Während die beiden Menschen sehr eng umschlungen beieinander standen und sich tief in die Augen blickten, machte sich das dunkle Reich bereit, den alles vernichtenden Schlag gegen die Menschheit zu führen. Die dunklen Mächte spürten die Gefahr, die von der Enkelin Rosemarie Mandels ausging. Daher wollten sie Clarissa auf keinen Fall Gelegenheit geben, sich den Machtbestrebungen des dunklen Reiches zu widersetzen. Bald würden sie sich nicht mehr damit begnügen, sie nur zu beobachten, sondern stattdessen versuchen, ihrer habhaft zu werden und sie ihrer Lebenskraft zu berauben. Nur das ahnte Clarissa noch nicht.
10. Kapitel
Devius war begeistert von dem Wissen der alten Künste, über das Silvia Adler verfügte, und ihre Art, ihm dieses Wissen zu vermitteln. Er hatte von ihr bis spät in die Nacht eine ganze Reihe von Atem- und Konzentrationsübungen erlernt und danach ausgiebig Gelegenheit zum Trainieren dieser Übungen gehabt.
Zwischendurch versuchte er dann noch Clarissa auf ihrem Handy zu erreichen, was ihm aber nicht gelang. Mit Clarissa verband ihn schon nach ihrer ersten kurzen, aber für ihn sehr intensiven Begegnung ein enges Band. Deshalb fing er auch an, sich Sorgen um sie zu machen. Er nahm sich vor, sie am nächsten Morgen in aller Frühe anzurufen. Jetzt fiel Devius aber, nachdem er durch die angenehm milde Nachtluft nach Hause gelaufen war, erst einmal erschöpft in sein Bett und schlief dort fast sofort ein.
Er trug immer noch den Anhänger mit dem Rutilquarz, den er von Silvia Adler erhalten hatte. Der Stein schützte ihn allerdings nicht davor, augenblicklich wieder in seinen altbekannten Alptraum zurückzukehren. Diesmal konnte er sich nach dem Aufwachen allerdings noch an alle Einzelheiten des Traumes erinnern:
Erneut betrat Devius den großen dunklen Raum, den er schon kannte, und wieder brauchte er einen Moment, ehe seine Augen sich an die Dunkelheit dort gewöhnt hatten und er sich darin orientieren konnte. Wie schon erwartet hörte er jetzt links von sich einen leisen monotonen Gesang, wandte sich in diese Richtung und sah dann auch schon die bläulich schimmernde spiegelnde Fläche des großen Spiegels. Wie in den Nächten zuvor trieb ihn eine unbekannte Kraft dazu, sich dem Spiegel immer mehr zu nähern. Gleichzeitig spürte er aber, wie gefährlich diese Annäherung für ihn war und er vielleicht damit sein Leben aufs Spiel setzte.
Immer deutlicher war für ihn nun zu erkennen, dass die Oberfläche des Spiegels durchlässig war und langsam zu zerfließen schien. Auch immer klarer war der Gesang von ihm zu hören, der von einer Gruppe von etwa ein Dutzend dunklen Wesen ausging, die sich vor dem Spiegel in einem Halbkreis angeordnet hatten. Inzwischen war Devius nun dem Spiegel so nahe gekommen, dass er ihn schon fast berühren konnte. Langsam und etwas zögerlich näherte sich seine Hand der leuchtenden Fläche.
Doch ehe Devius die Spiegeloberfläche mit seinen Fingern berühren konnte, ertönte plötzlich eine weibliche Stimme, die von einer großgewachsenen Gestalt etwas abseits dieser Gruppe ausging und die verkündete:
„Huldigt mir, Eurer dunklen Göttin und lasst die Beschwörung des Zaubers des Vergessens nun beginnen.“ Die dunklen Gestalten begannen nun eine Art Kanon in einer nichtmenschlichen Sprache zu singen, der sehr melodisch, aber gleichzeitig auch abgrundtief dunkel und böse klang. Schon nach wenigen Augenblicken sah Devius als Folge davon eine Art Energiestrahl aus der Mitte des Spiegels kommend in ein riesiges dunkelblaues Kristall fließen, das in der Mitte des Raumes stand.
Je länger und lauter die Wesen die Beschwörung vortrugen, desto intensiver wurde dieser Strahl. Im Schein dieses Energiestrahls sah Devius, wie die Wesen vor dem Spiegel, die jetzt dem Schutz der Dunkelheit entrissen waren, wirklich aussahen und es war ein schrecklicher Anblick. Jeder einzelne von ihnen schien aus einem grauenhaften Alptraum entwichen zu sein. Außerdem wimmelte es in dem Raum nur so von Schmeißfliegen, als ob die in dem Raum versammelten Wesen schon lange tot waren und sich in einem Zustand der fortschreitenden Verwesung befanden.
