„Haben Sie den Herren schon einen Kaffee gemacht?“
„Selbstverständlich“, antwortete Frau Feiner entrüstet. „Sie sollten mich eigentlich kennen.“
„Geben Sie mir auch eine Tasse. Es war etwas spät gestern Abend.“
Pauli eilte in den Sitzungsraum.
„Guten Morgen, Herr Schubert, grüß Gott meine Herren, entschuldigen Sie die Verspätung, ich komme direkt aus Südfrankreich. Wir konnten gestern wegen ungünstigem Wetter nicht starten und sind erst vor einer Stunde in Karlsruhe gelandet.“
„Kein Problem“, meinte Schubert, „wir waren gut betreut.“
„Ich habe zufällig einen Berater kennengelernt, ein interessanter Mann, versteht eine ganze Menge von Strategie und Finanzen. Vielleicht kennt jemand von Ihnen den Mann, Dr. Beyer, ein Partner von Kanders Management Consultants.“
„Der Name ist mir geläufig“, meldete sich Schubert zu Wort. Die Firma hat kürzlich für einen unserer Kunden gearbeitet, das hat, soweit man hört, erhebliche Kostensenkungen gebracht und wäre auch mal was für Sie. Ich glaube, Sie könnten einen guten Rat gebrauchen.“
„Wieso, ist die Bilanz ist gut?“ fragte Pauli erstaunt.
„Nein, die Bilanz ist gut, aber wir hatte neulich mal über den von Ihnen geplanten Börsengang des Unternehmens gesprochen, und da wäre ein neutrales Gutachten sicher hilfreich. Die Überprüfung der Börsenreife sowie die Planung des Emissionskonzepts ist ein zeitaufwendiges Vorhaben, das erhebliche Ressourcen in Ihrem Unternehmen bindet. Außerdem könnten die auch das Projektmanagement machen. Dazu haben Sie wohl kaum genügend Personalkapazität.“
„Was meinen Sie, Herr Kramer, brauchen wir einen Berater für den geplanten Börsengang?“
Dr. Kramer blätterte in seinen Akten, als suche er die Antwort auf die an ihn gerichtete Frage. Es war ihm sichtlich unangenehm, dass er so direkt angesprochen wurde. Am liebsten blieb er im Hintergrund, von wo aus er seine Fäden spinnen konnte. Er antwortete ausweichend: „Wir sollten uns von Herrn Schubert erst einmal die Aufgaben im Einzelnen erläutern lassen und sollten dann eine Entscheidung fällen.“
Pauli hatte seinen Kollegen vor vielen Jahren auf einem Symposium in St. Gallen kennengelernt. Man hatte sich zufällig getroffen und spontane Sympathie entdeckt, als der eine den anderen versehentlich angestoßen hatte, und die Salatsauce über den Abendanzug lief. Man entschuldigte sich, lachte und die Peinlichkeit war erledigt. Sie waren beim Abendessen miteinander ins Gespräch gekommen und tauschten ihre Visitenkarten aus. Kramer war damals Leiter der Produktentwicklung in einem schwäbischen Maschinenbau-Unternehmen.
Kurze Zeit später erhielt er ein Angebot von Dr. Pauli als Leiter der Entwicklung in dessen kleiner Elektronik Firma, das er annahm. Er war ein ziemlich durchschnittlicher Mann, allerdings mit der Fähigkeit, zur rechten Zeit die rechten Worte zu finden. Er wusste immer gerade so viel von allem, dass er zutreffende Bemerkungen machen konnte, ohne allerdings in die Materie tiefer einzudringen. Auch hatte er ein gutes Gedächtnis für wichtige Geschäftsvorfälle, die er mit korrektem Zeitpunkt und Inhalt immer gegenwärtig hatte. Im Laufe der Jahre gewöhnte sich Pauli an seine ständige Anwesenheit als Aktenträger, so dass er ohne ihn fast nicht mehr auskommen konnten. Zudem widersprach er nie und begnügte sich mit seiner Rolle als rechte Hand des Chefs.
Als die Firma wuchs, und Dr. Pauli mit operativen Aufgaben ständig überlastet war, wurde Kramer von ihm zum zweiten Geschäftsführer ernannt. Tatsächlich waren es aber die Banken, und in deren Folge der Beirat, die einen zweiten Mann in der Verantwortung haben wollten, den Pauli regierte allzu selbstherrlich und ohne interne Kontrolle. Pauli hatte Kramer damals selbst vorgeschlagen, weil er wusste, dass er ihm nie widersprechen würde. Und außerdem hatte er von all den möglichen Kandidaten aus dem eigenen Haus am meisten Zeit.
