Stephan Kesper - Sealed

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Die schlimmsten Befürchtungen von Hendrik Prescott, Astronaut bei der NASA, erfüllen sich, als er bemerkt, dass er mit seinen Kollegen durch ein Wurmloch gefallen und tausende von Lichtjahren entfernt von zu Hause gestrandet ist. Als er dann noch ein fremdartiges Schiff auf ihn zu kommen sieht, weiß er ganz genau: Es ist alles anders und es wird nie wieder so wie früher sein.

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Stephan Kesper

Sealed

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Inhaltsverzeichnis Titel Stephan Kesper Sealed Dieses ebook wurde erstellt bei - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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2035

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Impressum neobooks

2035

Hendriks Blick fiel durch das Fenster hinaus zu den Baumkronen, die sich majestätisch im Wind hin und her wiegten. Das Rauschen der trockenen Zweige, die aneinander rieben, drang deutlich durch den undichten Fensterrahmen. Weiße Wolken jagten über den tiefblauen Himmel und die Sonne schien so hell, dass sie in seinen Augen schmerzte. Die letzten kalten Tage lagen hinter ihnen, der Frühling begann mit endlos scheinender Kraft und würde es bald unmöglich machen, ohne Schutz draußen herumzulaufen.

»Hendrik Prescott!«, die Klassenlehrerin Miss Turner hatte sich vor ihm aufgerichtet und starrte ihn wutentbrannt an. Im Klassenraum herrschte Stille und er spürte die Blicke der anderen Schüler wie Nadelstiche auf der Haut.

»Pass gefälligst auf, sonst kannst du den Nachmittag beim Nachsitzen verbringen.«

Die Highschool wurde ihm immer lästiger. Nichts von dem, was sie ihm erzählten, interessierte ihn. Und das, was ihn interessierte, brachten sie ihm nicht bei. Mathematik stand zwar auf dem Lehrplan der Schule, doch die Themen, die ihn interessierten fehlten dort.

Miss Turner versuchte seit einigen Wochen, am Rande der Verzweiflung, der Klasse die Grundlagen der Differentialrechnung beizubringen. Dabei hatte Hendrik dieses Stadium bereits hinter sich gelassen. Differentialrechnung, Differentialgleichungen, partielle Differentialgleichungen, nichtlineare partielle Differentialgleichungen, elliptische nichtlineare partielle Differentialgleichungen und so weiter. All das hatte auf seinem eigenen Lehrplan des vergangenen Jahres gestanden.

Die Hitzewelle des letzten Sommers hatte er in der Nähe der Klimaanlage der College-Bibliothek verbringen müssen. Die Stadt konnte sich keine eigene Bibliothek leisten, daher durften die Bewohner des Städtchens Lakeview die Bibliothek des Colleges mitbenutzen. Der Deal mit der Hochschule bestand daraus, dass die Stadt sich an den Betriebskosten beteiligte, einen Mitarbeiter stellte und das College kümmerte sich um den Rest. So durften die Schüler dort ihre Bücher ausleihen und sich im Lesesaal aufhalten, solange sie »die Regeln« beachteten. Die Erste und Wichtigste von diesen: leise sein! Die meisten Schüler schafften das nicht, da sie immer in Gruppen in den Lesesaal polterten, sich unterhielten und Unsinn trieben und so auch gleich wieder hinausgeworfen wurden.

Hendrik tauchte immer alleine auf und wurde so zum Liebling des alten Charles Fitch – des von der Stadt gestellten Mitarbeiters – der im Lesesaal für Ruhe und Ordnung sorgen sollte. Mr. Fitch, ein ehemaliger Soldat, zog aufgrund einer Kriegsverletzung aus dem zweiten Irak-Krieg sein rechtes Bein nach. Seine grauen Haare wuchsen dicht und er brauchte zum Lesen eine kleine Brille, die er meistens in der Brusttasche seines Holzfällerhemdes trug.

»Also Hendrik, kannst du mir sagen, was dabei herauskommt, wenn man die Funktion f von x ist gleich x hoch zwei ableitet?«, unterbrach Miss Turner seine Gedanken.

»Ja«, die Frage hielt er für eine Unverschämtheit. Natürlich konnte Miss Turner das nicht wissen, aber Hendrik hatte keinesfalls vor, auch nur ein weiteres Wort darauf zu verschwenden. Sein Blick wandte sich wie von selbst wieder den Baumkronen zu und seine Ohren konzentrierten sich auf das Rauschen des Windes, der mit den nackten Zweigen spielte.

Dann traf Hendrik eine Papierkugel am Hinterkopf. Beim Umdrehen erkannte er bereits die vom Hass verzerrten Gesichter seiner Mitschüler.

