1 ...8 9 10 12 13 14 ...33 Auch Winter war ähnlicher Meinung: „Wir haben in den letzten Jahren kaum noch Ersatzinvestitionen getätigt, von Neuanschaffungen hochwertiger Maschinen ganz zu schweigen. Irgendwann brauchen wir neue Messmaschinen, auch brauchen wir dringend Geld für Neuentwicklungen. Mit der vorhandenen Produktlinie können wir nicht mehr lange existieren und unsere Expansionspläne erfüllen.“
Schließlich ergriff auch Fritz Pauli das Wort: „Wenn du mit deiner Firma wirklich an die Börse gehen willst, dann müsste eine Neuverteilung der Verantwortlichkeiten stattfinden. Die operativen Gesellschaften müssten selbständig werden und ergebnisorientiert handeln können. Und der Vorstand der AG müsste sich auf die Koordination der Firmen und die Vertretung nach außen beschränken.“
Fritz Pauli hatte damit einen wichtigen Punkt angesprochen, der immer wieder zu Missstimmung zwischen den Brüdern führte, nämlich der direkte Eingriff von Dr. Pauli und seinem Kollegen in das Tagesgeschäft. Dr. Pauli reagierte nicht auf diese Bemerkung, die ja für ihn nicht neu war, und murmelte nur beiläufig: „Natürlich wird eine neue Aufgabenverteilung zwischen dem Vorstand und den Gesellschaften stattfinden. Aber ich wollte jetzt nur Ihre grundsätzliche Meinung zum Börsengang hören. Ich kann also davon ausgehen, dass Sie alle das Vorhaben mit ganzer Kraft unterstützen werden.“
Dass er Ceponek gar nicht zu dem Thema gehört hatte, verwunderte niemanden, obwohl es gerade das Finanz- und Rechnungswesen in besonderem Ausmaß berührte.
Die leicht hügelige Landschaft lockte zum Verweilen, zum Schauen und Entspannen. Schritt für Schritt war ich den asphaltierten Weg in Richtung See hinuntergegangen, hatte oft angehalten, die Blumen am Wegesrand betrachtet und nach Luft gerungen. Eigentlich war es nicht mehr so warm, die Sonne stand jetzt schon ganz tief im Westen knapp über den Bäumen und würde bald untergehen. Aber ich schwitzte wieder an Stirn, Händen und Füßen. Es war ein unangenehmer kalter Angstschweiß. Angst, wovor denn eigentlich? Ich kannte eigentlich keine Angst. Angst hat man nur vor einer unbekannten Gefahr, ich kannte nur Herausforderungen, die es zu bewältigen gab. Man musste nur stark genug sein.
An einer Biegung gabelte sich der Weg, links ging es ziemlich eben an Feldern vorbei, von wo aus ich einen freien Blick auf die überdimensionierte Villa Hügel hatte. Die Villa Hügel, dachte ich, war Ausdruck einer Zeit des ungehemmten industriellen Aufschwungs, wie wir es uns heute kaum noch vorstellen können. Dort hatte Alfred Krupp seine opulenten Empfänge gegeben, alle Größen der Wirtschaft und der Politik gaben sich bei dem bedeutenden Waffenhersteller die Türklinke in die Hand, sogar der Kaiser war zur Hochzeit seiner Tochter erschienen. ‚Ja, dachte ich, das war ein stahlharter Mann gewesen, aber welchen Preis hat er schließlich dafür zahlen müssen! Die Firma Krupp verdankte vor dem ‘Ersten Weltkrieg‘ ihren phänomenalen Aufstieg insbesondere durch seine Waffenproduktion, unter anderen gefördert durch den Deutschen Kaiser Wilhelm II. Aber auch ausländische Potentaten bedienten sich gerne seiner Waffentechnik. Die Qualität seiner Produkte – und insbesondere sein Stahl – waren erste Klasse. Dann kam der Zusammenbruch mit Demontage und Besetzungen, Reparationszahlungen und Enteignungen. Der wirtschaftliche Abstieg der Firma war dramatisch.
Danach begann mit dem ‘Dritten Reich‘ und der Wiederbewaffnung Deutschlands der Aufstieg. Erneut wurden Waffen produziert. Überall wurden Werke möglichst gegen feindliche Bomberangriffe gesichert, errichtet. Und nach dem ‘Zweiten Weltkrieg‘ lagen die Werke in Schutt und Asche. Ein desaströses Auf und Ab. Mitarbeiter wurden eingestellt und entlassen. Schlimme Schicksale waren die Folge. Schon allein dieser Gedanke belastete mich stark.
Ich setzte mich erschöpft an den Wegesrand auf einen Stein und die Bilder der Vergangenheit reihten sich wie in einem Film aneinander.
