L. A. Paul
Was können wir wissen, bevor wir uns entscheiden?
Von Kinderwünschen und Vernunftgründen
Aus dem Amerikanischen Englisch übersetzt von Jürgen Schröder
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Sascha Benjamin Fink
Reclam
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2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961697-1
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019654-0
www.reclam.de
Was man beim Erwarten nicht erwarten kann* Was man beim Erwarten nicht erwarten kann *
Übersicht Übersicht Es scheint ganz natürlich, dass man bei der Frage, ob man sich für oder gegen ein Kind entscheidet, darüber nachdenkt, wie es sein würde, ein Kind zu haben. Ich argumentiere dafür, dass dieser naheliegende Ansatz scheitert. Wenn Sie sich dafür entscheiden, Eltern zu werden, und die Entscheidung auf Prognosen darüber beruht, was Sie denken, wie es wohl für Sie sein würde, ein Kind zu haben, dann ist Ihre Entscheidung nicht rational. Wenn Sie sich dafür entscheiden, kinderlos zu bleiben, und die Entscheidung auf Prognosen darüber beruht, was Sie denken, wie es wohl für Sie sein würde, ein Kind zu haben, dann ist Ihre Entscheidung nicht rational. Das deutet darauf hin, dass wir unsere gewöhnliche Vorstellung davon, wie wir diese lebensverändernde Entscheidung treffen, zurückweisen sollten, und wirft allgemeine Fragen auf, wie man wichtige Lebensentscheidungen rational angehen könnte. Es scheint naheliegend, sich für oder gegen ein Kind zu entscheiden, indem man darüber nachdenkt, wie es wäre, wenn man eines hätte. Ich argumentiere dafür, dass es nicht rational ist, eine Entscheidung auf dieser Grundlage zu fällen, wodurch allgemeine Fragen in Bezug auf unsere gewöhnliche Vorstellung davon aufgeworfen werden, wie man diese lebensverändernde Entscheidung treffen könnte.1
1. Die Entscheidung, eine Familie zu gründen
2. Entscheidungstheorie: ein normatives Modell
3. Was Erfahrung lehrt
4. Die transformative Erfahrung, ein Kind zu haben
5. Das gewöhnliche Entscheidungsverfahren ist nicht rational
6. Einwände 6.1 Subjektive Fähigkeit 6.2 Alternative Entscheidungsverfahren 6.3 Die Subjektivität im Entscheidungsverfahren eliminieren
7. Fazit
Literaturhinweise
Zu dieser Ausgabe
Die Schwierigkeit, für sich selbst zu entscheiden: Transformativität und Unvorhersehbarkeit (von Sascha Benjamin Fink)
Was man beim Erwarten nicht erwarten kann *
Es scheint ganz natürlich, dass man bei der Frage, ob man sich für oder gegen ein Kind entscheidet, darüber nachdenkt, wie es sein würde, ein Kind zu haben. Ich argumentiere dafür, dass dieser naheliegende Ansatz scheitert. Wenn Sie sich dafür entscheiden, Eltern zu werden, und die Entscheidung auf Prognosen darüber beruht, was Sie denken, wie es wohl für Sie sein würde, ein Kind zu haben, dann ist Ihre Entscheidung nicht rational. Wenn Sie sich dafür entscheiden, kinderlos zu bleiben, und die Entscheidung auf Prognosen darüber beruht, was Sie denken, wie es wohl für Sie sein würde, ein Kind zu haben, dann ist Ihre Entscheidung nicht rational. Das deutet darauf hin, dass wir unsere gewöhnliche Vorstellung davon, wie wir diese lebensverändernde Entscheidung treffen, zurückweisen sollten, und wirft allgemeine Fragen auf, wie man wichtige Lebensentscheidungen rational angehen könnte.
