Er wurde von einem kräftigen Mann begleitet, der finster hinter ihm her stapfte.
„ Dominus ! Das ist Ancus Haterius, der Bruder der Dame Tertia“, rief Faustus, wurde aber rüde beiseitegeschoben. Ancus Haterius hielt sich nicht mit langen Vorreden auf.
„Centurio, ich verlange eine Erklärung!“
Immerhin wollte er reden und war nicht gleich mit gezücktem Dolch auf ihn losgegangen. Lucius zeigte auf den nächstgelegenen Weinstand. Haterius nickte und holte einen Krug Wein und zwei Becher.
„Wir sehen uns später“, sagte Lucius zu Appius und Domitia, ohne auf ihre fragenden Mienen zu achten. „Faustus, du wartest dort.“
Haterius füllte die beiden Becher und stellte den Krug zwischen sie.
„Ich verlange eine Erklärung von dir. Wieso ist meine Schwester seit vier Monaten in deinem Haus? Selbst wenn du sie in Augusta Treverorum gerettet hast. Ja, Tertia sagte tatsächlich ‚gerettet‘.“
Er rang nach Luft.
„Vor dem Bruder ihres verstorbenen Mannes. Sonst hat Tertia nicht viel gesagt, das brauchte sie auch nicht.“
Haterius nahm einen langen Schluck.
„Ich hatte Vater gewarnt. Eine alte Familie, das schon, aber sie taugt nichts. Der jüngere Sohn war noch der beste des ganzen Wurfes.“
Haterius stürzte den restlichen Inhalt des Bechers herunter.
„Tatsächlich war er ein feiner Kerl, aber ich kenne auch seinen Bruder, dieses Schwein, und seine Frau, diese Harpyie.“
Er kippte den nächsten Becher herunter. Lucius sah ihn verblüfft an. Wollte er nach jedem Satz einen Becher kippen? Lucius schenkte ihm den dritten Becher ein, aber an dem nippte Haterius nur.
„Also, was immer in Augusta Treverorum an den Saturnalien vorgefallen ist, ich danke dir, dass du meine Schwester von dort ins Oppidum gebracht hast.“
Gern geschehen, zeigte Lucius mit einer Geste. Er wusste sowieso nicht, was er sagen sollte, und Haterius war so schön in Schwung. Haterius fixierte ihn mit seinem Blick.
„Das erklärt aber nicht, warum du sie nicht, wie es deine Pflicht gewesen wäre, bei ihrer Familie abgeliefert hast.“
„Du hattest mit deiner Familie den Ort bereits verlassen, um bei deinem Bruder zu überwintern. Ihr seid Meilen entfernt gewesen“, erinnerte ihn Lucius.
„Das heißt aber nicht, dass sie die H …, äh, im Haushalt eines Centurio wohnen soll.“
Haterius‘ Blick wurde geradezu durchbohrend.
„Sie hat in deiner Unterkunft den ganzen Winter verbracht. Ich bin sicher, ihr habt nicht nur Gedichte rezitiert.“
Lucius verzog keine Miene. Er musste sich beherrschen. Er durfte dieses Ekel weder auslachen, noch ihm eine reinhauen. Tertia würde es ausbaden müssen.
„Wir sind eine sehr traditionsbewusste Familie“, hatte sie erzählt. Schon die Namen Ancus und Novius bewiesen, was für eine Gesinnung die Familie hatte. Wer nannte seine Kinder heute noch so? Lucius entschloss sich also zu einer diplomatischen Antwort.
„Ich habe deine Schwester mit großem Respekt behandelt. Sie war auch nicht in einer Taverne untergebracht, sondern wohnte in dem Haus des angesehenen Appius Maestus. Seine Frau Domitia hat sich ihrer angenommen und ich habe ihr meine Sklavin Fausta zur Verfügung gestellt“, erklärte Lucius. „Ich war ebenfalls Gast in diesem Haus und hatte natürlich ein anderes Zimmer.“
Sie starrten einander an. Lucius konnte erkennen, wie es im Kopf des anderen arbeitete. Vielleicht erhoffte Haterius sich vom Wein Inspiration, denn er leerte den Becher erneut in einem Zug.
„Wenn du sie mit zur Legion nehmen willst, das kannst du vergessen!“, brach es aus Haterius heraus. „Soll sie in einer dieser miesen Hütten vor dem Lager wohnen? Hast du so was mit meiner Schwester im Sinn?“
„Was denkst du von mir? Dass ich deine Schwester wie eine Straßenhure behandle? Sie in einem Stall halte, jeden Abend beehre, danke für den Fick und auf Wiedersehen?“
Haterius lief rot an und stellte den Becher mit einem lauten Knall auf den Tisch.
