie foltern und morden. Diese mörderischen Sadisten konnten wohlvorbereitet ihre Triebe ausleben. Im Reich blieb es ruhig, es gab keinen nennenswerten organisierten Widerstand der Arbeiter.
Gegen 8:00 Uhr morgens kam Hans Faber in München an und fuhr schnell in seine Wohnung in der Schraudolphstaße, um sich für die Kanzlei zurechtzumachen. Auf dem Wohnzimmertisch fand er einen Brief von Lore. Sie freue sich, ihn heute Abend wieder in ihre Arme schließen zu können. In der Barerstrasse traf er einen Zahnarzt, der Mitglied der Nazipartei war. Es war generell so, dass unter den Ärzten speziell unter den Zahnärzten, die NSDAP einen immens hohen Mitgliederanteil hatte. Der Zahnarzt jubilierte auf offener Straße über den Schlag, den der Führer und Göring jetzt der Kommune verpassen werden. Hans Faber musste dem leider zustimmen, obwohl es ihm schwerfiel, seine Verachtung für den Zahnklempner zu verbergen.
Die meisten Ärzte und Zahnärzte war nicht nur Antikommunisten, sondern auch besonders wütende Antisemiten. Ihre Studienzeit verbrachten diese Herren meist in schlagenden Verbindungen, soffen und schlugen Schmisse. Kein Wunder, dass jeder sich Patient um die fachliche Kompetenz des Arztes kümmerte und nicht um dessen Religion. Folglich gingen die Praxen jüdischer Zahnärzten oft besser als die ihrer “arischen“ Kollegen. Diese „arischen“ Ärzte wurden Nazis nur aus Verachtung gegenüber dem Proletariat, sondern auch, weil sie sich von der Naziführung erhofften, endlich von der jüdischen Konkurrenz befreit zu werden. Faber wurde den Nazi-Zahnarzt recht schnell wieder los.
In seiner Kanzlei angekommen, begrüßte er seine neue etwas ältere Sekretärin, Berta. Diese steckte ihm, dass „im Vorzimmer ein elegantes Frauenzimmer auf ihn wartete. „Schicken Sie die Dame herein, auch wenn mir der Allerweltsname `Müller´ nichts sagt.“ Die Dame trat ein und erklärte Faber, sie käme in der Steuerangelegenheit Viktor mit C. Er solle sich doch heute gegen 16:00 Uhr mit ihrem Mann treffen.
Hans Faber verstand sofort, mit wem er sich um 16:00 Uhr bei Baum 6 im Englischen Garten zu treffen hatte. Mittags studierte Faber im Schellingsalon die neuesten Presseprodukte des Regimes, Haupttenor: „Zerschmettert den Kommunismus, vernichtet die Sozialdemokratie“.
Plötzlich trat an der Nazi-Verleger Max Amann seinen Tisch. Er begrüßte Faber sehr herzlich und wollte von diesem wissen, wie er die Entwicklung einschätze. Faber wies darauf hin, dass jetzt die Zeit gekommen wäre, mit dem Kommunismus endgültig Schluss zu machen. Wörtlich erklärte er: “Die Kommunisten haben uns ja schon fast ein Geschenk gemacht mit ihrer dämlichen Aktion den Reichstag anzuzünden.“ Amann meinte, dass er zwar recht hätte, aber mit solchen Bemerkungen etwas vorsichtig sein solle, „denn am Schluss kommt noch irgendjemand drauf zu meinen, wir hätten den Reichstag selbst in Brand gesetzt, um einem Vorwand gegen die KPD zu haben“. Hans Faber nickte und blinzelte den ehemaligen Feldwebel und Vorgesetzten Hitlers aus dem Ersten Weltkrieg schalkhaft an. Max Amann meinte,“ Vorsicht Herr Rechtsanwalt nur ja keine juristischen Spitzfindigkeiten, die falsch interpretiert werden könnten“. Beide lachten und verabschiedeten sich scheinbar herzlich.
Gegen 16:00 Uhr war Faber mit Poldi im Englischen Garten und wartete auf Ludwig Ficker. “Faber jetzt geht’s los” meinte Ficker noch halb im Laufschritt. Dann erörterten die beiden Freunde die Lage. Immer wieder wies Faber darauf hin, wie wichtig es sei, die Kader abzusichern. Es gelte die Reichstagswahlen, die jetzt Terrorwahlen seien, abzuwarten und dann unter Umständen loszuschlagen. Er verwies auf die Siegeszuversicht der Nazis in Kombination mit den Repressalien. Ficker versuchte sich seinen Optimismus zu bewahren. Faber deutete an, dass die Nazis in irgendeiner Form nach den Reichstagswahlen die Länder gleichschalten würden. An Widerstand durch die „Bayernwacht“ der BVP dachte er nicht. Nach Faber träumt nur Erhard Auer im Altheimer Eck bei Bier und Brezen von einer solchen Möglichkeit. Dem stimmte Ficker zu und meinte, “ ja so sind sie, die Sozialfaschisten”.
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