„Wen hast du ermordet?” fragte Mark und nahm ihre Hände, die sogleich von Wärme erfüllt rosa wurden.
„Viele! - Unzählige!” erklärte sie.
„Das weiß ich, aber welchen Karl?” fragte Mark so laut, dass sie zusammenzuckte vor Schreck.
„Karl von der Leimiß und erst vor wenigen Tagen!” sprach sie und löste sich von ihm, wobei sogleich die bleiche Farbe wiederkam. Sie drehte sich weg und weinte wieder in ihre Hände.
„Karl, der kleine Bruder von Josef und Bernd! Warum?”
In Marks „warum” lag so viel Enttäuschung, dass es Merline eiskalt wurde, obwohl sie kaum noch kälter werden konnte.
„Ich weiß nicht warum! Das weiß ich nie! Aber vielleicht um deinen Vater endlich davon zu überzeugen, dass er dem Morden ein Ende setzen muss.”
„Mein Vater? Was hat denn Vater damit zu tun?”
„Er alleine hat die Macht! Mehr zu sagen ist mir noch immer verboten und es ist auch ohne Bedeutung. Alles löst sich jetzt auch so. - Meine Geschichte! - Sie hätte helfen können. Aber im Grunde ist das jetzt auch sinnlos. Der Weg ist entschieden. Einen anderen Weg gibt es nicht mehr und umkehren kann ich nicht.”
„Seht!” rief Hannes.
Zum zweiten Mal an diesem Abend dachte der Nagel-Kurt, er hätte ein Wetterleuchten gesehen. Doch nach dem Aufblitzen brannte das grüne Licht viel schwächer. Es erstrahlte mitten in der Enz unterhalb der Holzfällerhütte.
„Das ist ein Wassertunnel, genau an der Stelle an der ich angekommen bin. Das war der König!” stellte die Nixe fest. Sie reichte Hannes die Feldflasche. „Danke! Die brauche ich jetzt nicht mehr.”
Sogleich schwebte Merline den Hang hinab.
„Lebt wohl, meine beiden Freunde!” sprach sie dabei und warf vor allem Mark einen Blick über die Schulter zu, der Eis zum Schmelzen bringen konnte.
„Du hast es dir verdient, Tante! Denn du wolltest für ihn sterben,” sprach plötzlich eine körperlose Stimme aus dem Dunkel.
„Merline!”
Die Nixe hielt an und drehte sich um: „Ja, Hannes?”
„Sagst du bitte Else Bescheid, dass es Mark gut geht!”
„Ich hoffe, dass ich das kann, ehe sie mir wieder mit der Mistgabel droht. Aber ich werde es versuchen”, stimmte Merline zu.
„Sag ihr, wir kommen Morgenabend heim!” rief ihr nun auch Mark hinterher.
„Sehr gerne, lieber Mark!” Kaum war Merline über dem Leuchten als sie auch schon verschwand und das Leuchten natürlich auch.
„Glaubst du sie ist jetzt wieder im Wildsee?” fragte Mark nun.
„Sicher! Und dort sind nun wieder alle in Gefahr die sich an den See verirren.” antwortete sein Vater.
„Du hast die Macht! Verhindere es!”
„Ich weiß nicht wie!”
„Die Geschichte von der sie sprach! Das ist der Schlüssel! Du musst ihr die Gelegenheit geben sie weiterzuerzählen. Vielleicht weißt du es dann, Vater.”
„Ja, du hast sicher Recht! Also nehme ich das Pechsieden dort oben am See doch wieder auf.”
„Hast du es denn aufgegeben?”
„Ich sah den Karl hinabsinken, von der Nixe verführt und betrogen. Das gab mir fürs Erste den Rest. Aber das gehört zu der Geschichte und die erzähle ich dir morgen auf dem Heimweg nach und nach. - Was fangen wir jetzt an? Sollen wir hier in der Hütte übernachten?”
„Nein, bloß nicht! Von dem Strohlager habe ich genug. Ich möchte mich kurz an der Enz waschen und dann gehen wir zur Einbindkammer. Da sind wieder einige beisammen, wie ich an den Lagerfeuern sehe. Das wird ein Hallo geben! Wir können dann gewiss im Schiff übernachten. Aber wo ist eigentlich meine Jacke?”
Mark griff sich seine Stulpenstiefel und streifte sie sich über.
„Ich habe so ein Teil unten beim Teufelsfelsen zwischen dem Geröll gefunden, aber natürlich klitschnass und dreckig. Sie muss dort auf einem Stein im Wasser liegen”, erklärte Hannes und packte sein Bündel zusammen und hängte es sich um.
