Der Februar zog sich hin. Die Wahlkämpfer der SPD und der KPD waren ständigen physischen Angriffen durch die Nazis ausgesetzt. Flugblattverteilungen und das Kleben von Plakaten zur Reichstagswahl am 5. März war besonders in München Schwabing für Kommunisten und Sozialdemokraten fast unmöglich. Selbst Anhänger der „Bayerischen Volkspartei“, BVP, wurden attackiert In Schwabing hatte die NSDAP die Masse der Studenten und Kleinbürger hinter sich. Viele Studenten an der LMU beschäftigten sich nicht mit dem Studium, sondern damit, die dünn gesäten liberalen und linken Professoren am Reden zu hindern. Baldur von Schirach organisierte mit geradezu fanatischem Eifer die Übergriffe der braunen Studenten.
Täglich wurden jüdische Studenten an der Universität angegriffen. Faber setzte dieser Zustand enorm zu. Hoffnung bereitete ihm jedoch, dass sich in Giesing, in Haidhausen, im Westend und in Feldmoching die SA auch jetzt noch blutige Nasen holte. Das rote München, die Arbeiterviertel, widerstanden noch immer den Lockungen, sowie der Brutalität der Nazis. Vergeblich wartete Faber auf den Befehl r gegen die Nazis massiven, ja bewaffneten Widerstand zu leisten. Mit jedem Tag festigten die Nazis ihre Macht. Die SPD blieb streng legal und die KPD verbreitete Flugblätter. Das konnte nach der Meinung Fabers nur zur Katastrophe führen. An einem Tag erschien der SA-Führer Ernst Röhm in der Kanzlei Fabers. Faber dachte: „Was will der Kerl von mir, hat er etwa Probleme mit dem Finanzamt?“ Aber Röhm kam sofort in seiner soldatischen Art zum Thema: „Faber, ich brauche eine gutaussehende Frau als Sekretärin in meinem Büro, Sie kennen ja die bösen Gerüchte, um meine Person“. Röhm spielte auf seine allseits bekannte Homosexualität an. „Wie kann ich ihnen dabei helfen Parteigenosse Röhm?“, fragte Faber.
Im Lauf des Gesprächs stellte sich heraus, dass Röhm an Lore dachte. Röhm forderte Faber auf, ihm Lore abzutreten. Das gefiel Hans Faber ganz und gar nicht. Er verabschiedete den SA-Führer mit freundlichen Worten. Röhm meinte noch „man dürfe doch die Weiber nicht lange fragen“ und in seiner Autobiografie hatte er geschrieben, dass „er ein schlechter Mensch sei, welcher den Kampf liebe“. Röhm wollte eine schnelle Antwort. Nach dem Abgang dieses Landsknechts überlegte Faber intensiv. Es hätte immense Vorteile in unmittelbarer Nähe des SA-Führers eine Informantin zu haben. Aber kann er das Lore zumuten, darf er sie der Gefahr aussetzen und ist Lore überhaupt dieser Aufgabe gewachsen?
Faber beschloss am Abend in Ruhe mit Lore darüber zu reden. Aber Lore hatte alles mitgehört, der SA Führer sprach sehr laut. Sie kam lächelnd in das Bürozimmer von Faber und sagte: „Hans, ich hab alles gehört. Wenn es dir nützt, arbeite ich bei dem widerlichen Kerl. Am Abend bekommst du von mir die neuesten Informationen. Aber nur, wenn meine Nachfolgerin hier eine unattraktive Schachtel wird. Ich kenne dich.“ Faber schloss Lore in den Arm und küsste sie. „So müssen wir es leider machen, Lore“, meinte Faber.
Am 20. Februar trat Lore ihren Dienst bei Ernst Röhm in der SA-Zentrale an. Für Lore war das kein großer Aufwand, denn die Zentrale der SA war gleich am Anfang der Barerstrasse. Sie musste nur fünf Minuten zu ihrer neuen Arbeitsstelle gehen. Nach ihrem ersten Arbeitstag kam Lore wütend in der gemeinsamen Wohnung an und erzählte Hans Faber, wie es ihr dort ergangen ist. Sie berichtete von primitiven und unkultivierten Männern, die irgendetwas größeres vorbereiten. Ernst Röhm habe sich gegen Abend verabschiedet, um nach Berlin zu reisen. Der junge Graf habe ihr verraten: „Der Chef muss weg, denn, Göring bereitet eine Aktion gegen die Kommune vor.“
Diese Information war für Hans Faber von enormer Wichtigkeit. Er musste unbedingt einen direkten Termin mit Viktor bzw. Leo Roth, dem engsten Mitarbeiter von Hans Kippenberger, zustande bringen. Sofort schickte er Roth ein Telegramm nach Berlin mit der Bemerkung “Hochzeit“. Das Codewort sollte der Führung des Abwehr-Apparates signalisieren, dass eine große Provokation der Nazis in Berlin bevorstand. Hans Faber wusste zwar nicht genau, welche Provokation, aber er wusste, dass die SA darin eine entscheidende Rolle einnehmen würde Denn wenn das Großmaul Ernst Röhm seine Wichtigkeit betonte, lag Pulverdampf in der Luft. Immer wieder fragte sich Hans Faber, wann denn seine Partei endlich losschlüge. Nach dem Abendessen saß er gedankenversunken in seinem Wohnzimmer. Lore bemerkte es und versuchte ihn aufzuheitern.
