Bei einer Tankstelle in der Nähe von Lausanne nahm mich eine junge Dame aus Genf mit.
Man könnte sie wohl mit dem Begriff „rassige Frau“ bezeichnen, denn ihre Fahrweise war überaus beherrscht aber verdammt schnell, eben „rassig“ und absolut lebensfroh.
Ihr roter Mini Cooper schien sich nur bei Geschwindigkeiten über 120 km/h wohl zu fühlen und die Fahrerin ignorierte prinzipiell jede angegebene Geschwindigkeitsbeschränkung. Sie fuhr wirklich souverän und sicher, nur wenn sie ihre nächste Gauloise anzündete schien es mir, dass ihr die Zigarette wichtiger sei als das was draussen geschah. Nach der Ausfahrt „Rolle“ übernahm ich das Befeuern der Blauen.
Sie stellte sich vor als „Corinne“, Studentin und anscheinend „Tochter des Hauses“.
Als sie von mir erfahren hatte, dass ich Arbeit suche, betrachtete sie mich ausgiebig von der Seite (bei Tempo 120) und meinte dann, ob ich es bei ihnen als Gärtner und Portier versuchen wolle. Ich hätte mein eigenes Häuschen beim Parkeingang. Über Lohn und Arbeitsvertrag müsste ich mit ihrem Vater verhandeln. Für die Pflege des Gartens hätte ich bei Bedarf jederzeit drei Arbeiter zur Verfügung, aber das sollte ich alles mit „Papa“ besprechen.
Ich akzeptierte sofort, denn ich war völlig abgebrannt, hatte keine zwei Franken mehr in der Tasche und keine Ahnung wie es weitergehen sollte.
Sie sagte, dass ihr Vater erst in etwa einer Woche aus New York zurück sein werde, aber inzwischen werde sie mich quasi auf Probe einstellen und ich könnte mich schon etwas einarbeiten. Ob ich überhaupt etwas von der Sache verstehe, fragte sie lachend.
Ich konnte sie beruhigen, denn ich hatte sogar ein Arbeitszeugnis von einem bekannten Gartenbaubetrieb in der Ostschweiz bei mir.
Mit dem Essen könne ich es halten wie es mir passe, entweder mit den übrigen Angestellten zusammen oder selber haushalten in meinem Häuschen, was bisher alle meine Vorgänger vorgezogen hätten.
Mit dieser Formel war ich einverstanden, denn ich liebe die Autonomie über alles.
Etwas peinlich war mir, dass ich meine neue Arbeitgeberin schon vor Beginn meiner Tätigkeit um einen Vorschuss anbetteln musste, aber sie hatte volles Verständnis für meine prekäre Lage.
An meinem neuen Arbeitsplatz angekommen rieb ich mir erst mal die Augen, denn so gross, so herrschaftlich hatte ich es mir nicht vorgestellt. Das Gärtnerhaus, etwas zurückgesetzt, gleich neben dem Eingangstor, hatte eine geräumige Dreizimmerwohnung, daran angebaut war eine Werkstatt, Geräteschuppen und gedeckte Stellplätze für den Maschinenpark, ein paar Schritte weiter weg stand ein grosses Gewächshaus. Auf der anderen Strassenseite, ausserhalb des Tores, war das Ufer des Genfer Sees. Etwa 300 Meter weiter oben stand das Herrenhaus, eine riesige Villa und das alles lag in einem weitläufigen Park mit grossen alten Bäumen, Palmen und einem kleinen Bambuswald. Ein Park, über den ich in Zukunft herrschen würde.
Da stand eine Aufgabe vor mir, die nach meinem Geschmack war. Ich musste mich zwar noch fachlich etwas klug machen, denn mir fehlte die entsprechende Grundausbildung, aber meine Devise war immer, was man will, kann man auch erreichen und für alle Probleme gibt es Bücher.
Ausser mir war da noch das Hauspersonal, eine italienische Köchin mit ihrer Tochter (als Hilfskraft), ein echter englischer Butler, ein Dienstmädchen und der Chauffeur des Chefs.
Und das alles für vier Personen, Monsieur S. ein bekannter Genfer Bankier, seine Frau und deren Schwester und natürlich Corinne, die Tochter des Hauses.
