„Keine Sorge! Du bist Mark, der Sohn von Hannes und Else. Ich tue dir nichts Böses an, das verspreche ich. Ich bin so froh, dass ich dich noch retten konnte aber der Tod war dir sehr nahe.”
Viele Tage zuvor hatte auch Merline, trotz ihrer großen Fähigkeiten noch nicht gewusst, dass Mark etwas Schreckliches zugestoßen war, bis...
Hannes war an jenem Tag gerade eben mit seinem viel zu schweren Wagen abgezogen, ohne ihr auch nur einen Blick zu gönnen oder sich von ihr helfen zu lassen, als sie eine Stimme hinter sich hörte. Sie war noch dagestanden in ihrem triefenden Mantel am Rand der Schlucht bei der Pechsiederei und hatte Hannes hinterher geschaut. Jetzt fuhr sie herum. Das gab es doch nicht! Er hatte sie noch nie in ihrem Exil besucht und seit Jahrhunderten nicht mehr mit ihr geredet. Allerdings hatte er ihr immer wieder mal einen Herold geschickt, um sie über die Regeln der Wassermenschen aufzuklären und zur Einhaltung zu ermahnen. Dabei war meist die Drohung verbunden, sie in Schaum aufzulösen, wenn sie es nicht tat. Gekleidet war er in Reste einer Gewandung, die mit Wasserpflanzen behängt war und er trug eine goldene Krone.
„Tante, was tust du hier?” fragte der Mann jetzt, der sehr jung zu sein schien, nicht viel über zwanzig Jahre alt. Dabei hatte er ein ansprechendes und freundliches Gesicht und von zehn Frauen hätten gewiss neun gefunden, dass er der schönste Mann war, den sie je gesehen hätten. „Es geht nicht mehr um Hannes und dass er seinen Sohn hierherbringt. Mark ist ein Unglück widerfahren, spürst du das nicht? Er stirbt bereits und wenn du ihn nicht gleich rettest, dann ist es zu spät!”
Die Nixe hatte eben zu einer mechanischen Verbeugung angesetzt, denn der da mit ihr sprach war der König vom Mummelsee. Doch dann schreckte sie auf. „In Gefahr? Oh ja, jetzt spüre ich es. Wo ist das? Wo liegt er denn? Was ist das für ein Gewässer? Das ist keines von meinen, denn dann hätte ich das schon früher bemerkt.”
„Denke nach! Hannes hat dir die Hinweise gegeben. Wenn du es weißt, kann dieser Stein eine Verbindung schaffen zwischen der Schönmünz und dem Gewässer wo Mark ist. Beeile dich! Den Stein kannst du nur einmal benutzen und wenn du hindurchgegangen bist, durch den Tunnel aus Wasser, dann wird er sich schließen. Suche den Sohn von Hannes und Else ganz schnell! Bald ist es zu spät.”
Der Wassermann ließ einen flachen handtellergroßen Kieselstein zu ihren Füßen fallen und rauschte davon. Im nächsten Moment war er verschwunden.
„Hannes hat mir den Hinweis gegeben! Was hatte Hannes gesagt?” überlegte Merline „Er hatte doch gesagt, dass sein Sohn Flößer sei und zwar - an der Enz.”
Die Enz entsprang zwar nicht allzu weit weg von den Gewässern die zu ihrem Einflussbereich gehörten mit ihren Quellbächen, aber sie floss in den Neckar und der dann in den Rhein. Auch wenn sie über Wasser hätte reisen können. Der Weg war zu weit, selbst für eine Nixe. Ihre Zauberkraft würde ihr bereits auf einem Viertel des Weges ausgehen und dann war da nicht die bündelnde Kraft ihres Kars, mit dem sie diese wieder aufladen konnte. Zudem war sie zu sehr an die Schönmünz und deren Nebenbäche gebunden. Wie gut, dass sie den Stein hatte. Eilig warf sie ihn in das Wasser der Schönmünz.
„Zur oberen Enz!” sagte sie laut und schon wurde sie hineingesogen in einen engen Tunnel, aber sogleich auch wieder ausgespien. Sie fuhr über dem Wasser die Enz hinauf und hinab und schließlich sah sie das schon sehr schwache Leuchten seines Herzens. Mit Zauberkraft befreite sie ihn von seiner Last aus Steinen und Treibholz. Mit Zauberkraft schaffte sie ihm aus trockenen Blättern und Gras ein Lager in der alten Holzfällerhütte oberhalb der Stelle wo sie ihn gefunden hatte. Dann war es Zeit das Wasser aus seinen Kleidern zu ziehen, so dass sie bald wieder ganz trocken waren. Sie zog ihm die langen Flößerstiefel aus, denn da war eine schwere Prellung an seinem linken Bein. Dazu hatte er noch eine verkrustete Wunde an seinem Hinterkopf. Bachkräuter nahm sie als Verband und lange kühlte sie mit den feuchten Teichrosenblättern ihres Mantels seine fiebrige Stirn, bis der ganz aufgebraucht war. Inzwischen war die zweite Nacht hereingebrochen und sie konnte hinuntergehen ohne gesehen zu werden und sich einen neuen Mantel aus feuchten Wassergräsern und Bachpflanzen herstellen.
