Beyer war Spezialist für strategische Unternehmensplanung. Früher hatte er in einem großen Chemiewerk in der strategischen Planungsabteilung gearbeitet. Vor drei Jahren war er durch die gezielte Ansprache von einem Head Hunter zur Beratung gekommen und hatte sich in seiner neuen Position erfolgreich entwickelt. Er wartete jetzt auf seine Beförderung zum ‘Prinzipal‘.
Er gab einen kurzen Überblick über die Ergebnisse der Marktanalyse und simulierte in einem ‘Trockenlauf‘ die Klienten Präsentation wie eine Generalprobe. Er erläuterte, das Hauptprodukt: Schwäbische Spätzle, das im Markt einen hohen Bekanntheitsgrad besaß und von den Kunden in Baden-Württemberg und Bayern gut beurteilt wurde. Außerhalb Süddeutschlands nahm der Bekanntheitsgrad ab. Er schlug vor, eine regional-spezifische Werbekampagne zu starten. Bei bestimmten Verbrauchermärkten sollten Werbeteams zum Einsatz gebracht werden, ein Einsatzplan war ausgearbeitet worden. Es folgten Tabellen mit Umsatzerwartungen und Kostenprojektionen. Im zweiten Teil der Präsentation wurde die gezielte Entwicklung von neuen Produkten vorgeschlagen.
Die Kundenbefragung hatte die Notwendigkeit von ergänzenden Fertigprodukten auf der Basis der ‘Schwäbischen Spätzle‘ ergeben. In Zusammenarbeit mit dem Klienten Team war man hier sehr konkret geworden und hatte – neben der Produktspezifikation – sogar bestimmte Verpackungsformen vorgeschlagen.
Die Generalprobe hatte knapp eine Stunde gedauert. Die sich anschließende Diskussion mit Müller konzentrierte sich in erster Linie auf die Stichhaltigkeit der Argumentation. Es wurden Fragen zur Bewertung der Befragungsergebnisse wie auch zu den Marktdaten gestellt. „Sind wir sicher, dass wir eine ausreichende Anzahl von Kunden ausgewählt haben?“
„Die Stichprobe umfasst 10% der Kunden, das ist mehr als sonst üblich.“
Insgesamt war Beyer mit dem Inhalt der Präsentation einverstanden, aber die Art des Vortrags war in seinen Augen verbesserungsbedürftig. Beyer legte großen Wert auf eine ausdrucksstarke Präsentation und verlangte vollen Einsatz von seinen Mitarbeitern. Dazu gehörten auch die Körperhaltung sowie die Sprechtechnik. Alles musste perfekt sein. Schließlich wollten sie einen überzeugenden Eindruck hinterlassen. Also: Alles noch einmal von vorne!
Die Wiederholung wurde von einem Telefonanruf eines großen Warenhauses unterbrochen, ein Geschäftsführer verlangte den Verantwortlichen für die ‘Stein-Studie‘ zu sprechen. Beyer nahm den Anruf in seinem Büro entgegen.
„Ziehen Sie sofort Ihre Leute vor meinen Läden ab. Die belästigen seit Tagen unsere Kunden. Wenn das nicht sofort aufhört, werden wir Sie schadenersatzpflichtig machen“, brüllte der Geschäftsführer, Herr Kleinschmidt, erregt in seinen Hörer. „Und im Übrigen können Sie sich ihre ‘Stein-Produkte‘ an den Hut stecken, wir werden sie aus der Lieferantenliste streichen.
„Wie soll ich das verstehen?“ fragte Beyer völlig überrascht.
„Haben Sie denn gestern im Fernsehen die Regionalschau nicht gesehen?“
Beyer verneinte.
„Das hätten Sie aber sollen. Der Name Stein ist auf ewig ruiniert!“
„Verzeihen Sie“, entgegnete Beyer, „ich war gestern im Ausland. Was ist denn geschehen?“
„Liest denn niemand bei Kanders Zeitung oder sieht die Regionalschau? Was geschehen ist, fragen Sie. Stein hat verdorbene Eier in seinen Produkten verarbeitet. Das ist geschehen! Das Fernsehen hat gestern darüber ausführlich berichtet und Sie wissen das nicht?“
Beyer war schockiert. Offensichtlich hatte niemand seiner Kollegen am gestrigen Tag die Regionalschau gesehen und bundesweit war darüber noch nicht berichtet worden. Er lehnte sich erschöpft in seinem Sessel zurück. Das durfte nicht wahr sein! Aber wenn es stimmte, dann konnten sie die ganze Präsentation in den Papierkorb werfen. Er stürmte in den Besprechungsraum:
„Vergesst die Präsentation, Stein ist erledigt!“
„Mach keine Witze, danach steht uns nicht der Sinn“, lachte Heinz.
