Die Telefonnummer des Geldeintreibers wurde vom Mobilfunkprovider mitgeliefert. Sie stand im Dateinamen kodiert, neben Datum und Uhrzeit des Anrufs. Die Nummer gehörte zu einer zwielichtigen Person, die bereits mehrfach der Polizei aufgefallen war und dem »Glückspiel-Schrägstrich-Rotlicht-Milieu« zuzuordnen war: Peter Zamblowski.
Brandtner knallte ihren Zeigefinger lautstark auf die Tastatur und sagte: »Genug für heute. Mir brennen die Augen.«
»Willst Du noch diesen Zamblowski aufsuchen?«
»Na gut, aber dann ist wirklich Schluss.«
Hohenstein sah auf seine Uhr: 19:23.
Als sie in den Hof des Polizeipräsidiums traten und plötzlich von klimatisierter Luft in die Hitze des Sommerabends kamen, fühlte Hohenstein sich wie mit einem Kissen geschlagen.
»Meine Güte, wie heiß soll es denn noch werden?«
Im Wagen sah er an Brandtner, die auf dem Fahrersitz saß, vorbei auf das Display und erkannte, dass die Außentemperatur bei 35 Grad lag.
»Morgen soll es noch heißer werden. Sie reden von bis zu 40 Grad«, kommentierte sie seinen Blick.
»Das geht doch gar nicht, nicht in Deutschland!«
Brandtner schaltete freiwillig die Klimaanlage an. Sie fuhren in die Nähe des Hauptbahnhofs und parkten in zweiter Reihe neben einer Ausfahrt. Gleich daneben befand sich der Eingang zu einem Nachtclub mit dem Namen: »Ständer' Garanti«.
Abgesehen davon, dass der Name einen Rechtschreibfehler und ein Deppen-Apostroph enthielt, Zweifel am Versprechen aufkommen ließ, der Club noch geschlossen war und das Haus einen so abstoßenden Eindruck machte, dass Brandtner am liebsten in Schutzkleidung angerückt wäre, stank es im Treppenhaus des Nebeneingangs so erbärmlich und widerlich, dass sie beide den Tag verfluchten, an dem sie bei der Polizei angefangen hatten.
Die Tür war offensichtlich vor einiger Zeit aufgebrochen worden, es hatte sich aber niemand um eine Reparatur gekümmert. Stattdessen war jede weitere Tür im Haus doppelt und dreifach gesichert. Das machte das Treppenhaus zu einer Art demilitarisierten Zone, in der die Überreste von Sex, Drogenkonsum und Notdurft koexistieren.
Sie stiegen in den zweiten Stock hinauf. Auf dem Weg dorthin schlief auf einem Absatz ein Mann in einem infernalisch stinkenden Schlafsack.
Sie klingelten an der Tür. Nach einer Weile öffnete ein nahezu unbekleideter Mann. Kaum eins siebzig groß, muskulös und vielfach tätowiert.
»Wat?«
»Brandtner und Hohenstein, Kripo Frankfurt. Sind Sie Herr Zamblowski?«, Igor hielt ihm seinen Dienstausweis vor die Nase.
»Ja, und?«
»Können wir kurz hereinkommen? Hier draußen stinkt es fürchterlich.«
»Ist der schon wieder da?«, der Mann ging zum oberen Rand der Treppe, sah auf den Schlafsack herab und fing an, laut zu brüllen: »Du krankes Arschloch, ich hab gesagt, dass Du verschwinden sollst!«
Von unten kam nur ein raues Brummen.
Zamblowski watschelte wieder in seine Wohnung und ließ die Tür offen, was die Kommissare als Einladung verstanden. Der Flur war dunkel und es stand nicht näher erkennbarer Kram herum.
Das Wohnzimmer wurde von drei hohen Fenstern in Licht getaucht, auch wenn es durch vergilbte Gardinen stark gefiltert hereindrang. Ein großer Flachbildschirm lief und Zamblowski saß auf einer alten, durchgesessenen Couch, die älter als er selbst sein musste. Irgendjemand hatte sie mit schwarzem Stoff bezogen, der mit orangefarbenen Blüten bedruckt worden war.
Vor der Couch stand ein Wohnzimmertisch mit braunen Kacheln als Oberfläche.
Brandtner stürmte vor: »Wo waren Sie heute Morgen gegen sechs Uhr dreißig?«
»Wieso?«, er schob mit einer kleinen Maschine Tabak in eine leere Zigarettenhülse und steckte sich die Seite mit dem Filter in den Mund.
»Antworten Sie bitte«, sagte Hohenstein sanft.
Zamblowski hob die Augenbrauen, ließ sich gegen die Rückenlehne fallen, rieb sich mit der Hand, in der er die Zigarette hielt das rechte Auge.
