Überall knisterte Stroh, eine Kuh käute wieder, Halfterketten rasselten. Die Stallaterne wurde angebrannt, ein Fenster geöffnet. Die kalte Winterluft drang ein, kämpfte mit der Wärme und war plötzlich überall. Der Junge stand im Schatten beim Rübenschneider und schwieg. Da deutete der Vater zum offenen Fenster: die Glocken begannen zu läuten, Silvester vorbei, das neue Jahr hatte begonnen.
Der Vater ging zur ersten Kuh, er sagte kein Wort, aber er verbeugte sich vor ihr und bekreuzte sie dreimal. So tat er bei der nächsten, bei der dritten, bei der vierten. Bei der fünften, der einzigen, die stand, stutzte er einen Augenblick, der Knabe sah es wohl. Aber dann ging Vater weiter, reihauf, reihab. Das Jungvieh beachtete er nicht, auch nicht die Pferde. Er ging wieder ans Fenster und schloß es. So, nun kannst du reden, Alwert, sagte der Vater und nahm den Jungen bei der Hand. Jetzt will ich dir etwas zeigen.
Die beiden kletterten über die Krippen weg, gingen zwischen zwei Kühen durch und zu jener fünften, die gestanden hatte und noch stand. Da sah Alwert freilich sogleich, um was es ging: die Kuh bekam ein Kalb. Die Vorderpfoten und der Kopf schauten schon heraus, der Vater faßte die Pfoten und zog leicht, und nun war es, als schlenkerte er etwas unendlich Langes, Schwarzweißes auf die Erde.
Da lag das Kälbchen auf der Seite, den Kopf von sich gestreckt, und atmete hastig. Lauf und hol Schrot, rief der Vater, und Alwert lief und holte Schrot. Damit wurde das Kalb bestreut und der Kuh zum Ablecken hingelegt. Der Vater sprach: Gerade zur zwölften Stunde in der Silvesternacht hat es das Licht erschaut. Das wird kein gewöhnliches Kalb.
Und nun zeigte er dem Sohn, dass es auch nicht wie die andern einen weißen Fleck, einen Stern auf der Stirn trug, sondern eine Krone. Man konnte ganz leicht erkennen, dass es eine Krone war. Jetzt wurde es noch sicherer, dass dies kein gewöhnliches Kalb war. Es ist ein Kuhkalb, sagte der Vater noch und beide gingen wieder in das Haus hinüber. Das Mädchen wurde in den Stall zum Ausmelken und Tränken geschickt. Sie aber traten in das Wohnzimmer, wo der Besuch war.
Es war dies zu einer Zeit, da der Bauer Gäntschow wieder einmal gut Freund mit allen Nachbarn war, und so saßen viele Leute in der guten Stube und viel Geschrei und Gelächter begrüßten die beiden. Der lange Gemeindevorsteher Wilms rief: Du alter Heide, kannst du gar nicht von deinen Heidentücken lassen?
Es war nun gar nicht so sicher, dass er selbst völlig erhaben über solch Heidentum war. Wer weiß, vielleicht hatten seine Frau oder sein Sohn daheim zur gleichen Stunde das gleiche getrieben, vielleicht hatten sie sich sogar unter eine aufgestellte Egge gesetzt und versucht, in die Zukunft zu schauen. Aber zugegeben durfte so etwas keinesfalls werden. Und Alwert war ganz glücklich, als der Vater antwortete: Heidentücken? Was meinst du denn, Adolf? Meine Klio hat eben gekalbt, darum bin ich mit dem Jungen in den Stall gegangen. Sind das Heidentücken?
Welches Geschrei, welcher Unglaube! Sie zogen alle in den Kuhstall, und da sahen sie nun freilich das Kalb und mussten still sein. Sie taxierten es auf achtzig Pfund und fanden, es sei ein strammes Kalb. Das war alles. Alwert verachtete sie tief. Sie hatten die Krone nicht gesehen, das Geheimnis nicht erraten. Das Geheimnis war geheim geblieben, es war nicht verlorengegangen. Alwert brauchte sich nur in den frühen Dämmerstunden, wenn die Kühe satt und still waren, in den Stall zu setzen und sein Kalb anzuschauen. Dann war das Geheimnis wieder da. Das war keine Kunst, dachte Alwert, zu entdecken, dass hinter den Augen einer Kröte eine verzauberte Prinzessin wohnt. Jeder, der diese schönen, traurigen Augen in dem häßlichen Leibe sah, musste es gleich erraten. Aber die Verzauberung seines Kalbes, das Wunderland, aus dem seine Seele kam, war viel schwerer zu entdecken. Dass sie mit Menschen nichts zu tun hatte, war sicher. Mit menschlichen Wundern hatte sie nichts gemein. Da war nun die Wanderung der Kinder Israel durch das Rote Meer, von der sie solch Geschwätz beim Kantor in der Schule machten. Das war doch nur ein menschliches, ein ausgerechnetes Wunder. Diese Mauern, die das Wasser bildete, und sie gingen trockenen Fußes über den Sand, Gott ja, aber ein Tunnel war ebensolch ein Wunder. Es war alles einfach, ausgerechnet. Es war gar nicht geheimnisvoll und rätselhaft.