Später wurde die Holding zur Koordination der wachsenden Zahl von Gesellschaften gegründet. Kramer wurde neben Dr. Pauli zweiter Geschäftsführer in der Holding. Es genoss nie wirkliches Ansehen seitens der nachgeordneten Geschäftsführer in den Tochtergesellschaften, weder von Oderbruch, Leiter der Verkehrstechnik GmbH, noch von Fritz Pauli, Leiter der Steuerungstechnik GmbH, schon gar nicht von dem Finanz- und Personalchef Ceponek. Von keinem wurde er als ebenbürtig angesehen. Sie waren der Meinung, dass sie selbst in diese Position hätten berufen werden müssen, aber sie wagten kein offenes Veto. Untereinander im privaten Gespräch wurde die Ablehnung offen ausgesprochen, aber nie in seiner Gegenwart. Kramer wusste von dieser Ablehnung, aber es kümmerte ihn nicht. Solange Dr. Pauli ihn stützte, konnte ihm nichts geschehen. Er musste nur dafür sorgen, dass keiner der anderen zu mächtig wurde. Immer wenn sich einer der nachgeordneten Führungskräfte zu stark profilierte, dann wusste er kurze Zeit später negative Dinge über den Betreffenden zu berichten, so dass dieser wieder in die Reihe der gleichgeschalteten Untertanen trat.
Kramer war ein vollkommen anderer Typ als Pauli, ein ungleiches Paar, aber in wichtigen Angelegenheiten der Firma unzertrennlich: Er war mittelgroß und schlank, dunkelhaarig, trug eine randlose Brille, er hatte etwas Mürrisches und Verschlagenes in seinen Augen, selten blicke er seinen Gesprächspartner direkt an, meistens suchte er irgendetwas im Raum oder auf dem Tisch, wenn er nicht in seinen Akten blätterte. Er wirkte unsicher, wohl deshalb trug er immer einen tadellosen dunkelblauen, nadelgestreiften Anzug, gleichsam als Uniform eines bedeutenden Geschäftsführers.
Kramer räusperte sich bedeutungsvoll. „Ja, man sollte das mit der Beratung wirklich überlegen.“
Dr. Pauli ging auf die Bemerkung nicht weiter ein und eröffnete die vorgesehene Besprechung.
„Meine Herren, wir wollen heute die Möglichkeiten für den Börsengang unseres Unternehmens besprechen. Ich möchte Ihnen noch einmal die Gründe dafür darlegen. Zum einen gehe ich auf die sechzig zu und muss an meine Nachfolge denken. Ich bin nicht sicher, ob meine Söhne das Zeug zum Unternehmer haben, da ist es besser, wenn ich jetzt schon die Weichen stelle, dass das Unternehmen künftig von einem professionellen Management geleitet wird.“
„Sie haben vollkommen recht“, bestätigte Schubert, „die meisten Unternehmer denken erst daran, wenn es zu spät ist.“
Die anderen Herren sagten nichts, sie waren froh zu hören, dass die Söhne ihres Chefs offenbar nicht für die Nachfolge vorgesehen waren und rechneten sich ihre Chancen auf einen möglichen Posten als Vorstand aus.
Dr. Pauli nahm den Gedankengang wieder auf. „Es kommt noch etwas Anderes hinzu Mein langjähriger Geschäftspartner, Herr Erbracht, möchte als stiller Gesellschafter ausscheiden und auch die Württemberger Versicherung denkt mittelfristig ebenfalls an einen Ausstieg. Da wird die Beschaffung von zusätzlichem Eigenkapital schwierig. Wie Sie wissen, war das in der Vergangenheit immer ein gewisser Schwachpunkt bei uns. Jedenfalls kann ich das Kapital nicht allein aufbringen, oder wäre jemand von Ihnen bereit, bei uns mit ein paar Millionen einzusteigen?“
Die Frage war eher theoretisch, den keiner war dazu bereit und in der Lage. Insofern schauten sie alle ausnahmslos auf den Tisch oder in die vor ihnen liegenden Papiere.
Pauli fuhr nach der Kunstpause, die er sichtlich genoss, weil sie die Abhängigkeit seiner Geschäftsführer von ihm deutlich machte, fort: „Wenn wir unsere Firma“ – plötzlich sagte er ‘unsere Firma‘, wo er sie doch ausschließlich als ‘seine Firma‘ betrachtete und auch so behandelte – „in eine AG umwandeln, dann können wir kleinere Anteile über die Börse verkaufen und auch die Geschäftsführer und leitenden Angestellten an der Firma beteiligen, das steigert den Einsatzwillen und die Motivation.“
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