Ein leises Frösteln überfiel mich.
Mich nahm auch noch wunder, wann die Rachekampagne ihres Ex gegen mich aufhören werde, ich bekam es langsam satt, mich verstecken zu müssen und hinter jeder Ecke einen Mörder mit Pistole zu vermuten.
Sie begriff mich und sagte dann, dass sie alles versucht hätten, Geld, gute Worte, Erpressung und Bedrohung, aber wenn man sein Gesicht sehe, oder was davon noch übrig geblieben sei, begreife man ihn. Aber Mama habe versprochen alles zu regeln.
Hoffentlich denkt sie daran: Saupatronen statt Schrot.
Ich war müde und deshalb kein guter Unterhalter, aber Corinne war ohnehin immer beschäftigt. Sie sass den ganzen Tag über im Büro und schrieb und telefonierte und wenn ich Unterhaltung wollte, musste ich mich an Francesca oder an Ali den Chauffeur halten.
Wenn dann Corinne am Abend zu mir kam, hoffte ich sehnlichst, dass zwischen uns wieder Wärme, die alte Vertrautheit und Verliebtheit aufkommen werde, aber es lag irgendwie immer ein kühles Frösteln über allem. Wenn sie dann nachts um zwei Uhr ans Telefon musste, weil man in New York, San Francisco oder Tokyo jetzt am Arbeiten war, dann legte ich meine Hand in die warme Kuhle im Bett und träumte von damals.
Und „damals“ war noch gar nicht so lange her.
Wir sprachen auch selten von unserer Zukunft. Für Corinne stand ihre Bank in vorderster Linie, Geschäftspartner in aller Welt, Übernahme einer Sparkasse im Wallis, amerikanische Wertpapiere.
Wo ich denn mein Kapital investieren solle, fragte ich sie lachend.
Sie betrachtete mich lange und sagte dann etwas zögernd: „Investiere alle deine Kraft in deinen Sohn und das Geld in ein praktisches Unternehmen, vielleicht in eine Käserei, eine Bäckerei oder … vielleicht in ein Hotel, denn wir haben da eine gute Hotelmanagerin ausgebildet, die sicher auch eine sehr gute Ehefrau abgibt.“ In diesem Augenblick läutete das Telefon in ihrem Büro. „Du entschuldigst bitte,“ und damit war die Diskussion zu Ende.
Meine Erkältung hatte immerhin den Vorteil, dass ich am üblichen Wintervergnügen nicht teilhaben konnte. Ich tauge weder zum Skifahrer noch zum Playboy am Hüttenfeuer. Ich mag die Berge, falls man sie vor lauter Rummel noch wahrnimmt, aber ich bin dann am liebsten allein. Vielleicht ein komischer Vogel, aber es gibt auch diese.
Am Abend vor meiner Abreise sass ich mit Francesca am Kamin.
Etwas verlegen fragte ich sie, ob sie denke, dass Rosetta mich möge, ja, schliesslich sei ich fast zehn Jahre älter und … ja, und da sei jetzt noch mein Sohn…
Francesca fiel mir um den Hals und begann vor Glück zu heulen. Ach wenn ich wüsste wie das Mädchen von mir träume, wie sie alles für mich tue, wie sie immer wieder meine Worte von damals wiederhole, immer wieder…
Dann sprang sie auf, eilte ans Telefon und rief ihre Tochter an. Nun folgte ein Wasserfall von italienischen Wörtern von dem ich nichts verstand (ich muss unbedingt Italienisch lernen)
Und dann schleppte sie mich an den Apparat, damit ich auch etwas sage.
„Cara Rosetta,“ sagte ich und dann schwiegen wir eine Weile … was sollte ich in dieser Situation sagen. Schliesslich rettete sie das Gespräch indem sie fragte, ob wir uns einmal treffen könnten. Ich versprach ihr, ein Treffen zu organisieren, dann übernahm Francesca den Hörer wieder und schwatzte wie ein Schwarm von Schwalben, aber auf Italienisch.
Vor dem Schlafengehen küsste sie mich innig und sagte mir, mit Tränen im Auge, dass ich jetzt ihr Sohn sei und ich könnte Mama zu ihr sagen.
Das ging mir dann doch zu weit und ich sagte ihr, dass ich lieber bei „Francesca“ bleibe, das sei doch ein so schöner Name.
Corinne nahm die Nachricht sichtlich mit Genugtuung auf und sagte mir, dass sie sich für mich freue und dass sie gehofft habe, dass es an diesem Abend soweit komme. Rosetta sei die richtige Frau für mich und wir würden glücklich werden.