Und dann waren da noch die zwei Dobermann Hunde, stattliche und gefährliche Burschen, die man mir anvertrauen wollte, sobald sie sich an mich gewöhnt hätten. Sie bewachten den eingezäunten Park in der Nacht, am Tag lungerten sie um das Gärtnerhaus herum, immer das grosse Eingangstor im Blick, das aber praktisch dauernd verschlossen war. Über eine Gegensprechanlage am Tor konnte man Kontakt aufnehmen mit dem Pförtner oder mit dem Büro des Chefs. Dort arbeiteten manchmal zwei seiner Sekretäre, vornehme, etwas steife Bürohengste, die aber häufig auf der Chefetage der Bank in der Stadt gebraucht wurden.
Mir gefiel es vom ersten Tag an und ich versuchte in meine Rolle hineinzuwachsen.
Ich ahnte zwar schon, dass es an Arbeit nicht mangeln werde, aber da ich selber zu bestimmen hatte was, wann und wie gemacht werden musste und für die Gartengestaltung ziemlich freie Hand und einen ausreichenden Kredit hatte, machte mir diese Aufgabe grossen Spass.
Meine Arbeit als Pförtner bestand darin, dass ich jedermann, der das Tor passierte namentlich notieren musste mit dem Zeitpunkt des Kommens und des Gehens, Hausbewohner inbegriffen. Wenn der Chef aber wichtigen Besuch erwartete, dann musste ich eine Uniform anziehen samt der dazu passenden Schirmmütze und neben dem geöffneten Tor stramm Stellung beziehen. Auch diese hohen Gäste hatte ich, mit genauer Uhrzeit versehen, zu notieren.
Lieferanten, also Bäcker, Fleischer und Getränkehändler durften bis zum Haus fahren, wenn sie mir bekannt waren, aber auch bei denen hatte ich immer einen Blick in die Laderäume zu werfen. Fremde oder unangemeldete Personen kamen nicht durch das Tor.
So quasi zur Selbstverteidigung hatte ich neben den Dobermännern noch eine Waffe in erreichbarer Nähe und das war eine alte Schrotflinte, mit der ich übrigens auch Raben und Eichelhäher im Park in Schach hielt, wenn sie allzu grossen Schaden anrichteten.
Als der Chef zurückgekehrt war, rief er mich auf sein Büro. Ich hatte ihm vorher mein Bewerbungsschreiben, meinen Lebenslauf und den Auszug aus dem Strafregister zukommen lassen. Ich erzählte ihm aber auch, dass letzteres vielleicht einen Eintrag erhalten könnte und weshalb. Die Geschichte mit dem Faustkampf, den ich mit dem Schwiegervater in spe ausgefochten hatte, schien ihn zu amüsieren und dass ich über meinen K. O. Sieg nicht besonders stolz war fand er richtig. Er gab mir den Rat, diese Geschichte bald einmal gütlich zu regeln, im Falle von gerichtlichen Konsequenzen könne ich auf juristische Hilfe von Seiten der Bank rechnen, denn als Angestellter der Firma hätte ich ein Recht darauf.
Das hiess im Klartext, dass ich meinen Job erhalten hatte.
Nach der Vertragsunterzeichnung händigte er mir noch 2000 Franken Vorschuss aus, für Einrichtung im Gärtnerhaus, für Arbeitskleidung und für meine persönliche Garderobe, denn der Chef verlangte von allen Angestellten, dass sie „anständig“ gekleidet waren. Dann wollte er noch wissen, in welchem Verhältnis ich zu seiner Tochter stehe und da konnte ich ihm versichern, dass da absolut nichts sei.
Er war scheinbar misstrauisch geworden, weil Corinne von mir geschwärmt hatte, aber, so meinte er, gehe es ihn ja nichts an. Ich sollte aber noch wissen, dass sie schon vergeben sei und ihr Zukünftiger sei ein eifersüchtiger Gockel.
Die Hausangestellten nahmen mich sofort in ihren Kreis auf, jeder auf seine Art und Weise. Die Köchin Francesca, eine stämmige Frau aus dem Piemont glaubte, mich unter ihre Fittiche nehmen zu müssen, denn dass ich da unten allein haushalten wollte, gefiel ihr gar nicht. Sie sah mich schon als verhungertes Skelett vor dem Eingangstor liegen, denn Männer könnten ja viel, aber zu sich selber Sorge tragen, das könne keiner von ihnen.
Sie schickte dann fast täglich ihre Tochter, die sechzehnjährige Rosetta, mit einem Stück Braten oder einem Teller Ravioli zu mir ins Gärtnerhaus um sicher zu sein, dass ich nicht verhungere.
Der Butler „schwebte“ immer irgendwie irgendwo herum, völlig abgehoben und unnahbar in seinen weissen Handschuhen und mit seinem kritischen Blick, der alle und alles zu taxieren und gleichzeitig zu ignorieren schien, was nicht seinen Meister betraf.
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