Als Lore wach wird, ist Hans ist in Grübeleien in die politische Lage vertieft, denn heute sind Landtagswahlen in dem Kleinstaat Lippe. Die Nazis haben große finanziellen Mittel aufgebracht und ihre Starredner auf diese Landtagswahl konzentriert. Hitler und Göring sprachen dort in kleinen Landgaststätten. Die Herren brauchen einen Erfolg. Unbedingt soll ein ansehnliches Wahlergebnis das Wahlfiasko zur Reichstagswahl vom 6. November 1932 vergessen machen. Im November haben die Nazis zwei Millionen Stimmen verloren. Hans vermutet, dass besonders die Schwerindustrie weiter auf Hitler setzt. Schließlich hat sie viel Geld in diese Ansammlung verkannter Intellektueller, Demagogen, Kleinbürger und Lumpenproletarier investiert.
Den Optimismus seiner Partei der KPD bezüglich des Niedergangs der NSDAP teilt Hans Faber keineswegs. Nach dem morgendlichen Kaffee mit Lore macht sich Faber auf, um im Café im Hofgarten der Residenz, einem bekannten Nazitreff, neues zu erfahren. Freundlich verabschiedet er sich von Lore. Er übersieht ihren enttäuschten liebevollen Blick. Draußen ist es kalt. Trotzdem macht ihm der zwanzigminütige Spaziergang durch Kälte und Schnee von der Schraudolphstraße bis in den Hofgarten nichts aus. Es tut gut, sich bei innerer Erregung die Beine zu vertreten. Die Kälte kann sich jederzeit in einen nazistischen Feuersturm gegen die Arbeiterbewegung entladen, schießt es Faber durch den Kopf.
Rosenberg und Frank im Café
Gegen 11 Uhr sitzen die Herren Frank und Rosenberg bereits in ihrem Café. Freundlich begrüßen sie den „Parteigenossen“ Faber. Der Baltendeutsche Rosenberg, der „Blut und Boden Mystiker“ wird sogar von vielen Nazis verachtet. Seine Parteibibel „Der Mythos des 20. Jahrhunderts“ gilt als unverstehbar. Dennoch ist Rosenberg der „Parteiideologe“ und Herausgeber des „Völkischen Beobachters“.
Hans Frank gilt als Staranwalt der Nazis. Er wohnt in der Nähe von Fabers Kanzlei in der Barerstrasse. In einigen Prozessen verteidigte er Hitler. Mit seinen 33 Jahren ist er seit einiger Zeit Reichstagsabgeordneter und träumt von einem „neuen deutschen Recht“. Allerdings konnte er Faber nie genau erklären, wodurch denn das bürgerliche Recht ersetzt werden solle. Letztendlich bleiben nur antisemitische Ausnahmegesetze und die Beseitigung bürgerlich demokratischer Freiheiten. Nach der Kaffeebestellung fabuliert Rosenberg etwas vom „kommenden Reich und dem zu erwartendem großen Wahlsieg in Lippe“. Frank stimmt begeistert zu. Der Dialekt und die Ausdrucksweise von Rosenberg sind für Faber fast unerträglich. Als Agent muss er freilich den beiden Herren zustimmen. Nach einiger Zeit erscheint der SA Sturmbannführer August Schneidhuber im Café. Frank hielt sich nicht groß mit der Begrüßung des neuen Tischgastes auf. Seine lasziven Blicke richtete er auf die schöne kräftige Bedienung, der er einen „Klaps“ versetzte, nachdem sie Schneidhuber sein Bier sein Bier serviert hatte. „Aber Herr Abgeordneter RA Frank“ antwortete das Fräulein nur. Rosenberg ignorierte den Vorfall und entfernte sich mit der Bemerkung: „Ich bereite den Artikel bezüglich unseres Wahlsieges vor“. Auch Frank hatte plötzlich zu tun und verabschiedete sich. So blieb Faber mit dem grimmig dreinschauenden Schneidhuber alleine im Café. „Die mit ihren ewigen Wahlen“, bemerkte Schneidhuber, „wir müssen so oder so auf Berlin marschieren. Mit der Kommune werden wir fertig, die Reichswehr wird passiv bleiben und sich von Schleicher lösen. Es müssen endlich die Fetzen fliegen.“ Faber war sich des latenten Gegensatzes zwischen den SA-Rabauken und den NS-Politikern bewusst. Röhm hatte ihm einmal erklärt, wie wichtig der Soldat im Vergleich zum Politiker sei. „Vertrauen Sie auf den Führer“ sagte Faber zu Schneidhuber, nachdem er bezahlt hatte. Schnurstracks ging Faber nach Hause. Er musste zwei Berichte anfertigen, einen für die KPD-Abwehr und einen für „Neu Beginnen“. Lore würde enttäuscht sein, wenn er ihr erklärte, er müsse noch im Büro für morgen etwas abarbeiten.
