1 ...8 9 10 12 13 14 ...28 Draußen hupte ein Auto. Drei Mal kurz. Das war Leni.
Lisa winkte mir kurz lächelnd zu und verschwand wieder im Schlafzimmer. Ich nahm noch einen Schluck Kaffee und schloss die Haustür hinter mir.
„Du hast ja heute Morgen alle Zeit der Welt!“, empfing mich Leni mit einem vorwurfsvollen Unterton. „Also, dieser zweite Mord, zu dem wir jetzt fahren, ist tatsächlich in seiner Ausführung identisch mit dem ersten, dem von Karl Leyenhofer. Aufgefunden wurde dieser Tote wiederum bei einem Wegekreuz. Was soll das bedeuten? Hast du inzwischen eine Ahnung?“
„Ich weiß es nicht, Leni. Ich weiß es nicht! Aber ich ahne etwas. Das wird nicht der letzte Mord dieser Art gewesen sein!“
„Unser Pressemann scheint auch verzweifelt zu sein. Sein Artikel heute war nicht sehr aufschlussreich für den Leser.“
Leni lenkte das Dienstfahrzeug des Präsidiums, eine Art Geländewagen, durch die Stadt Hermeskeil in Richtung Nonnweiler. Am Ortsausgang von Hermeskeil sahen wir schon zahlreiche Fahrzeuge am Straßenrand stehen. Wir brauchten niemanden mehr zu fragen und fuhren einfach einem Polizeifahrzeug nach, das nach links in den Wald einbog.
Schon nach rund zwanzig Metern hatten wir unser Ziel erreicht. Da stand er nun vor uns auf einer Lichtung im Epplerswald, an der Grenze zum Saarland, gerade noch in unserem Zuständigkeitsbereich: Der „Lindenstein“, ein rund zwei Meter hoher Sandstein-Obelisk, dessen Sockel etwa einen halben Meter über der Grasnarbe endete, um sich dann, gleich einer Messerklinge, nach oben zu verjüngen.
Viel war von dem Gedenkstein nicht zu sehen, denn die Kollegen der Spurensicherung mit ihren weißen Overalls verdeckten einen Teil des Steines und das, woran sie in Kniehöhe arbeiteten.
Zahlreiche Gaffer standen hinter der großräumig angelegten Absperrung des Tatortes und versuchten sensationshungrig einen Blick zu erhaschen. Doch die Kollegen machten es ihnen schwer. Nun schienen sie mit ihrer Arbeit fertig, denn sie legten mehrere Decken über den Toten, den Leni und ich bisher auch noch nicht zu Gesicht bekommen hatten.
Einer der Kollegen drehte sich zu uns um und wer konnte es schon anderes sein als Peters. Heinz Peters, der Tag und Nacht Dienst zu haben schien, so kam es mir jedenfalls vor, denn er war fast an jedem außergewöhnlichen Tatort präsent.
„Hallo, Ihr beiden. Da seid Ihr ja. Sieht stark danach aus, dass wir uns in Zukunft unter den gleichen Umständen wiedersehen werden. Zwei Tote innerhalb von zwei Tagen, an denen man eine Geschlechtsverpflanzung vorgenommen hat…“
Ich ignorierte seine Bemerkung. „Kannst du etwas über die Tatwaffe, ein Messer oder ähnliches, sagen. Ich meine, war es ein scharfer Schnitt oder ein stumpfer?“
„Du willst wissen, wie die Entmannung stattgefunden hat. Also, ich vermute, dass es ein sehr scharfes Messer war, vielleicht sogar ein Skalpell, aber das bleibt eine Vermutung. Wir sind mit unserer Arbeit fertig. Der Doktor hat die Leiche auch schon untersucht. Ist bereits wieder weg. Hat irgendetwas von einem dringenden Termin erzählt. Wie auch immer, den Totenschein hat er mir dagelassen.“
„Und?“ Ich bewegte den Kopf in die Richtung des abgedeckten Toten.