Irgendwie kam es ihm so vor, als ob die KPD sich in ihr Schicksal ergeben würde. Er dachte dabei an ein Gespräch mit dem inzwischen geächteten Heinz Neumann im Englischen Ende 1931, bei dem Neumann erklärt hatte, dass es gar nicht so sicher sei, ob Stalin wirklich einen ernsthaften Kampf gegen den Faschismus wolle. Der damalige Chefideologe der KPD, Neumann, bezog sich dabei auf ein Gespräch mit Stalin im Kreml. Dabei hatte Stalin in der für ihn typischen Art provokativ gemeint, „ob mit einem Sieg des Faschismus in Deutschland nicht die Westmächte eine Zeit lang schön beschäftigt wären“. Hans verwarf diese Gedanken gleich wieder, um nicht völlig in politische Depression zu versinken. Außerdem war er sich darüber im Klaren, dass er schnell einen Termin mit Hans Hartwimmer im Englischen Garten vereinbaren musste. Auch die Gruppe „Neu Beginnen“ sollte informiert werden.
Am 27. Februar kam Hans Faber in Berlin an. Direkt am Alexanderplatz quartierte er sich in einem Hotel ein. Der Kontakt am S-Bahnhof Alexanderplatz klappte gegen 18 Uhr. Faber wurde er von einem gutaussehenden Mädchen angesprochen. Faber hatte den „Völkischen Beobachter“ aufgeschlagen. Das Kennwort war Viktor mit C. Mit der hübschen Brünetten Erna ging Faber in das bekannte Lokal Aschinger. In der Ecke leicht abgeschirmt erkannte er Hans Kippenberger, dem Chef des Abwehrapparates und Leo Roth alias Viktor. Die Begrüßung war herzlich. Faber und Kippenberger verband eine langjährige Freundschaft. Faber war zusammen mit Kippenberger 1923 am Hamburger Aufstand beteiligt. Dieser improvisierte Aufstand begründete den Ruhm von Ernst Thälmann. Der Genosse Reichstagsabgeordnete zog wie so oft süffisant an seiner Zigarette, aber Faber erkannte, dass dieses Mal ziemlich nervös und fahrig war. „Na was gibt es so Wichtiges aus München von der braunen Bande“, fragte Kippenberger. Hans Faber erzählte von Lores Informationen und forderte die sofortige Illegalisierung aller bekannten Funktionäre, denn er rechnete stündlich mit einer Provokation. Alle bekannten Nazifunktionäre waren in Berlin, dazu die komplette SA-Führung. Kippenberger machte sich genau wie Leo Roth Aufzeichnungen. Er bat Faber, noch zu bleiben, weil Herbert Wehner, der technische Sekretär des ZK, auch bald kommen würde. Kippenberger verabschiedete sich ziemlich schnell. Offensichtlich wollte er Wehner nicht treffen. Dann kam zuerst der Fraktionsvorsitzende der KPD, Ernst Torgler, ins Lokal. Er setzte sich neben Faber, da er den „Stürmer“ dieses widerliche Hetzblatt auf dem Tisch von Faber sah. Auch über Fabers Schnauzer und die dunkelbraunen Haare war er informiert. „Sie sind also der Wundermann von Kippenberger aus München,“ begann er das Gespräch. Faber ignorierte die Ironie und begann zu erzählen. Dann kamen Wehner und Wilhelm Keonen ins Lokal an der Friedrichstraße. Torgler versuchte die Gefahr zu relativieren, weil angeblich der Chef der preußischen politischen Polizei, Rudolf Diels, mit der KPD sympathisiere. Wehner warnte ihn, auch Faber wunderte sich über die Naivität von Torgler. Nach einiger Zeit verschwanden Torgler und Koenen.
Als Wehner und Faber das Lokal verließen, schrie ihnen auch schon ein Zeitungsjunge entgegen: „Extrablatt, Extrablatt – Der Reichstag von Kommunisten in Brand gesetzt“. Das war sie also die vorbereitete Provokation der Nazis. Wehner und Faber rannten zum Alexanderplatz in der Hoffnung, dort noch einige Funktionäre zu treffen und zu warnen. Sie trafen aber nur Arthur Voigt, den Organisationssekretär von Berlin. Der KPD-Funktionär wirkte sehr erschrocken. Ihm war angeraten worden, nicht zuhause zu übernachten. Nach einiger Zeit verabschiedete sich Faber von Wehner. Mit seinem NS-Parteiabzeichen würde er die Ereignisse am Reichstag ohne weiteres beobachten können. Das Gebäude brannte lichterloh. Aber die Feuerwehr hatte den Brand unter Kontrolle. Der Brand zerstörte den Reichstag, griff aber nicht auf den Palast des Reichstagspräsidenten Göring über. Sofort fiel Faber der römische Kaiser Nero ein, der Rom in Brand legen und anschließend die Christen dafür kreuzigen ließ. Die Methoden der Provokation haben sich im Lauf der Jahrhunderte nicht elementar geändert. Eine füllige Nazidame versuchte Faber klarzumachen, was dies zu bedeuten habe. Sie zitierte den Führer, der meinte, „das ist ein von Gott gegebenes Zeichen“.
Читать дальше