Im Englischen Garten Baum 3 und Baum 6
Nachdem Faber das Erinnerungsprotokoll geschrieben hatte, machte er sich gegen 16 Uhr mit seinem kleinen Terrier Poldi auf den Weg zum sogenannten „Baum 3“ in der Nähe des „Chinesischen Turmes im Englischen Garten. Baum 3 war der Treff mit Leuten von „Neu Beginnen““. Ein kleiner Hund eignet sich bestens als Tarnung und Kommunikationsmittel. Wenn Faber mit bestimmten Leuten spricht könnte, man sich ja auch über den neuesten Sprint oder den letzten Streich des Hundes unterhalten. Pünktlich gegen 16:30 Uhr trat bei Baum 3 ein junger Mann auf Hans Faber zu und fragte nach der Hunderasse.
Es war Hermann Frieb, der Leiter der „Sozialistischen Studenten“. Frieb war sehr unauffällig und von daher besonders geeignet für illegale Treffs. Faber war sich nicht sicher, ob Frieb bereits Mitglied bei „Neu Beginnen“ war. Aber die Organisation hatte ihn geschickt. Während des Gesprächs steckte Faber dem jungen Sozialisten seinen Bericht zu. Eindringlich sprach Faber davon, dass die Nazis bald die Macht ergreifen könnten und fragte nach den Vorbereitungen innerhalb der Sozialdemokratie für diesen Fall. Frieb meinte: „Der Reichsbanner und die Eiserne Front kämpfen, die Arbeiter auch. Das Problem ist nur, dass die Kommunisten fast nicht mehr in den Betrieben vertreten sind. Unsere sozialdemokratischen Arbeiter brauchen aber einen Anstoß oder eine Anweisung von oben, vielleicht auch eine Initiative von außen. Die kann nur von der KPD kommen. Momentan gibt es keine konkrete militärische Vorbereitung und auch keinen Plan für einen Generalstreik. Erhard Auer, unser wuchtiger Münchner SPD Bonze ist optimistisch und streng legal.“ Nach diesen Worten entfernte sich der junge Mann unauffällig.
Faber ging weiter zu Baum 6 am Eisbach, dem Treffpunkt mit Hans Hartwimmer vom Abwehrapparat der KPD. Hartwimmer war ursprünglich ganz rechts und Mitglied im Bund Oberland. Über den „Aufbruch-Kreis“ stieß er zur KPD. Seine Herkunft und sein militärisches Gehabe machten ihn ungeeignet für die eigentliche Parteiarbeit, dafür aber umso geeigneter für die Vorbereitung der Abwehr oder eines Aufstands. Hartwimmer wartete schon frierend mit einem Dackel. Faber und Hartwimmer tauschten die üblichen Formalitäten aus, dann, ging es um die Sache.
Hartwimmer war sich nicht sicher, ob Schleicher tatsächlich stürzen würde. Auf Fabers Fragen nach Waffenlagern berichtete Hartwimmer von Lagern nicht nur in München, sondern auch in Penzberg und in der Nähe von Rosenheim. Er sprach auch von Befehlshabern und war ziemlich optimistisch. Am Schluss sagte Hartwimmer noch, „zuerst muss der Sozialfaschismus der SPD überwunden werden, bevor wir wirklich gegen die Nazis kämpfen können“. Für Faber war diese ultralinke Phrase niederschmetternd. Geknickt ging er mit Poldi zurück in seine Wohnung in der Schraudolphstrasse. „Warum können, die nicht mal eine Schrift von Trotzki zur Lage in Deutschland lesen“, dachte er sich.
Der Januar zog sich hin. Faber fand seine Mandanten ziemlich langweilig. Meist betuchte Kleinbürger, die irgendwie Steuern sparen wollten und Verfahren gegen das Finanzamt führten. Dazu waren meisten ziemliche Antisemiten - angeblich würden jüdische Zahnärzte in Deutschland keine Steuern zahlen und ähnlichen Unfug.
Am 28. Januar meldete der Rundfunk den Rücktritt Schleichers als Reichskanzler. Hitler war nun ständig in Berlin. Die Osteria in der Schellingstraße musste auf ihren Stammgast kurzfristig verzichten. Faber wurde das Ganze immer unheimlicher.
Dann kam am 30. Januar die Nachricht, dass Hitler Reichskanzler sei. Die Nationalkonservativen in der Maxvorstadt waren von dieser Nachricht nicht irritiert. Gerd Müller, ein stockkonservativer Juwelier, sagte zu Faber auf der Straße: „Der Hitler wird eingebunden, die Herren Papen und Hugenberg werden euren Führer schon zähmen“. Faber eilte ins „Braune Haus“ in der Briennerstraße. Wie würden die Leute dort reagieren. Schließlich benötigte er die neuesten Nachrichten für den KP-Apparat und für „Neu Beginnen“.
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