1 ...7 8 9 11 12 13 ...32 „Wie ist das möglich?“ fragte Khamir. „Ich dachte, sie seien nur Kaufleute wie wir, keine Patriarchen. Du erwähntest doch, das ganz Urdland von einem König regiert werde.“
„Die Sache ist etwas komplizierter“, antwortete Kerim mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme. „Imgalion ist eine sogenannte freie Stadt, die gegenüber dem König gewisse Rechte besitzt. Er darf sich nicht direkt in ihre Angelegenheiten einmischen. Die Stadt wird von einem Rat regiert, dem für gewöhnlich Mitglieder besonders reicher Familien angehören. Diesem Rat steht wiederum ein sogenannter Bürgermeister vor, der so etwas wie ein Patriarch ist, nur dass er von den übrigen Ratsherren gewählt und nicht als Erbe in diese Stellung eingesetzt wird. Und die letzten drei Bürgermeister kamen aus der Familie Kjelbing. Andrig Kjelbing ist also mehr als ein reicher Kaufmann.“
„Soweit war uns das aus den Briefen auch mehr oder weniger bekannt“ meldete sich Anduri nun zu Wort. „Wir sollten besser zum Wesentlichen kommen.“ Die ruhige Stimme des Onkels ließ trotz dieser Worte keine Ungeduld erkennen.
Kerim holte wiederum tief Luft. „Also, die Kjelbings sind hauptsächlich an Gewürzen von den Inseln interessiert. Dies wird den größten Teil unserer Lieferungen ausmachen. Darüber hinaus verpflichten wir uns aber, ein bestimmtes Kontingent an Schiffen zu liefern.“
Khamir stutzte kurz, während er wahrscheinlich darüber nachdachte, ob er richtig verstanden hatte. „Schiffe? Was für Schiffe? Schiffe mit welcher Ladung?“
Kerim konnte nicht verhindern, sich innerlich ein wenig über seinen Bruder zu amüsieren. Er hatte diese Frage erwartet. „Hauptsächlich einfach nur Schiffe. Wenn es uns möglich sein sollte, sie noch mit Söldnern zu bemannen, wäre es umso besser.“
„Was?“ Die Reaktion seiner Verwandten kam fast gleichzeitig.
„Ihr werdet es gleich verstehen. Wir bekommen bares Silber von den Kjelbings dafür, dass wir Dhaus von allen erreichbaren Inseln des Westens aufkaufen und in den Norden bringen lassen. Diese Dhaus sind für einen Hafen nördlich von Imgalion bestimmt, der erst vor einigen Jahren erbaut - oder ausgebaut - wurde. Dort soll in kürzester Zeit eine große Flotte entstehen.“
Kerim bemerkte jetzt die Trockenheit in seinem Mund, die seine Aussprache zunehmend heiser gemacht hatte. Da jedoch kein Wasser in Reichweite war, räusperte er sich und fuhr fort:
„Der Grund für den Bedarf der Urdländer an hochseetüchtigen Schiffen ist jetzt erst einmal von nicht allzu großer Bedeutung für uns, außer dass ein erfolgreicher Abschluss dieser Unternehmung unserer Famile auch weiterhin fruchtbare Handelsbeziehungen mit Urdland garantieren wird.“ Ich werde es euch später noch erläutern. Vorher sollten wir über die übrigen Bedingungen des Vertrages sprechen.“
„Nun gut“, stimmte sein Onkel etwas zögrendzu, wobei nun ein Anflug von Argwohn, oder vielleicht eher Wachsamkeit, in seiner Stimme lag. „Dann fahre fort.“ Die schattige Gestalt seines Bruders zeigte keine Regung. Er hätte genauso gut gespannt und aufmerksam wie in Gedanken versunken sein können.
Kerim holte tief Luft und setzte seinen Bericht fort:
„Wie ich schon sagte, bekommen wir das Recht, in Imgalion frei Handel treiben zu können, nur mit der Einschränkung, dass wir jegliche Waren zuerst den Kjelbings anbieten müssen, und nur in dem Fall, dass sie keinen Bedarf haben, uns nach anderweitigen Abnehmern umsehen können. Damit will Andrig natürlich in erster Linie die Oberhand bei den Geschäften in Imgalion behalten. Zudem will er damit verhindern, dass die Famile Tenarson einen Fuß in das Geschäftsleben der Stadt bekommt.“
Bei den letzten Worten bemerkte Kerim, dass seine Zuhörer aufmerkten und Blicke wechselten. Unbeirrt sprach er weiter: „Es besteht eine Rivalität zwischen beiden Familien. Die Tenarsons sind so ziemlich die älteste Kaufmannssippe in Urdland. Sie stammen aus Tanira, einer alten Hafenstadt noch viel weiter im Norden als Imgalion. Inzwischen haben sie in nahezu jeder Küstenstadt ein Kontor, wie ihr vielleicht schon wisst. Sie sind ja bis jetzt auch die einzigen Urdländer, die hier in Pavat einen Stützpunkt besitzen. Andrig hat jede Handelsniederlassung mit seinen Brüdern, Söhnen, Neffen und sonstigen Familienmitgliedern bemannt. Sie beherrschen schon fast den gesamten Seehandel nördlich von hier. Und das bedeutet, dass wir Glück haben, mit den Kjelbings Geschäfte machen zu können. Denn sonst müssten wir uns wohl nach den Bedingungen der Tenarsons richten, und die sind in einer sehr viel besseren Ausgangslage als wir. Unser jetziger Vertrag ist also wirklich zu beiderseitigem Vorteil.“
Kerim unterbrach seinen Redefluss, um die Nachricht wirken zu lassen und seinen Verwandten Zeit für Fragen zu lassen.
