Garcia griff nach der Tasse und trank einen Schluck Kaffee. Danach lehnte er sich in seinem Sessel weit zurück und meinte mit ernster Miene: »Ich habe mir die Zusammenfassungen der Gerichtsurteile durchgelesen. Letztlich waren es nur Freisprüche zweiter Klasse.«
»Mangels an Beweisen.«
»Genau. Gab es denn überhaupt nichts, was uns weiterbringen könnte?«
»Sie hat uns die Namen der Schulen aufgeschrieben, für die ihr Mann in der DDR, als Hausmeister tätig war.«
»Okay. Kannst du bereits mehr darüber sagen?«
Alonso schüttelte den Kopf. »Soll ich die deutschen Kollegen dazu holen?«
»Eine gute Idee.«
Wenig später saßen sie zu viert zusammen. Carlos eröffnete die Runde und fragte die BKA-Beamten neugierig: »Wie ist der aktuelle Stand bei Ihnen?«
Die Deutschen sahen sich kurz an, ehe Ralf Wegner zu erzählen begann: »Wir kommen langsam voran. Frau Neumann hat uns ja freundlicherweise die Schulen genannt, für die ihr Mann vor 1989 tätig war.«
»Wo genau befanden sich die Schulgebäude?«
»Allesamt in Potsdam?«
»Um wie viele geht es dabei?«
»Um insgesamt drei. Interessant ist, dass er für zwei Schulen nur sehr kurzzeitig im Einsatz war.«
»Kennen Sie bereits die Ursache dafür?«
»Ich sage es mal so, wir sind der Wahrheit auf der Spur, weil sein Berufsweg in dieser Hinsicht ein wenig merkwürdig war«, erklärte der Deutsche geheimnisvoll.
Garcia richtete sich auf. »Inwiefern?«
Wegner schmunzelte. »Neumann arbeitete jahrelang für POS A, wechselte dann für einige Monate zur POS B. Anschließend kehrte er wieder zu A zurück, um kurz vor der Wende für wenige Wochen zur POS C zu wechseln. 1990 siedelte das Ehepaar schließlich nach Westdeutschland über.«
»Was ist POS?«
»Die Abkürzung steht für Polytechnische Oberschule. Es war die gängigste Schulform im Schulsystem der DDR, umfasste zehn Klassen und war vergleichbar mit der heutigen Realschule in Deutschland.«
»Wie weit sind Sie denn mit Ihren Ermittlungen?«
»Die Kollegen vom Landeskriminalamt Brandenburg haben mich gerade angerufen und mitgeteilt, dass sie derzeit gemeinsam mit dem Schulverwaltungsamt der Stadt dabei sind, im Stadtarchiv nach weitergehenden Informationen zu suchen.«
»Was erhoffen Sie sich von dieser Recherche?«
Der Deutsche sah Garcia etwas verwundert, wegen der Frage, an. Schließlich erzählte er mit angenehmer ruhiger Stimme weiter: »Es geht vor allem darum, mehr über den beruflichen Werdegang von Herrn Neumann herauszufinden und gleichzeitig nach Zeitzeugen zu suchen. Wir vermuten, dass der Mann bereits in der DDR kriminell in Erscheinung getreten war und dass das von den verantwortlichen Stellen wahrscheinlich unter den Tisch gekehrt wurde.«
»Sind Sie sich sicher, dass er auffällig geworden war?« Luis Alonso blickte ihn skeptisch an.
Wegner schüttelte sofort den Kopf und meinte ehrlich: »Keineswegs. Es handelt sich vorerst nur um einen Anfangsverdacht, der Rest wird sich dann später ergeben, ob die Spur in eine Sackgasse führt oder nicht.«
Carlos sah den Deutschen nachdenklich an, ehe er leise fragte: »Wann ist mit ersten Ergebnissen zu rechnen?«
Sein Gegenüber erwiderte den Blick, ehe er zurückhaltend meinte: »Schwer zu sagen. Nach Auskunft der Kollegen vom LKA ist die Suche aufwendig und ziemlich schwierig. Das hängt vor allem damit zusammen, dass viele Schulunterlagen im Zuge der Wende in der DDR entweder vernichtet oder nicht digital eingescannt wurden.«
»Ich hoffe, Sie haben auf die Dringlichkeit hingewiesen, weil uns hier allmählich die Zeit wegläuft und wir nicht wissen, was der Täter als Nächstes plant.«
Erneut vibrierte der Fußboden für einige Sekunden, während Alonso murmelte. »Das war Nummer 11.«
Carlos ließ sich von der Äußerung nicht aus der Fassung bringen und meinte stattdessen zum Deutschen: »Informieren Sie mich bitte umgehend, falls es Neuigkeiten aus Potsdam gibt. Ich bin über jede kleinste Erfolgsmeldung dankbar.«
Wegner sah ihn schmunzelnd an: »Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihnen Ihre Vorgesetzten im Nacken sitzen und schnellstmöglich Ergebnisse sehen möchten.«
»Ist beim BKA garantiert ähnlich oder?«, erklärte der Spanier lachend.