»Da hab ich den Club geschlossen. Ist die morgendliche Routine. Die besoffenen Kunden rausschmeißen, die Fifi’s abkassieren, aufpassen, dass die Putzkolonne nix aus der Bar klaut und, wenn alle gegangen sind, Tür abschließen und ins Bett fallen.«
»Kann das jemand bezeugen?«, fragte Brandtner.
»Natürlich. Ein Haufen Leute.«
»Woher kennen Sie James Cox?«
»Die Pissnelke?«, er nahm einen tiefen Zug durch seine Zigarette und blickte Brandtner starr durch den Qualm an.
»Hat der sich beschwert? Hat er eine Anzeige erstattet?«
»Nein, er ist tot.«
Einen kurzen Moment – für die Kommissare aber deutlich erkennbar – ließ der Mann seine Maske fallen und sie sahen einen Anflug von Entsetzen. Nur eine halbe Sekunde, dann hatte er sich wieder im Griff. Für Hohenstein war diese Reaktion ein klares Zeichen, dass Zamblowski nichts mit dem Tod zu tun gehabt haben konnte.
»Der blöde Sack. Macht hier Schulden und lässt uns hängen.«
»Wieviel?«, fragte Hohenstein.
»Zwanzig Riesen.«
»Wie ging das? Hatte er ein paar Mädchen und dann anschreiben lassen?«
»Quatsch, der hat die nicht angefasst. Hat in der Poker-Runde mitgemacht. Letztes Wochenende hatte er mal keinen guten Lauf, wie sonst. Hat immer weiter verloren. Bei zwanzig in den Miesen ist er raus.«
»Haben Sie eine Glücksspiellizenz?«, fragte Brandtner.
Zamblowski sprang auf die Füße, »Ich sag gar nichts mehr. Wenn Sie noch was wissen wollen, fragten Sie meinen Anwalt.«
»Schon gut«, beruhigte ihn Hohenstein und reichte ihm seine letzte Visitenkarte. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an.«
Auf der Straße unten konnten sie wieder Luftholen. Die Häuser und der Asphalt strahlten noch die Hitze des Tages ab. Doch langsam wurde es kühler.
Sie stiegen in den Wagen und Hohenstein fragte, ob Brandtner etwas Trinken gehen wollte. Doch sie lehnte ab, lud ihn im Gegenzug ein, mit zu ihr zu kommen. Er lehnte ebenfalls ab und ließ sich in der Nähe seiner Wohnung absetzen.
Statt in das kleine Apartment zu gehen, lenkte er seine Schritte in einen nahegelegenen Biergarten. Unter den alten Kastanien würde er den Abend verbringen. Ein weiteres Mal sah er auf die Uhr: 20:58.
Er setzte sich an einen grünen Plastiktisch, einen von der Sorte, bei der man immer im weiß gestrichenen Metallgestänge hängen blieb. Die dazu passenden Stühle waren unbequem und schmerzten in Hohensteins Rücken. Eine Kellnerin kam und er bestellte einen großen Sauergespritzen.
Aus seiner Umhängetasche fischte er sich einen weiteren von Cox' Berichten, sah kurz hinein und steckte ihn wieder zurück in die Tasche und nahm stattdessen eine Ausgabe der FAZ heraus und überflog einige Artikel. Bei einem blieb er hängen: Eine Hackertruppe hatte diverse Investmentfirmen und Banken gehackt. Ob dies auch der SB&M geschehen könnte? Die Truppe nannte sich kryptisch »m2.corps«. Nachdem er eher abwesend noch ein oder zwei Artikel zu lesen versucht hatte, saß er einfach nur da, beobachtete die kleinen Bläschen in seinem Glas dabei, wie sie aufstiegen und dachte nach.
Eine Weile später – der Biergarten hatte sich gefüllt – fragte ihn ein Mann, ob er sich dazu setzen könne. Hohenstein deutete stumm auf die freien Stühle.
Der Mann war groß und gut gekleidet. Seine blonden Haare trug er etwas länger - er musste sie beim Hinsetzen aus dem Gesicht streichen. Das Hemd ließ den Blick auf seine Brust frei, ein älteres, da schon grünlich gefärbtes, Tattoo lugte hervor - aber zuwenig, um erkennbar zu sein. An einer goldenen Kette baumelte ein russisches Kreuz auf der haarlosen Haut.
Seine Augen waren dunkelbraun und Hohenstein bemerkte dies, da der Mann ihm fest in die seinen starrte. Offensichtlich hatte er Hohensteins Musterung bemerkt.
»Suchen Sie nach etwas Bestimmtem?«, fragte der Fremde nicht unfreundlich.
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