Es sah aus, als wollte der Vater für diesmal den Jungen prügeln, was er nie tat, er schlug nie ein Kind. Aber er besann sich wieder. Ach was, murrte er, nahm seine Jacke vom Stroh, zog sie an, den Jungen immer finster ansehend, und ging aus der Scheune. Entweder hatte er die Häcksellade ganz vergessen, oder er wollte nun gerade nicht häckseln.
Der Junge sah dem Vater nach. Der Vater ging nicht ins Haus, auch nicht zu den Ställen, auch nicht aufs Feld – er ging den Weg zur Chaussee.
Der Junge brannte lichterloh in seinem Zorn und Kummer, er sah den Bruder Max, er schrie über den Hof: Max, komm längs, Häcksel schneiden! Vater geht in den Krug!
Der Vater machte mit einem Ruck kehrt. Er lief fast auf den Jungen zu, der sich eng gegen den Bansenverschlag drückte. Nun hatte er doch Angst. Der Vater war ganz weiß, er war so aufgeregt, dass er kaum sprechen konnte.
Du, stotterte er, du kriegst den Hohohof doch nie! Der Sohn sah den Vater wortlos an. Der Vater wurde noch zorniger: Ich schwöre hier, wie ich steh, nie sollst du einen Pflug auf diesem Hof anzufassen kriegen. Der Junge sah den Vater an. Nie sollst du säen, nie sollst du ernten, schrie der Vater noch, aber der Hauptzorn war vorbei. Er drehte sich um mit einem Ruck und ging doch ins Dorf.
Dieser Streit zwischen Sohn und Vater, der einzige in vielen Jahren, änderte an dem Verhältnis der beiden äußerlich fast nichts. Hannes war weiter sein Liebling, viel mehr als der kleine, untersetzte, schwerfällige Bruder Max. Der Vater sprach weiter mit Hannes, lachte mit ihm, aber nie wieder nahm ihn der Vater mit aufs Feld hinaus, nie wieder ging er mit ihm in einen Stall. Wenn die eiligste Heuernte war, und alles musste mit zufassen, Hannes wurde ausgeschlossen. Suchte er sich aber selbst eine Arbeit, so kam sicher irgendein Knecht oder eines von den Geschwistern oder der Vater selbst und nahm sie ihm stillschweigend aus der Hand. Der Junge war und blieb ausgeschlossen von der Arbeit und damit von dem Leben auf dem Hof. Er hätte sich vielleicht stärker dagegen aufgelehnt, immer wieder sein Recht auf Mitarbeit gesucht, wenn der Vater damals, an jenem Streittage, wirklich in den Krug gegangen wäre. Aber dahin war der Vater nicht gegangen. Der Vater hatte einen Schwur getan, und der sollte nicht eben so hingesagt sein, im Zorn, nein, er hatte richtig geschworen. Nein, der Vater war zum alten Superintendenten Marder gegangen und hatte seinen Sohn Johannes für fünf Schulstunden täglich zur Vorbereitung aufs Gymnasium da angemeldet. So, nun wurde der Sohn kein Bauer, aber ein Garnichts sollte er darum doch nicht werden. Er sollte die Wissenschaft lernen. Es war eine teure Sache für den Bauern Gäntschow, denn »ol Superdent Marder« war bekannt dafür, dass er nicht nur redensartlich, sondern wirklich von den Lebenden und Toten zog, aber es musste gehen.
Und dieser Streit hatte noch eine andere Wirkung: der Vater schwor für viele Jahre das Saufen ab. Da hatte dieser Knirps, dieser Garnichts vor dem Vater gestanden und gesagt, behauptet, angedeutet und behauptet, es würde eines Tages nichts mehr zu erben da sein, der Hof würde verludert werden. Warum hatte der Vater getrunken, dann einmal und zwei Monate später wieder einmal? Weil er allein war, weil sich nichts lohnte, weil die Frau nichts taugte, weil es doch nicht auf ihn ankam. Weil es egal war, wie man seine Felder bestellte, weil wir doch eines Tages alle tot sind und dann all unser Tun zwecklos geworden ist. Nun aber hatte dieser Bengel vor ihm gestanden, ach ja, der Vater hatte ganz gut kapiert, dass es nicht Gehässigkeit und Streitsucht gewesen waren, die dem Sohn die Zunge geführt hatten, sondern heiliger Zorn, Sorge, Erbitterung. Siehe, es kam doch auf ihn an, ein kleines Geschöpf, siebzig Pfund Fleisch und Knochen, nicht der Rede wert Hirn, zürnte mit ihm. Nichts zu erben?