»Danke, du Arsch!«, zischte ihm Tommy-Lee zu, der zwei Bänke weiter saß.

»Auch du, Hendrik. Alle Bücher zu, wir schreiben einen Test. Bedankt euch bei eurem Klassenkameraden.«

Er seufzte tief, denn er wusste, was das bedeutete und was in den nächsten Wochen auf ihn zukam. Er konnte den zugeklebten Schulschrank schon vor seinem inneren Auge sehen. Wie seine Turnschuhe sich »zufällig« hoch oben in den Ästen eines Baumes wiederfanden, oder »von selbst« plötzlich über einer Stromleitung hingen. Er wusste, dass er viele platte Fahrradreifen würde aufpumpen müssen. Halt genau die Art von Rache, die seine Mitschüler aus dem Effeff beherrschten.

Er zog ein Blatt Papier aus dem Block, der vor ihm auf dem Pult lag, beantwortete die beleidigend einfachen Fragen in wenigen Minuten und verließ den Raum, lange bevor die Anderen auch nur daran denken konnten. Er legte den Zettel mit den Antworten auf den Tisch von Miss Turner, die ihn vorwurfsvoll ansah und sich gleich an die Korrektur machte. Augenblicke später hüpfte er bereits die Stufen der Treppe des Haupteingangs hinunter, lange bevor seine Klassenkameraden ihn abpassen und einem spontanen, überaus kreativen Racheakt unterziehen konnten. Denn die Mathematik-Stunde beendete den Schultag. Er nutzte die Gelegenheit, schwang sich auf sein Fahrrad und verschwand vom Schulgelände.

Er suchte seinen Lieblingsplatz am See auf, den er genauso einsam wie immer vorfand. Er brauchte diese Abgeschiedenheit, mit den Jungs seines Alters konnte er nicht viel anfangen. Und die Mädchen schienen umgekehrt mit ihm ein Problem zu haben.

Die Sonne glitzerte auf den kleinen Wellen auf dem Wasser des Stausees. Das Gelände gehörte der Stadt. Dort hatten vor Jahrzehnten einige Gebäude gestanden. Sie waren mittlerweile abgerissen worden und nur zwei der Fundamente erinnerten noch daran. Zwischen Bodenplatten und den Rissen wuchsen Gräser und kleine, blau blühende Pflanzen.

Als er sich auf den Beton einer ehemaligen Halle setzte, spürte er die Kälte der Platte durch seine Jeans hindurch. Er zog das Schulmathematik-Heft aus der Tasche (in das er nur das unwichtige Zeug aus der Schule hineinschrieb) und benutzte es als Unterlage für seinen Hintern.

Dann nahm er das »richtige« Heft hervor, sowie ein Buch mit dem Titel »Advanced Calculus«, schlug es auf und begann die Aufgaben am Ende des dritten Kapitels zu bearbeiten, zur Vertiefung des Inhalts.

Nachdem er das vierte Kapitel zur Hälfte durchgearbeitet hatte, sah er auf, blinzelte in das helle Licht und bemerkte, dass die Sonne auf ihn herunter brannte. Er stand auf und zog seine Jacke aus. Als er sich umdrehte, sah er ein Mädchen, das schräg hinter ihm auf einem alten, umgefallenen Baumstamm saß. Er erschrak so, dass er sich beinahe auf den Hintern gesetzt hätte – woraufhin sie so heftig lachen musste, dass sie in Gefahr geriet es ihm gleichzutun.

»Du warst total weg und hast mich gar nicht bemerkt«, das schien sie außerordentlich zu amüsieren.

Hendrik spürte, wie ihm Blut ins Gesicht schoss.

»Was machst du hier?«

Sie setzte eine verdutzte Mine auf: »Brauche ich deine Erlaubnis, um hier zu sein?«

»Nein ... aber sonst kommt nie jemand her. Ich bin immer alleine hier.«

»Und so gefällt es dir?«

»Nicht immer - wenigstens besteht hier keine Gefahr, in einen Schrank gesteckt zu werden.«

Sie lachte wieder.

»Was machst du?«, fragte er mit einem Blick auf den Block, den sie auf ihrem Schoß balancierte.

»Ich zeichne nur etwas - katastrophal. Meine Karriere als Künstlerin ist in diesem Augenblick zu Ende gegangen.«

»Wann hat sie denn angefangen?«

»Vorhin«, Hendrik konnte nicht anders und stimmte in ihr Lachen ein.

Dann nahm er all seinen Mut zusammen und versuchte beiläufig zu klingen: »Es ist ganz schön warm, willst du ein Eis?«, ihm wurde heiß im Gesicht, das hieß, es musste eine puterrote Farbe angenommen haben. Pochend machte sich sein Herz bemerkbar.

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