„Das bringt uns in eine schwierige Lage“, sagte Anduri.
„Allerdings“, pflichtete Khamir bei.
Kerim war von dieser Reaktion überrascht. Anduri kam jedoch seiner Frage zuvor: „Es geht dabei um das, was ich vorhin erwähnte, die neuen Umstände, die sich hier ergeben haben.“ Er machte eine kurze, wirkungsvolle Pause. „Es haben in den letzten Monaten Gespräche zwischen unserer Familie, das heißt hauptsächlich mir, und den Tenarsons stattgefunden.“
„Seltsam“, warf Kerim ein, „dass sich die Tenarsons überhaupt mit uns befassen. Wir sind doch nur eine unwichtige kleine Kaufmannsfamilie.“
Auf Anduris Gesicht zeigte sich ein Ausdruck, der entweder Missfallen oder Ungeduld oder beides gleichzeitig bedeuten konnte. Auf jedem Fall wünschte sich Kerim, ihn lieber nicht unterbrochen zu haben.
Es war Khamir, der den Faden wieder aufnahm: „Vielleicht waren wir das früher einmal. Du weißt, es gibt vielleicht eine Handvoll einflussreicher Kaufmannsfamilien in unserer kleinen Stadt, und seit meiner Heirat mit Ayanla, spätestens aber mit Abschluss der Verträge mit den Kjelbings, gehören wir auch dazu. Das hat sicher das Interesse der Tenarsons geweckt. Ich wette, dass sie über deine und Vaters Verhandlungen bestens unterrichtet sind. Sie haben überall ihre Agenten. Also haben sie rechtzeitig die Initiative ergriffen und sind auf uns zugekommen.“
„Mit welcher Absicht?“ fragte Kerim, den ein ungutes Gefühl überkam.
„Mit der Absicht, um Shezas Hand anzuhalten“, meldete sich Anduri wieder zu Wort.
Kerim musste sich eingestehen, dass ihn diese Nachricht überraschte, obwohl er die Zeichen hätte erkennen können. Offenbar wusste Sheza schon Bescheid, denn dies erklärte ihre düstere Stimmung, die sie vor Kerim zu verbergen versuchte. Offenbar war sie mit ihrem möglichen zukünftigen Gemahl oder der Vorstellung einer baldigen Heirat im Allgemeinen nicht einverstanden. Kerim konnte sich seine lebhafte Schwester tatsächlich nur schwer als folgsame Gattin eines hellhäutigen Mannes aus dem Norden vorstellen.
„Wer von den Tenarsons hat denn um ihre Hand angehalten?“ fragte Kerim.
„Garred selbst“, antwortete Anduri. „Das macht die Angelegenheit so schwierig für uns. Eine Ablehnung würde vielleicht mit den Vorstellungen meines Bruders übereinstimmen, aber aus verschiedenen Gründen sehr ungünstig für uns sein. Eine Zusage führt aber auch zu Verwicklungen. Das meinte ich vorhin damit, dass das Bündnis den Kjelbings uns auch in eine schwierige Lage bringt.“
Kerim musste erst noch die Tatsache verdauen, dass Orreds Sohn, sein Vertreter für die gesamte Insel Elurna, um die Hand einer Helessan-Tochter angehalten hatte.
„Durch eine solche Heirat würden wir zu den mächtigsten Kaufleuten auf ganz Elurna werden“, platzte es aus ihm heraus.
„Das ist wohl wahr,“ stimmte sein Bruder zu. „Aber wir könnten auch in eine unangenehme Auseinandersetzung gezogen werden, bei der wir vielleicht untergehen. Andrig Kjelbing könnte uns das sehr übel nehmen, und wie du vorhin etwas dunkel angedeutet hast, geht es auch noch um bedeutendere Dinge als bloß gewisse Privilegien im Gewürzhandel.“
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