Dir wollen wir’s zeigen! Saufen, verludern – was verstehst denn du? Erben, nichts zu erben, jawohl, einen ganzen Bauernhof, hundertachtzig Morgen, alles weizenfähiger Boden, vier Pferde, acht Kühe, Jungvieh, Schweine, voller Beschlag, jawohl, erben! Aber nicht du, du Naseweis! Du sollst sehen! Ein Schreibknecht sollst du werden, ein Federfuchser, wie dein Onkel Gäntschow, dein Vatersbruder, in der steinernen Stadt Berlin, zwischen Mauern und auf einem Büro. Geh du nur zum alten Superintendenten Marder, büffele, lerne, Bücher, Tinte, Staub.
Und Johannes Gäntschow ging zum Superintendenten, jeden Werktag, fünf Jahre lang, fünf Stunden jeden Werktag lang. Es wäre die unerträglichste Geschichte von der Welt für einen an viel Luft, weite Äcker und rauschende See gewöhnten Bauernjungen gewesen, wenn er nicht einen Leidensgefährten gehabt hätte, eine Leidensgefährtin heißt das: die Christiane Freiin von Fidde.
Die Grafen von Fidde saßen ja nun mindestens ebenso lange wie die Gäntschows auf der Halbinsel Fiddichow. Sie leiteten ihren Ursprung von jenem Herzog Wisso her, der in grauen Zeiten einen Heidenmann, Gunnar, am Kehlteich hatte hinrichten lassen, weil ihm sein Lieblingsschimmel geschlachtet worden war. Es wäre übertrieben, wollte man behaupten, die Feindschaft zwischen den Gäntschows und den Grafen Fidde datiere von jenem sagenhaften Doppelopfer her. So weit braucht man nicht zu suchen. Ein Bauer kann nie und niemals Freund eines Grafen über Tausende von Morgen Land sein. Wer selbst hinter seinem Pflug geht, sorgsam Furche um Furche umlegt, muss den verachten, der durch seinen Inspektor zwanzig Pferde- und Ochsengespanne zum Pflügen schickt. Jedenfalls, hätte Bauer Gäntschow gewußt, dass in Superintendent Marders verräuchertem Amtszimmer sein Sohn der Freiin Fidde gegenübersitzen würde, er hätte sich den Fall mit der höheren Bildung noch einmal überlegt. So aber sagte Marder nur hastig: Das ist also der Johannes Gäntschow, Christiane, zeig ihm mal die erste Seite von deiner Syntax. Er weiß noch rein gar nichts. Ich muss mal rasch …
Und damit fuhr er aus der Stube. Superintendent Marder fuhr immer hastig durch die Weltgeschichte, außer seinen Schülern, einer großen Pfarrei, hatte er auch noch einen Bauernhof zu besorgen, immer war er überall und nirgend.
Der Junge stand unter der Tür und sah nach dem Mädchen auf dem Sofa mit zusammengezogener Stirn hin. Er hatte keine Ahnung, wer sie war. Vielleicht hatte er sie einmal im Kutschwagen vorüberfahren sehen, aber daran dachte er nicht mehr. Das aber sah er jedenfalls, dass sie in ihrem glatten, dunkelblauen Kleid mit dem schweren, dunklen Scheitel und den Schnecken über den Ohren keine Bauerntochter war. Außerdem schien sie ihm, trotzdem sie gleichaltrig mit ihm war, viel älter als er. Und dass sie ihn nun gewissermaßen unterrichten sollte, und dass er rein gar nichts wußte, kränkte ihn sehr.
Du brauchst mir nichts zu zeigen, sagte er brummig von der Tür her. Ich will doch nichts lernen. Ich werde doch Bauer. Und wenn ich nicht Bauer werde, werde ich Schmied.
Christiane hatte zwar keine Mutter, dafür aber einen ältlichen, kränklichen, oft missgelaunten Vater. Darum war sie der Lage gewachsen und sagte ernsthaft: Ein Schmied ist aber immer schmutzig.
Johannes Gäntschow bedachte es und sagte: Aber er versteht viel von Pferden. Er kann ein Pferd für immer lahm machen, wenn er das Beschlagen nicht ordentlich versteht.
Sie antwortete: Ein Trainer versteht aber noch viel mehr von Pferden, ich würde Trainer werden. Dann brauchst du dich auch nicht schmutzig zu machen.
Was ist ein Trainer? fragte er.
Ach, sagte sie, er sagt, wie die Pferde gefüttert werden sollen, und schimpft immer die Stallburschen, dass sie nicht ordentlich putzen, und er erzählt den Leuten, wie sie reiten müssen. Und reitet immer am schönsten.
Reiten? fragte er. Reitpferde sind Quatsch. Ich brauch ordentliche Arbeitspferde, die was ziehen können, nicht solche verhungerten Engländer.
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