1 ...7 8 9 11 12 13 ...33 „Dann schmeißen Sie sie raus und sorgen Sie dafür, dass wir sofort bessere Leute bekommen, oder soll ich mich etwa um alles selber kümmern?“ brüllte Pauli.
„Nein, das ist nicht nötig“, antwortete Ceponek ruhig.
„Dann tun Sie es gleich.“
Ceponek verließ unverzüglich den Raum.
Dr. Pauli mochte seinen Finanzchef nicht und nutzte jede Gelegenheit, ihn vor anderen zu brüskieren, aber das machte er auch mit anderen Führungskräften seines Hauses. Es spielte für ihn dabei keine Rolle, ob nachgeordnete Abteilungsleiter oder einfache Sachbearbeiter anwesend waren, es war ihm gleichgültig, ob seine Führungskräfte ihr Gesicht verloren, diese hatten sich aber an die Eigenarten ihres Chefs über die vielen Jahre gewöhnt. Da die verbalen Ausfälle niemals negative Konsequenzen hatten, etwa dergestalt, dass jemand entlassen worden wäre, ging man anschließend zur Tagesordnung über. Wenn man Glück hatte, traf es das nächste Mal einen anderen, und die Welt befand sich wieder im Gleichgewicht. Nicht, dass es ihnen gleichgültig war, einige litten sogar darunter, aber sie betrachteten es als ‘normales Führungsverhalten‘ und verhielten sich gegenüber ihren Abteilungsleitern genauso. Die gesamte Organisation verhielt sich so, von oben nach unten setzte sich die gleiche Einstellung durch: Ich stehe oben, ihr steht unten, ich ordne an, ihr führt aus, ich dulde keinen Widerspruch!
Bei dem Angriff auf Ceponek hatte sich Kramer wie üblich im Hintergrund gehalten, um nicht ebenfalls in die Schusslinie seines Kollegen zu geraten. Da das Grundkapital zu maßgeblichen Teilen in der Hand von Dr. Pauli und seiner Frau lag – außer Dr. Schubert kannte niemand die genauen Zahlen -, war Pauli unbestritten die Nummer eins in der Firma. Kramer hätte auch nie gewagt, als erster in einer Besprechung das Wort zu ergreifen.
Außerhalb der Firma, im halb privaten Gespräch jedoch, äußerte Kramer, wie fast alle Führungskräfte, seinen Vorbehalt gegenüber den patriarchalischen Führungseigenschaften seines obersten Dienstherrn. Aber offiziell tat das niemand. Man schwieg und hatte seine Ruhe, aber dadurch wurde die Unternehmensentwicklung behindert und die finanzielle Situation verschlechterte sich, weil das persönliche Engagement der Mitarbeiter erlahmte und die Führungskräfte überlastet waren, denn sie mussten sich um jedes Detail selbst kümmern.
Von Controlling verstand Pauli nicht viel und er interessierte sich auch nicht besonders für das bilanzielle Zahlenwerk, jedenfalls so lange die Ergebnisse gut waren, und das waren sie in den meisten der zurückliegenden Jahre gewesen. Aber seit einiger Zeit liefen die Geschäfte nicht mehr so reibungslos wie früher. Eine Anzahl von kleinen, regionalen Wettbewerbern hatte zunächst unbemerkt, dann aber immer stärker, mit innovativen Produkten auf den Markt gedrängt. Sie boten kundenspezifische Problemlösungen mit kurzen Lieferzeiten. Der größte Konkurrent, die Firma Kranz Systemtechnik mit Sitz in Essen, machte laufend neue Preiszugeständnisse an die wichtigsten Großabnehmer. Pauli versuchte mit allen Mitteln Marktanteile zu halten beziehungsweise verlorene zurückzugewinnen, aber das Geschäft war schwierig geworden. Der Pauli Systemtechnik fehlte es an technologischen Innovationen und neuen, ertragsstarken Produkten und an Investitionen in moderne Fertigungstechniken. Das war auch der Grund, warum Pauli jetzt an die Börse drängte, denn er ahnte die Schwächen seiner Firma, und er kannte die seiner Mitarbeiter.
Nun hatte er seinen Standpunkt klargemacht und ging davon aus, dass Ceponek alles tun würde, um das Rechnungswesen auf den neuesten Stand zu bringen. Was aber nicht geschah und auch nicht geschehen konnte, denn dazu wären viele Punkte zu klären gewesen, nämlich: Welche Informationen werden von wem benötigt? Wie sollen die Daten aufbereitet werden? Mit welchen Systemen soll gearbeitet werden und wann sollen die Daten zur Verfügung stehen? Aber dazu war jetzt weder die Zeit noch die Gelegenheit. Ganz abgesehen davon, wäre Dr. Pauli auch nie bereit gewesen, sich mit den notwendigen Details vertraut zu machen.