„Werdet ihr euch selbst ansehen müssen. Das gleiche Auffindungsprofil wie bei dem Toten in der Nähe von Neuhütten.“
„Ist schon etwas über den Toten bekannt?“
„Nein.“ Peters schüttelte den Kopf. Dürfte so um die Fünfzig gewesen sein, schätze ich. Hatte keine Papiere bei sich, das heißt, in seiner Kleidung wurden überhaupt keine persönlichen Sachen gefunden. Der Täter scheint an jede Kleinigkeit zu denken. Ich habe dem Mann vorsorglich Fingerabdrücke abgenommen. Werde sie heute noch dem LKA weiterleiten. In einem solchen Fall kann man nur hoffen, dass es irgendwann eine erkennungsdienstliche Behandlung gegeben hat“
„Spuren?“
„Zertrampeltes Gras. Ach, ja, die Hände sind auch wieder mit dem gleichen Panzerband gefesselt. Auf der Erde, vor der Leiche, lag auch ein Stück davon. Zehn Zentimeter lang etwa.“
„Offensichtlich wurde dem Opfer der Mund zugeklebt. Leni, kümmerst du dich um den Leichenwagen.“
„Nicht nötig, haben die Kollegen von der PI bereits veranlasst“, sagte Peters. „So, jetzt gehört euch die Leiche alleine. Unsere Arbeit ist getan. Fotos und Spurenbericht bekommst du wie immer.“
„Wir sehen uns nachher sowieso. Wittenstein hat eine Dringlichkeitssitzung einberufen, wird man dir auch noch sagen. Bis dann.“ Dann fiel mir noch etwas ein. „Wann, sagte der Arzt war die Todeszeit?“
„Steht hier drauf.“ Peters übergab mir die Todesbescheinigung und trottete mit seinen Kollegen von dannen, zu seinem Fahrzeug, das er hinter dem Pulk der etwa zehn Meter entfernt stehenden Neugierigen geparkt hatte. Meine Blicke folgten ihm noch eine kurze Weile und wanderten dann über die neugierige Menge. Und dann sah ich sie, die dunkelblaue Basecap. Die Filzlaus! Steiner! Hatte der Mensch immer Dienst? Es war Sonntag!
Ich erkannte, wie er mit dem Teleobjektiv Aufnahmen vom Tatort machte und musste innerlich grinsen. Viel konnte dabei nicht herauskommen. Ein Wegekreuz mit einem unter Decken liegenden Bündel.
Leni hatte inzwischen mit der Tatortarbeit begonnen, das heißt, mit der Tatortaufnahme. Sie sprach alle Einzelheiten der Tatortsituation in ihr Diktaphon und musste natürlich auch die Lage und die Fundsituation der Leiche beschreiben. Ich hob dabei eine der Decken an, die Peters über die Leiche gelegt hatte.
Beim Anblick des Toten lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Vor mir kniete ein Mann, die Altersschätzung von Peters konnte ich bestätigen, in seinem Blut. Die Hose war herabgelassen und lag auf der Erde, um seine Knie und war blutdurchtränkt. Auch diesem Mann fehlte das Geschlechtsteil und ohne hinzusehen wusste ich, wo es sich befand, nämlich genau unterhalb seines riesigen, nach oben gezwirbelten Schnurrbartes, der die Prozedur offensichtlich Dank einer Intensivfestigung schadlos überstanden hatte.
Die Beine waren leicht gespreizt und beide Knöchel mit Klebeband versehen, das hinter dem „Lindenstein“ zusammengeknotet war. Das gleiche hatte man mit seinen Armen gemacht. Der Mann hatte keine Möglichkeit gehabt, sich zu wehren. Zumindest nicht in diesem Zustand. Unter welchen Umständen er hierher gelangt war, das mussten die Ermittlungen ergeben.
Auch diesem Toten stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Die blutunterlaufenen Augen waren aus dem Kopf getreten, Schmerz, Angst und das Grauen hatten sein Gesicht gezeichnet. Der Tod musste für ihn eine Erlösung gewesen sein.
Ich legte die Decke wieder über die Leiche und sah Leni an, die während der gesamten Zeit, als ich die Decke hochhielt, ihre Feststellungen in das Diktiergerät sprach.
Der Förster, der die Leiche gefunden hatte, stand abwartend in der Nähe. Ich ging auf ihn zu.
„Haben Sie außer dem Toten etwas Ungewöhnliches feststellen können?“, fragte ich den Mann, der sich mit Forstamtmann Karl Schumacher aus Hermeskeil vorstellte.
„Nein, das alles hier ist mir ungewöhnlich genug!“
Der Leichenwagen traf ein und ich gab Anweisung, den Toten ebenfalls in die Gerichtsmedizin ins Hermeskeiler Krankenhaus zu bringen. Für den Obduzenten, der wahrscheinlich von Mainz aus anreisen würde, bliebe es bei einer Fahrt. Ob die Leichenöffnung allerdings in Hermeskeil stattfinden würde, bezweifelte ich. Die Möglichkeiten dort waren doch zu sehr begrenzt.
Steiner fotografierte immer noch. Langsam verließen auch die Zuschauer nach und nach den Schauplatz und, gingen, sich angeregt unterhaltend, in Richtung Bundesstraße, wo viele ihre Autos abgestellt hatten, davon.
Dann kam er auf uns zu.
„Ich glaube, heute werden Sie mir doch einiges sagen, Herr Hauptkommissar? Sie wollen doch nicht, dass ich Fotos einer von der Polizei als Sack getarnten Leiche veröffentliche, oder? Können Sie sich vorstellen, wie der Text unter einem solchen Foto aussehen würde?“
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