Der Chauffeur Ali, ein Tunesier, etwa in meinem Alter, war ein feiner Typ, ein intelligenter Bursche mit dem ich sehr gut auskam.
Das Dienstmädchen Stella, eine junge Frau aus Süditalien hatte vor allem den zwei Frauen im Herrenhaus zu dienen, der Frau des Chefs und deren Schwester Lucie, der Künstlerin des Hauses.
Lucie spielte leidlich gut Klavier, aber sie fühlte sich momentan ausschliesslich zur Malerei hingezogen, sie befand sich im grossen „Rausch der Farben“.
In mondhellen Nächten schritt sie manchmal geistesabwesend durch den Park und deklarierte Gedichte, vor allem eigene, die sie „postromantische Elegien“ nannte. Aber sonst war sie eine kluge und umgängliche Person mit einer starken Neigung zur Bohème und allerlei Verrücktheiten, die gerade en „vogue“ waren. In dieser korrekten und formalen Umgebung hier war sie aber absolut nicht das schwarze Schaf, sondern eher ein Lichtschein im Dunkel und wurde auch so wahrgenommen.
Sie war eine vielgereiste Person, kannte Paris, New York und Buenos Aires und die jeweilige aktuelle Kunstszene, sie wusste viel und kannte sich in den schönen Künsten bestens aus, ihr eigenes und grosses Problem war aber der Umstand, dass sie nicht wusste ob sie Komponistin, Malerin oder Lyrikerin war. Sie rang um Gewissheit und verplemperte ihre Zeit im nutzlosen Nachdenken und Überlegen.
Als ich ihr einmal den Rat gab, einfach immer das zu tun, wozu sie im Moment Lust hatte, schaute sie mich ganz verdutzt an.
„Aber ich muss doch endlich wissen, wo meine wahre Berufung liegt“
„Warum nicht in allen drei Sparten,“ gab ich ihr zu bedenken, Multitalente hatte es schon immer gegeben, denke man nur an Michelangelo oder Leonardo. Der Maler Paul Klee war auch ein guter Musiker und Gottfried Keller war kein schlechter Maler gewesen.
Überlassen wir doch der Nachwelt das Urteil, ob wir richtig gewählt hatten,“ riet ich ihr und wurde dafür stürmisch umarmt.
Zwei Tage später teilte mir Corinne mit, dass ihre Tante Lucie irgendwann in nächster Zukunft in Genf eine Galerie eröffnen wolle, so eine Art Treffpunkt von Lyrik, Musik und Malerei. So nebenbei erfuhr ich auch, dass die beiden Schwestern die ursprünglichen Besitzerinnen der Bank waren und auch heute noch die Aktienmehrheit besassen. Die Frau des Chefs war die unsichtbare graue Eminenz der Bank. Sie war die alte Glucke, die im versteckten Nest auf den goldenen Eiern hockte. Damit das Geld auch zusammenbliebe, musste eine Heirat Lucies mit allen Mitteln verhindert werden, ihre Verschwendungssucht hingegen wurde gefördert, denn immer wenn sie Bares brauchte, verkaufte sie ihrem Schwager einige Bankaktien und so verschoben sich die Mehrheitsverhältnisse in der geplanten Richtung. Die Bank war die Familie und umgekehrt. Die Zukunft der Familie und damit der Fortbestand der Bank war wichtig und Corinne, das einzige Kind der Bank trug dafür die volle Verantwortung. Sie würde einst über die absolute Mehrheit verfügen, zusammen mit ihrem Verlobten, dem Vizedirektor der Bank dann sogar über die Zweidrittelmehrheit.
Es war abgemacht, dass die Heirat stattfinden werde nach ihrer Promotion an der Uni und um diesen Zeitpunkt etwas hinauszuschieben hielten sich ihre Anstrengungen im Studium in Grenzen. Sie wollte ihre Freiheit noch geniessen so lange wie möglich.
Ich befragte sie manchmal über ihren Zukünftigen, erhielt aber nur ausweichende Antworten, merkte aber, dass hier nicht die grosse Liebe, sondern das grosse Geld im Zentrum stand.
Noch am gleichen Tag machte ich die Bekanntschaft mit dem Herrn Vizedirektor.
Er stand mit seinem Wagen vor dem Tor und verlangte in sehr barschem Ton, dass ich ihm sofort öffne.
Da er sich nicht vorgestellt hatte, kontrollierte ich das Nummernschild und fand es nicht auf der Liste der zugelassenen Fahrzeuge. Ich teilte es ihm via Gegensprechanlage mit und fragte ihn, wer er sei, denn ich hatte ihn noch nie gesehen.