Dr. Pauli ließ das Thema einstweilen auf sich beruhen und fragte nach der Meinung zu dem geplanten Börsengang. Eine allgemeine Stille entstand, denn jeder wartete auf die Meinungsäußerung der anderen.
Schließlich ergriff Oderbruch zögernd das Wort. „Da müsste ich erst einmal Einzelheiten erfahren, aber es hört sich insgesamt ganz vernünftig an.“ Oderbruch sprach in einer etwas trockenen und umständlichen Art, wobei er oft Gesprächspausen einlegte, in denen niemand wusste, ob er noch bei der Sache war, ob er überlegte oder ob es sich um Kunstpausen handelte, um die Wirkung seiner Worte zu prüfen. Jedenfalls blickte er versonnen in die Ferne, das heißt, nur ein Auge war in die Ferne gerichtet, das andere starrte auf den ihm gegenübersitzenden Fritz Pauli, als ob er fragen wollte, was dieser denn davon halte. Da er aber wusste, dass alles längst entschieden war, wollte er weder ja noch nein sagen. Er kannte die Konsequenzen für sich persönlich nicht, und nur darauf kam es ihm an. Im Übrigen sollte doch der Pauli-Clan machen, was er wollte.
Fritz Pauli war das ganze Gegenteil von Oderbruch. Er sprach hastig und mit aggressiven Unterton. In Gegenwart von Oderbruch konnte er sogar ironisch und verletzend werden, wobei er die direkte Anrede mied. Jedenfalls gab es eine ausgeprägte Rivalität zwischen den beiden.
Oderbruch wurde von Dr. Pauli oft vorgezogen und nur selten offen und vor allem nicht in Gegenwart anderer Geschäftsführer kritisiert. Fritz empfand dies als persönliche Herabsetzung durch seinen Bruder. Er hätte sich dagegen gewehrt, wenn er eine andere berufliche Perspektive gehabt hätte. Auch er war nur durch seinen Bruder in diese Führungsposition gelangt. Man erzählte sich sogar, hinter vorgehaltener Hand, dass er als Marketingleiter eines größeren Unternehmens früher einmal Schiffbruch erlitten habe. Andererseits hatte er vor Jahren durch seinen tatkräftigen Einsatz die Firma vor einer Schieflage bewahrt. So hatte sich eine gegenseitige Abhängigkeit ergeben. Der große Bruder befahl und der kleine Bruder folgte, wenn auch zunehmend verdrossen.
Oderbruch war fast von Anfang an mit dabei gewesen und hatte die kleine Firma mit aufgebaut. Er war damals Doktorand, als Pauli Assistent am Institut für Schwingungstechnik bei Professor Karlstadt an der TH Karlsruhe war. Oderbruch leitete seit vielen Jahren die Gesellschaft für Micro-Technik, eine 100%ige Tochtergesellschaft der Pauli Holding. Er war seit dieser Zeit mit Pauli befreundet, deshalb duzten sie sich.
Es gab übrigens auch eine Begebenheit, die mindestens 25 Jahre zurücklag, und das etwas delikate Verhältnis zwischen den beiden begründete, aber nie zur Sprache gekommen war: Die damalige Freundin von Oderbruch wandte sich Dr. Pauli zu, der sie kurze Zeit darauf heiratete.
Oderbruch war nie drüber hinweggekommen. Er heiratete wenig später seine Fran Hanna, eine engagierte Frauenrechtlerin, die versuchte in einer linken Partei Karriere zu machen. Diese Ehe wurde oft durch unterschiedliche politische Ansichten belastet, so dass der Dialog auf das Notwendigste beschränkt wurde. Man sprach schon offen von Trennung oder sogar von Scheidung. Beide hatten jeweils wechselnde Beziehungen zu anderen, was immer häufiger zu gegenseitigen Vorwürfen führte. Oderbruch machte dafür insgeheim seinen `Freund` Pauli verantwortlich, sprach dies aber niemals offen aus.
„Also“, setzte Oderbruch die begonnene Antwort fort, „in der Tat könnten wir mehr Geld für dringend erforderliche Investitionen gebrauchen. Unsere Bearbeitungszentren sind nun zehn Jahre alt und bringen nicht mehr die geforderte Qualität. Wir können die von unseren Auftraggebern geforderten engen Toleranzen nicht mehr einhalten, und der Ausschuss steigt. Das kostet uns viel Geld ruiniert unsere Reputation.
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