Mark ging es nach und nach wieder besser, denn sie breitete so gut sie konnte ihre schwindenden Zauberkräfte über ihn aus. Schließlich war er am Morgen des dritten Tages erwacht und hatte wie beschreiben gefragt wer sie sei.
„Wie kommst du hier her? Das ist doch die Enz! Oder liegt diese Hütte gar nicht mehr im Enztal, weil du mich dort weggebracht hast.”
„Ich wollte, ich könnte das. Jetzt wo es dir bessergeht, könnte ich dich mitnehmen und vor dem Haus deiner Eltern ablegen. Noch vor zwei Tagen wäre das undenkbar gewesen, denn auch der beste Heiler hätte dir nicht mehr helfen können. Vergiss nicht! Vier Tage lagst du dort unten im Wasser und du hast viel Blut verloren. Wir sind immer noch an der Enz.”
„Aber wie bist du hierhergekommen?” hakte Mark nach und versuchte noch einmal, sich aufzurichten.
„Du musst jetzt essen!” erklärte sie ausweichend.
Sie hob mit ihrer Hand seinen Kopf vorsichtig an und löffelte mit einem verbogenen Blechlöffel, den sie wohl im Bach gefunden hatte und aus einem alten verbeulten Topf eine grünliche Suppe in den Mund.
„Puh! Was ist das?”
„Algensuppe! Tut mir leid! Etwas Anderes kann ich dir nicht bieten. Aber du musst jetzt essen. Sie wird dich wärmen und dir Kraft geben.”
Wiederwillig, aber gehorsam ließ Mark sich von ihr füttern. Sie hatte Recht. Die Suppe tat ihm gut und er fühlte sich gleich ein wenig besser. Dann legte er sich zurück und schlief sogleich ein. „Schlaf nur, Mark! Ich bewache deinen Schlaf”, sprach sie sanft.
Es war dunkel, als er abermals erwachte. Er hatte in fiebrigen Träumen zwei weitere Tage und Nächte verbracht. Die Schmerzen waren noch da, aber das Fieber schien nachgelassen zu haben. Er setzte sich auf.
„Merline!”
„Ich bin hier Mark!” erklärte die Nixe und jetzt sah er sie. Sie kniete noch immer neben seinem Lager, aber von ihr war nur die dunkle Gestalt zu erkennen und er hörte das Tropfen und Fließen von ihrem Mantel.
„Es geht dir Besser! Sehr schön! Morgen kommt dein Vater. Er kann sich dann um dich kümmern und vollends auf die Beine bringen.”
„Vater kommt hier her?”
„Ja! Er glaubt du seist tot und will nach deinem Leichnam suchen. Morgen in aller Frühe wird er aufbrechen.”
„Morgen in aller Frühe? - Das heißt er kann am Abend da sein.”
„Richtig! Ich werde ihm dann zeigen wo er dich findet!”
„Warum tust du das alles für mich? Du bist eine Nixe! Du mordest, aber du hilfst nicht!”
„Ich Morde nur im Wahn! Aber im Augenblick bin ich weit davon entfernt in diesen Wahn zu verfallen. Meine Kräfte schwinden, denn ich habe sehr viel Kraft für deine Heilung verbraucht. Das ist nicht mein Wasser dort unten und es kann mir deshalb keine neuen Kräfte geben. Ich sterbe, aber mache dir keine Sorgen! Ich halte noch durch bis dein Vater kommt. Hier ist wieder etwas Suppe. Bitte iss!”
Mark nahm ihr nun den Löffel und den Topf aus den Händen und aß hungrig. „Du stirbst? Dann musst du gehen! Ich schaffe das jetzt auch alleine! Ich schleppe mich hinüber zu den Flößern. Sie können mir helfen.”
„Das solltest du lassen! Der Hang hier ist steil und rutschig und du hast noch immer Fieber. Dein Bein ist verletzt und ich bin sicher, dass du nicht gehen kannst. Warte auf deinen Vater! Das ist das Beste! Ich habe nicht meine ganze Zauberkraft verbraucht für deine Rettung, damit du das nun wieder zunichtemachst.”
„Aber so hör doch! Du musst hier weg und in den Wildsee zurückkehren!”
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