„Ah ja! Ich habe sie dort unter Wasser abgestreift. Wie sie aussieht ist mir egal. Hauptsache der Futterstoff ist unbeschädigt.”
„Ich sehe schon, du hast dich an meinen Rat gehalten”, stellte Hannes fest und ließ sich bereits an der verhakten Stange den Hang hinab. Mark folgte sogleich und brachte dabei die Laterne.
„Natürlich! Dein Rat war immer sehr Weise.”
„Dann hör jetzt noch einmal auf mich! Du wurdest natürlich nicht von einer Nixe gerettet!”
„Sondern?”
„Sagen wir von einem verrückten alten Einsiedler der mich rief, als er mich sah und dann verschwand ehe ich sein Versteck erreichte. Und so fand ich dich. Du bist lange im Fieber gelegen aber nun geht es dir wieder besser. Vielleicht solltest du noch nicht zu gesund wirken, vor deinen Kollegen und vielleicht ein wenig hinken.”
„Ich sage es ja! Dein Rat ist der Beste!”
„Das Schiff!” sprach Hannes nachdenklich als sie wenig später die Enz entlang zu den Lagerfeuern mit den Flößern gingen. „Wer weiß ob ich auf den schmalen und harten Pritschen dort überhaupt noch schlafen kann. - Aber das ist wieder wie in alten Zeiten.”
„Das Schiff” war die Kurzform für das „Enzschifferschafts- Zunfthaus”, einem Holzgebäude neben der Einbindkammer, welches ein Mittelding zwischen Lagerscheune und Gasthaus war. Für viele der herumvagabundierenden Flößer war dieses Zunftgebäude das einzige Zuhause, das sie noch hatten.
Else konnte beim besten Willen nicht schlafen. Sie setzte sich deshalb in die Wohnstube, brannte einige Kerzen an, und nahm sich eine Flickarbeit vor, um sich abzulenken. Aber das Nähen wollte ihr nicht so recht von den Fingern. Lag es an dem schlechten Licht, oder daran, dass ihr Mark nicht mehr aus dem Kopf ging? Sie sah ihn als Säugling in seiner Wiege und später als Dreijährigen, wie er den Hühnern hinterher tapste, unten im Hof und noch später mit einem unbrauchbaren Bogen und krummen Pfeilen auf Wildschweinjagd gehen in den Wäldern. Sie war froh gewesen, dass der Junge dabei nie wirklich Wildschweinen begegnet war. Doch plötzlich schreckte sie von ihren Gedanken auf. Es klopfte doch tatsächlich an die Tür. Sie musste sich gar nicht fragen wer das war. Das Klopfen war irgendwie wässrig und tropfend gewesen. Sie nahm einen Kerzenständer und ging zur Tür.
„Was willst du, Merline?” fragte sie sogleich unfreundlich, kaum dass sie die Tür geöffnet hatte. Tatsächlich war es die Nixe. Sie war nun nicht mehr so erschöpft und müde wie drüben an der Enz, sondern lebendig und wunderschön in ihrem ordentlich geknüpften Teichrosenmantel.
„Entschuldige bitte Else! Ich bringe Nachrichten von Hannes und Mark. Mark lebt und es geht ihm gut. Sie kommen morgen Abend nach Hause.”
Else wollten die Sinne schwinden bei diesen Worten, doch sie fing sich rasch und fragte: „Woher weißt du das? Lügst du auch nicht?”
„Else! Glaube mir, oder lasse es! Du wirst schon sehen!”
Jetzt kam Leben in Else. Sie umarmte die Nixe und es war ihr egal, dass dabei ihr Kleid ganz nass wurde. Dabei weinte sie Tränen der Freude und konnte nun gar nichts mehr sagen, obwohl sie es versuchte.
„Schon gut Else!” sprach Merline sanft. „Ich verstehe schon!”
„Hast du ihn gerettet?” fragte Else nun doch und löste sich von der Wasserfrau.
„Ich habe ein wenig dazu beigetragen”, erklärte Merline. „Du wirst deine beiden Männer nach Einzelheiten fragen müssen, wenn sie morgen heimkommen. Leb wohl.”
„Danke Merline”, rief Else der Nixe hinterher, doch diese war schon in der Dunkelheit verschwunden.
Das gab ein „Hallo du Tot-Gesagter!” hier und ein „Na, dem Teufel von der Schippe gesprungen!” da, als Hannes mit Mark durch das Tal der Schönmünz marschierten. So mancher wollte gleich genaueres wissen, wie das denn zugegangen sei.
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