Es scheint naheliegend, sich für oder gegen ein Kind zu entscheiden, indem man darüber nachdenkt, wie es wäre, wenn man eines hätte. Ich argumentiere dafür, dass es nicht rational ist, eine Entscheidung auf dieser Grundlage zu fällen, wodurch allgemeine Fragen in Bezug auf unsere gewöhnliche Vorstellung davon aufgeworfen werden, wie man diese lebensverändernde Entscheidung treffen könnte.1
1. Die Entscheidung, eine Familie zu gründen
Szenario : Sie haben keine Kinder. Jedoch sind Sie an einem Punkt in Ihrem Leben angekommen, an dem Sie persönlich, finanziell und körperlich in der Lage sind, ein Kind zu haben.2 Vielleicht setzen Sie sich einmal in Ruhe hin und denken darüber nach, ob Sie selbst ein eigenes Kind haben wollen. Sie sprechen darüber mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin, erwägen Ihre Wahlmöglichkeiten und denken sorgfältig über die Entscheidung nach, indem Sie einschätzen, wie es Ihrer Meinung nach für Sie sein würde, ein eigenes Kind zu haben, und vergleichen dies mit dem, wie es Ihrer Meinung nach sein würde, kinderlos zu bleiben. Nach sorgfältiger Überlegung entscheiden Sie sich für eine der folgenden Optionen:
Dafür: Sie entscheiden sich, ein Kind zu haben.
Dagegen: Sie entscheiden sich, kinderlos zu bleiben.
Die Art und Weise, wie Sie Ihre Entscheidung getroffen haben, scheint vollkommen angemessen zu sein. Sie folgt den kulturellen Normen unserer Gesellschaft, in der Paare dazu aufgefordert werden, sorgfältig und klar darüber nachzudenken, was sie eigentlich wollen, bevor sie sich dafür entscheiden, eine Familie zu gründen. Viele künftige Eltern entscheiden sich dafür, ein Baby zu bekommen, weil sie den tiefen Wunsch hegen, Kinder zu haben, und zwar auf der Grundlage des (vielleicht unausgesprochenen) Gefühls, dass ein Kind ihnen zu einem erfüllteren, glücklicheren und irgendwie vollständigeren Leben verhelfen wird.3 Obwohl viele Menschen erkennen, dass die Entscheidung einer Person, ein Kind zu haben, bedeutende äußere Effekte hat, so stellt man sich die Entscheidung doch so vor, dass sie notwendig eine intime, persönliche Komponente umfasst und somit eine Entscheidung ist, die man am besten vom persönlichen Standpunkt der zukünftigen Eltern aus treffen sollte.4 Ratgeber für künftige Eltern schlagen häufig vor, dass man sich fragen sollte, ob ein Baby ein bereits glückliches Leben bereichern wird, und ermuntern künftige Eltern dazu, beispielsweise darüber nachzudenken, wie sie sich in fünf und zehn Jahren sehen, ob sie sich bereit fühlen, für das menschliche Wesen, das sie gezeugt haben, zu sorgen und es aufzuziehen, ob sie meinen, dass sie eine glückliche und zufriedene Mutter (oder Vater) sein würden, ob ein eigenes Baby das Leben mit mehr Sinn erfüllen würde, ob sie für Zugeständnisse bereit sind, die mit dem Elternsein einhergehen, ob sie wünschen, ihre gegenwärtigen Karrierepläne oder anderen persönlichen Projekte fortzusetzen, und so weiter.5
Diese Einschätzung der eigenen Aussichten und Pläne für die Zukunft ist ein kulturell bedeutender Teil der Prozedur, bei der von einem erwartet wird, dass man sie durchläuft, bevor man anschließend versucht, schwanger zu werden. Da (üblicherweise) die Eltern die Hauptverantwortung für das Kind übernehmen, das sie zeugen, scheint es angemessen zu sein, die Entscheidung als persönliche Wahl zu formulieren, die den Wert der eigenen zukünftigen Erfahrungen sorgfältig abwägt.6 Menschen formulieren die Entscheidung häufig auf diese Art, wenn sie diese Wahl treffen. Und, noch wichtiger für meinen Zweck hier, es wird von uns erwartet (kulturell gesprochen) diese Entscheidung auf diese Art zu treffen. Angesichts der Größe der Verantwortung, die wir auf uns zu nehmen erwägen, wird von uns erwartet , dass wir sorgfältig über die persönlichen Auswirkungen unserer Entscheidung nachdenken. Viele entscheiden sich für ein Kind. Viele ziehen es vor, kinderlos zu bleiben.
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