„Wir Haterii sind zwar nur Plebejer der dritten Klasse, aber wir sind stolz auf unseren guten Namen. Ich will wissen, ob du unsere Familie entehrt hast!“
Lucius erhob sich und spielte den tödlich Beleidigten.
„Du sprichst von eurer Ehre, aber was ist mit meiner? Mit der dignitas der Justinii Marcelli? Glaubst du, ich bin über sie hergefallen? Glaubst du, ich habe sie gezwungen, Gast in dem Hause zu sein? Glaubst du, sie hat sich mir an den Hals geworfen wie eine Straßenhure?“
Haterius starrte ihn unverwandt an und Lucius entdeckte kein Fünkchen Wohlwollen in seinem Blick. Er bekam plötzlich Angst um Tertia. Auch wenn sie nicht mehr unter der Vormundschaft ihres Bruders stand, konnte dieser sie doch aus verletztem Ehrgefühl töten, gleichgültig, ob er das Recht hatte oder nicht. Lucius legte seine linke Hand an sein Gemächt und hob die rechte zum Schwur.
„Ich schwöre, dass ich deine Schwester mit größtem Respekt behandelt habe und dass wir in getrennten Zimmern untergebracht waren.“
Das war immerhin nicht gelogen. Hoffentlich entging Haterius der Unterschied zwischen getrennt untergebracht und getrennt schlafen. Haterius mahlte mit dem Kiefer als müsste er die Worte zerkleinern.
„Außerdem ist deine Schwester nicht dumm. Sie braucht eure Hilfe, nicht meine!“, ergänzte Lucius, um Haterius auf eine andere Spur zu bringen. „Wie kann ihr ein Centurio bei ihrer Mitgift helfen? Wie soll ein Centurio sie schützen und für sie sorgen, wenn er irgendwo jenseits des Rhenus in den germanischen Wäldern steckt?“
Haterius sprang auf das Wort Mitgift an.
„Was ist mit der Mitgift?“
„Sie hat sie nicht zurückbekommen“, sagte Lucius. „Ihr Schwager hat sie behalten.“
„Dieser Scheißkerl“, fluchte Haterius. „Möge Pluto ihn in den Arsch ficken. Wie kann er es wagen?“
„Es war niemand da, der sie beschützen konnte. Ihre Brüder waren weit weg.“
Lucius nippte am Wein. Bacchus hilf! Was für ein Gesöff! Haterius aber hatte schon den nächsten Becher zur Hälfte geleert.
„Ich werde Novius sofort schreiben. Wir müssen beraten, was geschehen soll, sie braucht einen neuen Mann.“
Haterius schien mit seinem Becher zu sprechen.
„Und wir müssen diese Mitgift wiederhaben.“
Der Gedanke belebte ihn. Lucius versetzte das Gesagte einen Stich. Tertia sollte heiraten? Natürlich, irgendjemand musste sich ja um sie kümmern.
„Empörend wie das mos maiorum , die Sitten der Väter, dauernd verändert werden!“, sagte Haterius plötzlich. „Dieses neumodische Zeug, wonach die Frau ein eigenes Vermögen hat und jederzeit ausziehen kann.“
Er schüttelte sich angewidert.
„Was soll aus Rom werden, wenn wir unsere Traditionen aufgeben?“
Traurig leerte er den Becher und Lucius schenkte nach. Je mehr Haterius trank, desto weniger würde er sich später an alles erinnern.
„Tertia hat gesagt, eine Manusehe kommt nicht mehr für sie infrage. Zweimal sei genug.“
Er donnerte die Faust auf den Tisch und die anderen Gäste sahen herüber.
„Nicht infrage! So weit ist es schon gekommen. Jetzt wollen die Frauen schon mitreden.“
„Euer Vater ist tot, ihr Mann auch. Sie hat drei Kinder geboren, damit ist sie jetzt sui iuris , mündig, auch wenn keines der Kinder überlebt hat.“
Der Hinweis konnte nicht schaden. Lucius nippte wieder an seinem Becher und wiederholte: „Sie ist sui iuris, und kann also über sich selbst bestimmen.“
Haterius sah ihn verschlagen an.
„Theoretisch. Quot licet iovi, non licet bovi . Was den noblen Frauen gestattet ist, ist den einfachen noch lange nicht erlaubt. Unsere Frauen brauchen jemanden, der sie beschützt, der sie vor Gericht vertritt. Unser Vater ist tot, also wäre es am besten für sie, wenn sie sich unter unsere Vormundschaft stellen würde.“
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