Damit löste ich eine Schimpftirade aus und Verwünschungen, die mich für den Rest meines Lebens krumm und bucklig hätten machen können.
Schliesslich sagte er, wer er sei, ich entschuldigte mich höflichst beim Herrn Vizedirektor und liess ihn passieren, meine rechte Hand zum Gruss an der Mütze, wie es sich gehörte.
Vor der Pförtnerloge hielt er an und befahl mir, in der Zwischenzeit sein Auto zu waschen.
Ich bedauerte sehr, dass ich dafür nicht zuständig sei und zudem nach meinem Arbeitsvertrag nicht das Recht habe für andere Leute Arbeiten auszuführen.
Sein Kopf nahm die Farbe einer reifen Tomate an, die gewaltige Stimme versagte und ich hatte einen Moment lang Angst, der Schlag treffe ihn.
Eine weisse Staubwolke bewegte sich rasch zum Herrenhaus hinauf.
Etwa eine Stunde später wurde ich ins Büro des Chefs zitiert.
Der Chef thronte, wie Gottvater in seinem schweren Ledersessel, seinen Vize neben sich und wollte genau wissen, was da los gewesen sei.
Zuerst entledigte sich der Vize seiner Version, dann durfte ich mich verteidigen.
Statt dessen liess ich mein Tonbandgerät laufen, eine meiner neusten Errungenschaften, und man hörte nun Wort für Wort unserer Unterhaltung am Tor.
Die Tomate platzte schier und der Chef verfolgte den Diskurs mit einem Grinsen auf den Stockzähnen.
Ohne weiter darauf einzugehen meinte er dann zum Vize, dass man diese neue Technik der Sprachaufzeichnung im Geschäft unbedingt auch einführen müsse bei wichtigen Gesprächen und Verhandlungen.
Mir war aber auch klar, dass ich mir mit dem Stellvertreter des Chefs einen respektablen Feind eingehandelt hatte.
Sollte ich vielleicht als Wiedergutmachung doch sein Auto waschen? (ums Verrecken nicht!)
Meine Einsiedelei gefiel mir immer besser, denn ich konnte für mich allein sein wann es mir passte, war aber andrerseits ein fester Bestandteil des Betriebs.
Mit den anderen Angestellten hatte ich guten Kontakt, ausser mit dem „Unnahbaren“, dem Butler, der irgendwie über unsern Köpfen schwebte. Ein einziges Mal kam er ins Gärtnerhaus weil eine seiner Topfpflanzen dahinserbelte. Er hatte eine Azalee mit kalkhaltigem Wasser ersäuft und erdrosselt. Umtopfen in die richtige Erde und ein kleiner Kuraufenthalt bei mir brachte die Pflanze wieder in den grünen Bereich und bedankte sich mit üppiger Blütenpracht. Als ich sie ihm zurückbrachte, voller Stolz auf meinen grünen Daumen, bestaunte er sie einen Moment lang, gab sie mir dann zurück mit der Behauptung, das sei nicht seine Pflanze, ich versuchte ihm hier eine andere unterzujubeln, das hätte er selber auch tun können, nämlich einen Ersatz kaufen.
Ich nahm die Pflanze wieder an mich, wortlos, denn es wären Wörter gewesen, die auch der Duden kennt, aber nie erwähnt. Ich brachte dann die Topfpflanze zur Küche hinüber. Die gute Francesca hatte Tränen der Rührung in den dunkeln Augen (und ich verdiente mir ein paar ganz feine Leckerbissen der italienischen Küche in den nächsten Tagen).
Und so kam es auch. Ich ass köstliche Sachen, von denen ich zum Teil bis heute ihre Namen noch nicht kenne.
Einmal, ich erinnere mich noch gut, waren es Gnocchi. Ich liess mir von Rosetta Name und Zubereitung des Gerichts erklären und fragte sie dann nebenbei, ob sie auch Köchin werden wolle wie ihre Mutter. Ja, die Mama bringe ihr jetzt das Kochen bei, damit sie dann nach ihrer Heirat ihre Familie gesund und gut ernähren könne.
Ob sie denn schon einen Verlobten habe, wollte ich wissen. Sie schüttelte ihren hochroten Kopf, nein, das sei noch zu früh, sie müsse zuerst das Kochen lernen.
Ich erklärte ihr, dass Köchin ein hochangesehener Beruf sei, den man erlernen könne und mit dem man gutes Geld verdiene, aber man müsse vorher eine Lehre absolvieren.
Sie wusste das schon, aber Mama finde, dass heiraten wichtiger sei.
„Gut, mag sein, aber ich würde beim Heiraten einer gelernten Köchin den Vorzug geben“, meinte ich so nebenbei.
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