„Ich meine es ernst. Wenn das stimmt, was mir der Geschäftsführer Kleinschmidt von der ‘Bewo-Gruppe‘ eben am Telefon ins Ohr gebrüllt hat, dann hat Stein einen handfesten Skandal. Sie sollen verdorbenes Flüssig-Ei verwendet haben, und das regionale Fernsehen hat darüber gestern ausführlich berichtet. Hat das keiner von Euch gesehen?“
Alle verneinten. Sie sahen grundsätzlich nicht das regionale Fernsehprogramm, wenn überhaupt, dann das Nationale Programm. Sei es das Erste oder das Zweite.
„Ich werde gleich mit Herrn Stein sprechen, um zu hören, was da los ist.“
Die Frau am anderen Ende der Leitung klang verstört. Sie teilte ihm mit, dass sich Herr Stein gegenwärtig an einem unbekannten Ort aufhalte und die Präsentation von Kanders im Haus abgesagt sei.
Beyer legte auf und trommelte nervös mit den Fingern auf seine Schreibtischplatte. Da ist wohl nichts mehr zu retten, dachte er, die ganze Arbeit für die Katz! Enttäuscht ging er zu den anderen in den Besprechungsraum.
„Leute, wir können die Arbeiten für Stein abbrechen. Packt die Präsentation zusammen und schickt sie mit einem persönlichen Anschreiben an die Geschäftsführung. Alle Termine sind storniert. Walter Stein ist verschwunden, verreist mit unbekanntem Ziel. In der Firma herrscht Ratlosigkeit, aber ich glaube, dass sich Stein wehren wird. So schnell gibt der nicht auf, ich kenne ihn, er wird sicher Schadensersatzklage erheben. Aber so ein Prozess kann lange dauern, und der Schaden wird immens sein, auch wenn er am Ende gewinnt. Hoffentlich bekommt er recht, dann rollen Köpfe in der Regierung. Aber die brauchen sich ja keine Sorgen zu machen, sie behalten ihre fetten Pensionen, und in jedem Fall muss der Steuerzahler die Kosten tragen.
Nur mit Mühe konnte sich Beyer auf das übrige Tagesgeschäft konzentrieren. Er blätterte die bisher noch ungelesene Eingangspost durch, Projektabrechnungen und Firmenberichte, Anfragen für Vorträge in Management- und Fortbildungsseminaren. Und natürlich Berge von Werbung.
„Reine Zeit- und Geldverschwendung“, grantelte er zur eigenen Ablenkung. „Ob die wohl wissen, an wen sie das Werbematerial schicken? Wahrscheinlich hat irgendeine Marketing Gesellschaft uns in ihrer Adressendatei gespeichert, und einer schreibt von dem anderen ab. Was da für ein Geld verschleudert wird, völlig sinnlos.“
Das wichtigste Schriftstück war eine Anfrage von Siemens in Erlangen. Sie wollten ein Gemeinkosten-Senkungsprogramm in einem ausgewählten Werk durchführen und baten um eine Präsentation. „Offenbar eine Standard-Anfrage an alle namhaften Berater“, dachte Beyer und machte sich eine entsprechende Notiz. Wir haben ja gerade ein gutes Team verfügbar, das kann diese Woche schon mal recherchieren. „Heinz soll das in die Hand nehmen“, beschloss er und reichte die Notiz an seine Sekretärin. Sie würde dafür sorgen, dass nichts unerledigt blieb und verlorenging.
„Da ist ein Anruf für Sie“, unterbrach Frau Schmidt seine Gedanken. „Ein Dr. Pauli oder so ähnlich, ich habe den Namen nicht richtig verstanden. Er schwäbelte so“, fügte sie entschuldigend hinzu. Als Rheinländerin konnte sie sich nur schwer an den schwäbischen Dialekt gewöhnen.
Beyer ließ sich mit Pauli verbinden und sie vereinbarten einen Termin für den nächsten Tag.
„Was der wohl will?“ Beyer lehnte sich nachdenklich in seinem Sessel zurück und blickte aus dem Fenster in die belebte Einkaufsstraße. „In seiner Firma scheint es zu brennen.“
„Vor dem ersten Gespräch muss ich so viel wie möglich über die Firma Pauli wissen: Bitte besorgen Sie aus unserem Archiv alles was Sie an wichtigen Unterlagen über die Firma Pauli finden können: Bilanzen, Zeitungsauschnitte“, beauftragte er seine Sekretärin.
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