Beyer nickte, das Bier hatte ihn angeregt und ein wohliges Gefühl machte sich in ihm breit.
„Herbert“ rief der Mann durch den Raum „bring uns dreien mal einen Schnaps.“
Der Wirt trat an den Tisch und stellte die Gläser hin, sie prosteten sich zu und kippten die Schnäpse.
Als sie die Kneipe verließen standen für jeden vier Schnäpse auf der Rechnung, der Mann hatte ihren Vorschlag selbst zu bezahlen weggewischt.
„Ihr werdet kämpfen, ich gehe in meinen Betrieb“ war die Begründung gewesen und er ließ keine Diskussion zu. Mit etwas unsicherem Gang erreichten sie die Kaserne, kamen unbeschadet an der Wache vorbei und fielen ins Bett.
Günther Weber, SS-Kompanie, 1939, Sommer
Die Kompanie war auf dem Appellplatz angetreten, der Sarg war auf einem Gestell aufgebockt und die Männer standen stramm und unbeweglich.
„Kompanie stillgestanden“ rief der Kompaniechef.
„Wir gedenken des Kameraden Huber, der für Führer, Volk und Vaterland gefallen ist. Diejenigen, die dabei waren wissen wie es passiert ist. Ich verbitte mir aber, dass hier jetzt irgendwelche Scheißhausparolen in Umlauf kommen. Es war ein Unfall, das hat auch die Untersuchung des Vorfalls ergeben, technischer Defekt am Panzer. So was kann immer mal passieren. Sturmmann Huber wird postum mit dem EK I ausgezeichnet. Wegtreten.“
Als Weber mit den anderen beim Essen saß machte der Vorfall die Runde, die Männer unterhielten sich leise.
„Er hat einfach nur Pech gehabt“ sagte Friedrich zu Weber „es hätte jeden erwischen können. Huber war kein schlechter Kerl, ich habe mich mit ihm manchmal beim Rauchen unterhalten. Er hat immer davon geträumt, dass er nach dem Endsieg irgendwo im Osten einen Hof mit großen Feldern bewirtschaften kann. Bei sich zu Hause hatte er noch zwei ältere Brüder, keine Chance für ihn, den Hof der Eltern zu übernehmen.“
Günther Weber nickte, unausgesprochen wurde schon Land im Osten verteilt, welches Deutschland noch gar nicht besaß. Dass das Reich aufgrund seiner Mittellage in Europa in einer ungünstigen Situation war leuchtete ihm ein. Es würde darauf ankommen das Gebiet auszuweiten und so Zugang zu Bodenschätzen und Land zu erhalten. Schließlich gab es sowohl im Osten als auch im Westen Regionen, die einmal zu Deutschland gehört hatten. War es nicht legitim, sich diese Gebiete wieder zurück zu holen? Wollten nicht auch viele Menschen in diesen Ländern andere und bessere Lebensumstände? Könnte das Deutschland nicht garantieren? Obwohl sich Frankreich und England momentan noch bedeckt zeigten war Weber klar, dass sie die zukünftigen Gegner waren. Deutschland war in vielen Dingen technisch und organisatorisch führend in der Welt, diesmal musste es einfach gelingen, die anderen in die Knie zu zwingen. Er würde bedingungslos seinen Beitrag dafür leisten.
So wie er es erwartet hatte waren die Männer der Kompanie durchweg davon überzeugt, dass sie aus einer militärischen Auseinandersetzung siegreich hervorgehen würden. Ihre Ausbildung war brutal hart aber er sagte sich, dass er nur gut vorbereitet im Gefecht bestehen würde. Abends saßen die Männer in ihren Stuben, lasen, schrieben Briefe nach Hause, bastelten. Trotz der üblichen Frotzeleien verstanden sich die Männer gut und Günther Weber hatte den Eindruck, dass er nun zu einer verschworenen Gemeinschaft gehörte.
Nach fünf Monaten hatte sich Martin Haberkorn an die Routine des Kasernenbetriebs gewöhnt. Jetzt konnte ihn nichts mehr aus der Ruhe bringen, die Zeit der Schleiferei im Gelände, die endlosen Uniformappelle, die beim Stubendurchgang verrücktspielenden Maate, die miese Verpflegung, das war sein Alltag und die Bedrücktheit der ersten Wochen war vergessen. Die Wutanfälle der Ausbilder hatten längst ihren Schrecken verloren, manchmal kamen sie ihm wie Kasper vor, die der Kompaniechef wie ein Puppenspieler an Stricken steuerte. In drei Wochen würde die Grundausbildung zu Ende sein, Haberkorn hatte seine Versetzung zur I. U-Boot Flottille in Eckernförde erhalten.