„Ich und heiraten?“ fragte ich sie, „kommt gar nie in Frage.“
„Lass es auf dich zukommen, wart ab, solche Details bestimmen die Frauen,“ lachte sie.
Nach meinem Exil in Zentralfrankreich, das noch einige Zeit gedauert und mir allerlei Überraschungen beschert hatte, zog ich nach Montpellier. Ich mag diese Stadt, ihr Klima und ihre Menschen. Man spürt die Nähe des Mittelmeeres. Auch kulturell ist da allerlei los. Aber das unnütze Herumsitzen gefiel mir nicht, ich brauchte Arbeit und Bewegung. Eine Zeit lang reiste ich durch den Süden als Käsehändler wobei ich natürlich vor allem „unseren“ Käse aus dem Zentralmassiv vertrieb und da ich mich auskannte und um die Qualität unseres Produkts wusste, lief dieser Handel recht gut. Aber ich bin nun einmal kein Händler und Kaufmann und so kam ich kaum auf einen grünen Zweig und als mich Corinnes Vater anfragte ob ich ihm helfen würde die Umgebung seiner Villa am Strand zu gestalten, sagte ich sofort zu.
Die Villa lag direkt am Meer auf einem riesigen roten Felsen und die Umgebung bestand aus Stein und Fels. Ein paar verkrüppelte Pinien kämpften verzweifelt ums Überleben und einige dürre Grasbüschel und Disteln rundeten das Vegetations - Angebot ab.
Es tat mir leid, dass ich die Illusionen des Alten zerstören musste, aber ich wusste ihm einen Ausweg, nämlich Kakteen und Sukkulenten, die mögen Hitze, karge Böden und Trockenheit.
Nach einigem Zögern willigte er ein.
Wir besuchten einige der bekannten Kakteengärten zwischen Port Bou und Genua und kehrten von jeder Exkursion mit einem Auto voll stacheliger Gesellen zurück. Ich hatte es geahnt, der alte Banker wurde zum Kakteen und Sukkulenten Spezialist. Bald einmal zierten seltene Pflanzen, die er sich aus Mexiko schicken liess, seine Sammlung.
Schliesslich beschloss er mit mir zusammen nach Mittelamerika zu reisen in der Hoffnung wir könnten Kakteen finden, die noch niemand in Europa besitze.
Das Sammlerfieber hatte ihn gepackt und das treibt bekanntlich kuriose Blüten.
Jedes Wochenende reiste Corinne mit unserm Sohn an. Während sie mit ihrer Mutter geschäftliche Dinge zu besprechen hatte, denn die Alte war immer noch die Hauptaktionärin der Bank, konnte ich mich mit dem Jungen abgeben.
Da ich bei der Geburt des Sohnes nicht anwesend war, gab ihm Corinne zwei Namen „Jean“ und „Jacques“ und fand, dass man nun drei Möglichkeiten hätte: Doppelname, erster oder zweiter Name. Wie es kommen musste, sie bevorzugte den Jean, ich den Jacques und der Opa nannte ihn Jean – Jaques. Die Oma vergass den Namen immer wieder, das heisst nicht, dass da eine Demenz im Anzuge gewesen wäre, denn sie wusste zum Beispiel von jedem Land dieser Erde, wie seine Währung hiess und wieviel sie wert war.
Schon als vierfüssiger Herumkriecher half der Kleine uns beim Pflanzen der Kakteen, wusste aber Abstand zu halten zu den tückischen Stacheln.
Dafür durften wir seinen verlorenen Ball suchen, durften Reitross spielen oder Elefant oder Kamel und wenn der Opa mit ihm den Ball im Sand vergrub, zum Wiederausgraben natürlich, dann kannte das Vergnügen für beide kein Ende.
Am Abend, wenn Jacques im Bett lag und ich mit Corinne auf der Gartenmauer sass, das unendlich weite Meer, von der Abendsonne vergoldet vor uns, nahm ich ihre Hand in meine und fragte sie, ob sie glücklich sei.
Ausser einem leisen Händedruck kam nie eine Antwort.
Montagmorgen in aller Frühe flogen sie von Marseille nach Genf zurück.
Am nächsten Wochenende sagte sie, sie hätte das sichere Gefühl, dass man ihr auf den Flughafen in Genf gefolgt sei und in Marseille sei wieder so ein Typ gewesen, der offensichtlich nach ihr Ausschau gehalten habe und dann sei ein Auto ihrem Taxi gefolgt.
Da musste etwas im Gange sein, denn Corinne leidet keinesfalls unter Verfolgungswahn, sie ist eine nüchterne und klar denkende Person.
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