Als der Energiestrahl unerwartet aus dem Spiegel trat, hatte Devius seine Hand vor Schreck schnell zurückgezogen und war von dem Spiegel in die umliegenden Schatten zurückgewichen. Doch jetzt schien es ihm, dass keine Gefahr von der spiegelnden Fläche ausging und er sich ihr ohne Gefahr nähern konnte. Sobald er dem Spiegel dann erneut so nah war, dass er ihn berühren konnte, hörte er auf einmal ein leises vielstimmiges Stöhnen. Erst war sich Devius unsicher, woher diese gequälten Stimmen kamen, aber als er genau hinhörte, war er sich sicher, dass das Stöhnen auf der anderen Seite des Spiegels seinen Ursprung hatte.
Tatsächlich sah er dort eine Reihe von schlafenden Menschen, die offenbar von den Wesen des dunklen Reiches ihrer Lebensenergie beraubt wurden. Der Energiestrahl, der auf dieser Seite des Spiegels durch den riesigen Kristall aufgefangen wurde, ging von den Köpfen dieser Menschen auf der andere Seite aus und wurde durch den Spiegel gebündelt und konzentriert. Das war für die Opfer wie es schien eine schmerzhafte Prozedur, gleichzeitig wurde aber offensichtlich durch den angewandten Zauber verhindert, dass sie aus ihrem alptraumhaften Schlaf erwachen konnten.
Während Devius wie gebannt die Opfer der Beschwörung beobachtete und überlegte wie er ihnen helfen konnte, bemerkte er nicht, wie sich ihm von hinten langsam eine große Gestalt näherte. Auf einmal fühlte er eine feingliedrige und gleichzeitig kräftige Hand auf seiner Schulter und drehte sich erschrocken herum. Vor ihm stand die Frau, die die Wesen vorhin aufgefordert hatte, mit der Beschwörung zu beginnen und lächelte ihn an. Es war eine sehr großgewachsene attraktive Frau mit aristokratischen Gesichtszügen und langen schwarzen lockigen Haaren, die von Kopf bis Fuß in enganliegendes schwarzes Leder gekleidet war.
Ihr Lächeln war kein freundliches Lächeln, sondern ähnelte eher dem Zähnefletschen eines Wolfes kurz bevor er beginnt sein Opfer zu zerreißen. Nachdem sie sein Erschrecken mit Befriedigung wahrgenommen hatte, begann sie zu sprechen:
„Ah, wie ich sehe haben wir hier einen Menschen aus der Welt des Lichts, der unerlaubt in den Schrein der dunklen Mächte eingedrungen ist, um uns bei unserem Ritual zu beobachten. Und das alles ohne uns vorher um Erlaubnis zu ersuchen. Das darf natürlich nicht unbestraft bleiben. Aber Du machst einen jungen und kraftvollen Eindruck auf mich und steckst sicherlich voller Lebensenergie, mein kleiner Freund. Daher werde ich zur Strafe für Dein unerlaubtes Eindringen ein wenig von Deiner köstlichen Energie zu mir nehmen und Dich danach den Werwölfen zum Fraß vorwerfen. Na, was meinst Du dazu?“
Ehe Devius darauf antworten oder überhaupt sich in irgendeiner Form dagegen wehren konnte, beugte sich die Fremde zu ihm herunter, hielt ihn mit dem eisernen Griff ihrer Hände fest und küsste ihn. Dabei drang ihre Zunge fordernd in seinen Mund ein, suchte die seine und umschlang sie wie eine kleine Schlange. Devius konnte es in diesem Moment nicht verhindern, dass sich ein warmes und angenehmes Gefühl in seinem Schoß ausbreitete. Aber während ihre Küsse immer drängender wurden, spürte er, wie sich eine seltsame Kälte und Taubheit in seiner Brust breitmachte. Gleichzeitig merkte er, wie ihn immer mehr seiner Lebensenergie verließ und er immer schwächer und schwächer wurde.
Was machte sie mit ihm? Wollte sie ihn völlig seiner Kräfte berauben, bis er in ihren Händen starb? Nein, das konnte und wollte er nicht zulassen. Daher nahm er nun all seine verbliebene Kraft zusammen und stieß sie von sich.
„Oh, mein kleiner Freund ist doch etwas stärker als ich dachte.“ sagte sie mit leichten Erstaunen und einem gefährlichen Blitzen in den Augen, nachdem er sie weggestoßen hatte.
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