»Natürlich, ist überall dasselbe. Irgendwelche Theoretiker, die mit Vitamin B auf ihre Position gelangt sind und von der Praxis null Ahnung haben, versuchen immer Druck auszuüben, um sich im Erfolgsfall in den Mittelpunkt zu stellen, obwohl sie nichts dazu beigetragen haben.«
Luis Alonso lachte laut auf. »Dem kann ich nur zustimmen.«
Carlos schmunzelte ebenfalls, eher er rasch auf seine Armbanduhr blickte und meinte: »Okay, dann will ich Sie mal nicht länger aufhalten. Vielleicht kommt ja heute noch eine positive Nachricht aus Deutschland.«
Garcia sah den Kollegen schweigend hinterher, wie sie, miteinander sprechend, das Büro verließen. Erst nachdem die Schallschutztür geschlossen war, griff er nach dem Telefon, das vor ihm auf dem unaufgeräumten Schreibtisch stand, und wählte rasch eine Nummer. Er musste sich ein wenig gedulden, eher am anderen Ende endlich abgehoben wurde und eine frauliche Stimme zu hören war: »Na mein Lieber, was hast du denn auf dem Herzen?«
»Können wir uns nachher treffen?«
Sie zögerte einen Augenblick. »Gerne und wo?«
»Hauptsache nicht neben einer Leiche«, flüsterte er ein wenig verlegen.
Sie lachte hell auf. »Was hast du denn mit mir vor?«
»So genau weiß ich das auch noch nicht.«
»Willst du mich etwa verführen?«
Carlos spürte, dass er langsam im Gesicht rot wurde und war froh, dass niemand das Gespräch mithören konnte. »Ähm, ja, nein. Eigentlich nicht«, stotterte er und kam sich vor, wie ein Teenager vor seinem ersten Date.
»Eine eindeutige Antwort wäre mir zwar lieber, aber das können wir ja mal bei einem Glas Wein näher besprechen. Am besten du holst mich in einer Stunde ab und wir schauen mal, was der Abend noch so bringen wird.«
»Eine gute Idee. Ich warte dann auf dem Parkplatz.«
»Na klar, schreibe mir eine WhatsApp, wenn du da bist.«
»Ja.«
»Carlos?«
»Ja!«
»Du weißt, dass ich dich mag oder?«
»Ich hoffe es. Es geht mir ja genauso.« Da war es endlich ausgesprochen, was er bereits seit einigen Jahren mit sich herumgetragen hatte.
»Na, wir sind ja zwei. Um uns herum bricht immer mehr das Chaos aus und wir beginnen uns mittendrin zu verlieben. Bis nachher. Ich freue mich, Carlos.«
»Ich ebenfalls«, flüsterte er und legte auf.
23.45 Uhr, Südautobahn in Fahrtrichtung Santa Cruz
Seit sie von Los Christianos, einem der Touristenorte im Süden der Insel, losgefahren waren, herrschte eine etwas angespannte Atmosphäre zwischen Jose und Magdalena. Das hatte hauptsächlich damit zu tun, dass sie eine Geburtstagsparty eines Freundes, nach meiner Meinung des jungen Mannes viel zu zeitig verlassen hatten. Aber seine Freundin konnte ihn letzten Endes mit dem Argument überzeugen, dass sie morgen sehr früh aufstehen mussten, um zur Arbeit zu fahren.
So fuhren sie bereits seit Längerem auf der Küstenautobahn in Richtung Inselhauptstadt, wo sie in einem kleinen Appartement zur Miete wohnten.
»Ist dir auch aufgefallen, dass es im Süden keinerlei Schäden durch die Erdbeben gegeben hat?«, fragte die rassige Kanarierin nach einer Weile ihren baskischen Freund.
»Hm«, kam es etwas desinteressiert zurück, während er sich weiter auf das Fahren konzentrierte.
»Wie soll ich jetzt deine Äußerung verstehen?«
Jose rollte genervt mit den Augen, was glücklicherweise von seiner Freundin nicht bemerkt wurde, eher er murmelte: »Es fanden ja dort auch kaum welche statt.«
Sie blickte ihn verwundert von der Seite an. »Woher weißt du das?«
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