So ähnlich war es auch meiner Familie gegangen, wenn auch nicht in den gleichen Dimensionen. Doch auch sie hatte zwei Weltkriege und deren Folgen überstanden, hatte immer wieder von Neuem angefangen, wenn wieder alles zerstört gewesen war. Beide Elternteile hatten sich als stark erwiesen, hatten sich tapfer durchs Leben gekämpft und dabei ihren Frohsinn bewahrt, wenn es ihnen auch nicht immer leichtgefallen war. So würde ich es auch versuchen. Und ich würde es schaffen! Weil ich es wollte.
Kanders Management-Consultants
Frau Schmidt, Beyers langjährige Sekretärin strahlte ihren Chef an. Sie kannte ihn schon aus der Zeit, als er noch Berater in Düsseldorf war. Sie hatte seine erfolgreiche Karriere in allen Phasen miterlebt, freute sich mit ihm, als er zunächst zum Manager, dann zum Prinzipal ernannt wurde und letztlich zum Partner gewählt worden war. Sie war ihm vom Rhein an den Neckar gefolgt, weil sie die Zusammenarbeit mit ihm schätzte, ohne Anhang war und auch sonst wohl keinen großen Bekanntenkreis besaß. Für sie war die Firma ihr zentraler Lebensinhalt.
Der Empfangsbereich im Stuttgarter Büro in der Königstrasse war wie fast alle Büros von Kanders einheitlich mit sorgfältig ausgesuchten Möbeln aus Chrom und grauen und schwarzen Hölzern geschmackvoll gestaltet. Von einem Mittelgang zweigten die Räume der Berater ab. Die Türen standen im Allgemeinen immer offen, um die interne Kommunikation zu fördern. An diesem Tag waren nur drei Berater, ein Manager und ein Prinzipal im Büro. Der Rest der Berater arbeitete für Klienten irgendwo in der westlichen Welt. Beyer begrüßte kurz seinen Kollegen, Heinz Müller und ging in sein Büro.
An der Wand vor seinem Schreibtisch befand sich ein großes Ölgemälde aus dem Hafen in Bremen, seine Heimatstadt, und war der einzige persönliche Gegenstand in seinem Büro. Das Gemälde begleitete ihn bereits sein ganzes Berufsleben. Im Vordergrund lag ein großer Frachter an Dalben vertäut und leichterte seine Waren auf Schuten. Offenbar anfangs des 20. Jahrhunderts gemalt. Im Hintergrund die lange Reihe von Hafenkranen im Europahafen. Das Bild bedeutete für Beyer sowohl Verbundenheit mit seiner Vaterstadt und den Schifffahrtsinteressen, die seine Familie über mehrere Generationen gehabt hatte, als auch die Verbindung zur Welt. Gleichzeitig strahlte es Ruhe und Zuversicht aus.
Frau Schmidt hatte ihm eine zum Bersten gefüllte Postmappe auf den Schreibtisch gelegt. Ein kleiner gelber Zettel klebte auf dem Deckel: „Anruf von Mr. Stones aus Chicago. Bitte Rückruf, dringend“. Stones war der Chief Executive Officer, der CEO, der für die Beratungsgruppe weltweit verantwortliche Repräsentant, die unbestrittene Nummer eins unter den sonst gleichberechtigten Partnern. Er wurde von ihnen auf einem der jährlichen Partner Meetings jeweils für eine Amtszeit von zwei Jahren gewählt, war aber im vergangenen Jahr schon zum dritten Mal in seinem Amt bestätigt worden. Intern nannte man ihn Jack, wie sich alle Partner und Prinzipale untereinander grundsätzlich mit dem Vornamen anredeten, Firmenphilosophie eben.
„Man kann keinen Tag mal richtig abschalten, die erwischen einen immer“, seufzte Beyer, lehnte sich in seinem Sessel zurück, griff zum Telefon und rief Heinz Müller an.
„Wie weit seid Ihr mit der Stein-Präsentation? Sie ist am Mittwoch, nicht wahr?“
„Ja, um 10 Uhr“
„Dann haben wir noch 24 Stunden Zeit zu korrigieren, und wenn das nicht reicht, nehmen wir die Nacht dazu“, schlug Beyer betont fröhlich vor.
„Du hast gut scherzen, Urlauber! Treffen wir uns im großen Besprechungsraum, wir haben schon alles vorbereitet!“
An der Stirnwand hing eine große Anzahl von Hard Copies der Folien, die am folgenden Tag der Geschäftsführung der Firma Stein, einem bedeutenden Hersteller von Nahrungsmitteln, gezeigt werden sollten: Texte wechselten mit Grafiken und Tabellen, Diagramme waren teilweise farbig gestaltet. Das ganze ‘Stein-Team‘ war vollständig versammelt.
Читать дальше