Nimm nun einmal ein Kalb, das ist es, was ich ein Wunder nenne! Kann man sich etwa einbilden, es hätte je schon auf einer Graswiese, über die Menschen hingehen können, geweidet? Das war einfach lachhaft! Man nehme die feinste, zarteste Prinzessin, die Krötenprinzessin etwa: schon aus der Art, wie eine Kröte hüpft, sich hinsetzt, das Maul auftut, sieht man, sie weiß auf dieser Erde Bescheid, sie ist immer hier gewesen. Aber sieh nur ein Kalb aufstehen, die ersten Torkelschritte machen, nach einem Euter tasten, und du begreifst sofort, dass es ganz neu auf dieser Erde ist, dass es alles von Anfang an erlernen muss. Es ist eben einfach nicht auszudenken, wie und wo es früher war. Ausrechnen, vorstellen läßt sich da nichts, man muss es träumen.
Selbstverständlich kamen auch sehr schwere Zeiten für Alwert und das Kuhkalb. Es kam die Zeit, wo es nicht mehr saugen durfte, wo es Milch aus dem Eimer zu trinken bekam, und da trieb es natürlich Unfug mit allem, was es von Alwert fassen konnte. Es saugte an Händen, Haaren und dem Rock. Es leckte die Wichse von den Stiefeln ab, von oben bis unten machte es ihn mit seinem Speichel naß. Es wäre ganz zwecklos gewesen, darüber böse zu werden und nach ihm zu schlagen, alles kam daher, dass es noch nie auf dieser Welt gewesen war. Langsam musste es sich an sie gewöhnen, und vielleicht würde es sich nie ganz an sie gewöhnen können, keine Möglichkeit lag zu solcher Veränderung vor.
Dann kam die Zeit, wo der Vater den Entschluß fassen musste, ob das Kalb angebunden werden sollte oder ob es der Fleischer bekam. Alwert wurde weiß vor Angst. Aber er verbarg das und wurde dafür belohnt: das Kalb sollte hierbleiben. Die Mutter schalt natürlich darüber, über das viele, unnütze Jungvieh, diese Fresser. Aber der Vater nickte Alwert zu. Nun wurde er glühend rot, er verkroch sich mit dem Kopf unter den Tisch: hatte der Vater etwas von seinen Besuchen im Kuhstall bemerkt? Aber er beruhigte sich wieder. Der Vater sprach davon, dass dies Kalb in der Neujahrsnacht geboren sei, und dass er es deshalb behalten wollte. Nichts wußten Eltern noch Geschwister von seinen heimlichen Besuchen, er konnte sich weiter in den Stall schleichen, zur stillen Stunde, und mit ihm sprechen und bei ihm träumen und mit ihm spielen. Ganz ruhig konnte er den Vater fragen, wie denn dies Kalb heißen sollte, und der Vater war einverstanden, dass es einen Namen bekam, da es doch nun unter den Nachwuchs des Stalles aufgenommen war. Und als Alwert den Namen Blanka vorschlug, war er auch damit einverstanden. Es war ein sehr vornehmer Name für ein Dreimonatskalb, nun musste es sich zeigen, ob es dieses Namens auch wert sei.
Jetzt vergingen zwei glückliche Jahre für Alwert und Blanka. Alwert wurde vierzehn Jahre alt und konfirmiert, aber das war gar nichts, wenn man bedachte, wie Blanka wuchs und gedieh. Sie wurde eine starke und schöne Färse, eine wahre Pracht. Den ganzen Sommer, so lange sie auf der Weide getüdert wurde, lag er bei ihr mit seinen Büchern, und sie lernten alles sozusagen gemeinsam. Nun höre einmal zu, Blanka, was das nun wieder ist, konnte Alwert sagen, und dann kam ein schrecklicher Name aus dem vaterländischen Geschichtsbuch. Blanka hörte zu. Sie hob den Kopf hoch und sah ihn an. Sie stieß den warmen Laut aus, den sie nur für ihn hatte, sie hörte das Wort an, und auch ihr schien es ganz ungeheuer, was sich diese Menschen da wieder ausgedacht hatten. Dann senkte sie den Kopf und fraß weiter. Blanka musste alles hören, über den Dreißigjährigen Krieg und Friedrich den Großen, sie erfuhr, was der Kleine und der Große Katechismus war, sie ertrug auch eine Rechnung mit Zinsen. Und das Schönste war, dass dies beider Geheimnis blieb. Kein Mensch ahnte, dass Blanka und Alwert überhaupt etwas miteinander zu tun hatten. Wer weiß, wie der Junge es fertigbrachte, wieviel hundert Lügen er ersann, um sein ewiges Fortsein, sein Niezeithaben zu erklären. Er brachte es fertig, und es sollte sich ja dann zeigen, dass er später noch viel Schwereres für Blanka fertigbrachte. Aber dies waren doch die glücklichsten Jahre.
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