Er wusste nicht genau, ob er darüber froh oder enttäuscht sein sollte. Sein Traum war eigentlich gewesen, auf einem Schlachtschiff einzusteigen, die riesigen Stahlfestungen faszinierten ihn seit Kindheit an. Er versuchte sich vorzustellen welche Kräfte entfaltet wurden, wenn die mächtigen 30 cm Geschütze Granaten über 10 Kilometer oder weiter schleuderten. Schon allein die schiere Größe so eines Schiffes strahlte eine Stärke aus, die unbezwingbar schien. Ein U-Boot war ein David gegen diesen Goliath, was sollte so eine Nussschale gegen diese Giganten anrichten.
Den Ausbildern war sein ausgeprägtes Verständnis der Motorentechnik aufgefallen, das gab den Ausschlag ihn als Heizer auf das erste im Bau befindliche VII C-Typ Boot zu kommandieren. Rechtzeitig zur Baubelehrung sollte er zur Besatzung stoßen, nun empfand er doch Spannung, was ihn erwarten würde. Mit dem Seesack über der Schulter erreichte der den Bahnhof, vier weitere Kameraden mussten zum gleichen Ort, einer würde auf einem Minensucher einsteigen, zwei andere auf einem Torpedoboot, der vierte musste ihren Spot ertragen, weil er in der Schreibstube Dienst tun würde. Wenn er abwog, wer die besseren Karten gezogen hatte kam er zu keinem Ergebnis. Alles waren Waffen, die er für notwendig, aber nicht gerade für kriegsentscheidend hielt. Für ihn war es nicht vorstellbar, dass ein U-Boot mit seinen Torpedos ein mächtiges Schlachtschiff bezwingen konnte.
Der Zug rollte langsam in den Bahnhof ein, der Bau war nicht groß, die Halle hatte gerade einmal fünf Gleise und die wenigen Menschen die sich dort aufhielten waren überschaubar. Breitbeinig stand ein Obermaat in der Halle, ein Schrank von einem Mann, um seinen Mund spielte ein Grinsen. Verschüchtert näherten sich die fünf Männer ihm, mit einem breiten Bass empfing er sie.
„Na denn man tau, zeigt mal eure Marschbefehle her“, sie kramten diese aus den Brusttaschen der Uniform.
„Klappt, fünf Neue soll ich hier abholen, kommt mit“ sagte er und stiefelte Richtung Ausgang los, sie folgten ihm wie Frischlinge dem Eber.
Vor dem Bahnhof stand ein LKW bereit, sie warfen die Seesäcke auf die Pritsche und kletterten hinterher, der Obermaat stieg im Fahrerhaus ein. Nach kurzer Fahrt erreichte der Laster den Eingang zur Kaserne, der Schlagbaum ging hoch und das Fahrzeug rollte gemächlich auf einen großen Platz. Der Fahrer öffnete zusammen mit dem Obermaat die Klappe, die Männer warfen ihre Seesäcke herunter und traten an.
„Ich gehe jetzt mit den Marschbefehlen zur Schreibstube, ihr werdet hier abgeholt“ informierte sie der Obermaat und entfernte sich.
Haberkorn ahnte, dass Zeit vergehen würde, in seiner bisherigen Zeit als Soldat gab es viele Situationen in denen die Männer auf etwas warteten. Er ließ sich auf dem Seesack nieder, in der Magengegend hatte er ein flaues Gefühl, es war jetzt nach 18 Uhr, sie hatten nur Frühstück bekommen. Rings um den Platz waren einstöckige Holzbaracken aufgebaut, ein größeres Ziegelgebäude lag hinter der ersten Reihe, mehr konnte er nicht erkennen. Nach einer halben Stunde näherte sich ihnen ein Maat, lässig schlenderte er über den Platz, sie erhoben sich.
„Matrose Haberkorn“, Martin nahm Haltung an, „mitkommen.“
Der Maat lief vor ihm her, nach einigen Minuten betraten sie eine Baracke in der es durchdringend nach Bohnerwachs roch. Er öffnete eine Tür und Martin Haberkorn sah sich einer Runde von Männern gegenüber, die an einem Tisch saßen, Briefpapier und Bastelzeug war zu sehen.
„Das ist Haberkorn, der neue Heizer“ stellte ihn der Maat vor.
„Dort links, der Dicke ist Frenzen, Zentralegast, daneben sitzt Wollmann, Heizer, Bachmann ist E-Maschinist, Peters Torpedomixer und Häufele Tiefenrudergänger, ich bin Rau, Maschinenmaat, du wirst mit mir Dienst haben. Richte dich erst mal ein, dort ist dein Spind. Noch eins, die Mannschaften sprechen die Maate im Dienst an Land mit „Sie“ an, wenn frei ist sagen wir „du“, und an Bord sowieso, verstanden?“
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