Rubicon, 2017
Zugegeben: Mir hatte es Mühe bereitet, diese Szene zu schreiben. Nach allem, was geschehen war. Doch ich hatte sie geschrieben. Danach hatte ich aber einen „Krug“ Champagner benötigt, um wieder zu Sinnen zu kommen. Und danach hatte ich mir einen neue Kiste „Krug“ besorgt, denn diese Flasche war meine letzte gewesen.
17 Wenigstens endlich eine Aussprache, zumindest
Genua, 25. Dezember 2003
Aus den Begebenheiten vor meiner Fahrt schloss ich nicht, dass meine Frau gesteigerten Wert auf meine Zusammenkunft mit den Kindern legte. Sie hatte dies schon angedeutet. Ich wollte aber nachfragen, da ich vor meiner Rückkehr in die Staaten eben gerne Zeit mit den Kleinen verbracht hätte. Kurzum: Ich rief meine Frau noch aus Genua an.
Sie meinte, die gesamten Feiertage seien wohl mit ihrer Familie und Freunden verplant und sie wolle „halt“ nicht, dass ich „dann da mit dabei“ sei. Meinen Hinweis, dass es mir primär nicht darum gehe, „halt dann da mit dabei“ zu sein, sondern ich schlicht die Kinder sehen wolle, kommentierte sie eindeutig:
„Das ist mir egal. Das passt dann jetzt halt wirklich nicht.“
Ich ärgerte mich. Woher nahm diese Frau das Recht, mir ein Treffen mit meinen Kindern zu verwehren?
Aber ich beruhigte mich. Wahrscheinlich sei sie, ebenso wie ich, noch verwirrt ob der Trennung. Schließlich waren es erst wenige Tage, die wir nicht mehr zusammen waren. Nun gelte es, einen wirklich ernsthaften Konflikt zu vermeiden, der einen späteren (doch hoffentlich) einvernehmlichen Umgang mit den Kindern erschweren würde. Als eine Frechheit empfand ich es allerdings schon von meiner Frau, wie sie sich verhielt.
Deutlich verstimmt fuhr ich (dann) (halt) wieder nach Frankreich. Irgendwie wusste ich (dann) aber (wohl) nicht so recht, wohin, weshalb es nach einigen provenzalischen Schleifen zurück nach Deutschland ging. (Halt.)
Bei meiner Rückkehr war meine Mutter sichtlich erleichtert, mich zu sehen. Sie hatte offenbar vermutet, ich hätte mich aufgehängt oder in eine Gletscherspalte gestürzt, obschon ich nicht zu Gewalttätigkeiten neige, zumal nicht mir gegenüber. Aber Scherz beiseite: Eine Gletscherspalte wäre mir zu kalt und zu dunkel und auch anderen gegenüber neige ich nicht zu Gewalttätigkeiten.
Die nächsten Tage verbrachte ich in Höningen und spazierte viel in den umgebenden Wäldern. Diese Zeit war mühselig. Mir gefiel es nicht mehr in Höningen. Gleichwohl hatte ich keine Lust, sonst wo in der Gegend herumzufahren. An die USA dachte ich zuerst gar nicht so viel. Ohnehin war klar, was ich dort nach meiner Rückkehr zu tun hatte. Die Forschungsprojekte waren im November und Dezember so hervorragend gelaufen, dass sich jede Menge Arbeit und neue Fragestellungen ergeben hatten. Und ansonsten musste ich schauen, wie ich die Infrastruktur meines Labors wieder in die Gänge bekäme. Nach und nach rückten diese Realitäten wieder näher an mich heran. Ich begann, mich auf die Staaten zu freuen, ging noch zum Friseur, und dann musste ich schon bald zurück.
Am 27. Dezember, dem Tag vor meinem Abflug, rief meine Frau an. Sie vermisse einen Ordner, den sie wohl vor unserem Umzug nach Austin bei meiner Mutter untergestellt habe und jetzt halt wirklich ganz dringend brauche. Bei ihren Eltern hatte sie damals nichts unterstellen dürfen, da dies halt beim Putzen störe, wohl. Und sie wolle wohl keine Unordnung im Haus haben, halt, hatte meine Schwiegermutter seinerzeit gesagt. (Gewisse Neigungen, vor allem die Partikeln betreffend, waren in der Familie meiner Frau stark ausgeprägt, ja, vielleicht sogar genetisch determiniert!)
Meine Frau traf am frühen Nachmittag in Höningen ein. Nach knapper Begrüßung huschte sie in mein Zimmer, wo sie einige Bücherkisten und Ordner um mein Bett herum aufgestapelt hatte. Als sie den Ordner, den sie gesucht gehabt hatte, gefunden hatte und gehen wollte, fragte ich sie (unsinnigerweise, aber ich wollte mein Glück nochmals versuchen!), ob ich die Kinder an diesem Tag sehen könne. Sie verzog das Gesicht, als hätte ich mir ihre Zahnbürste ausleihen wollen, und antwortete, das gehe jetzt halt wirklich nicht, sie seien einfach total mit Verwandtenbesuchen verplant. Wie oft solle sie mir das denn jetzt noch erklären. Ich bat sie, sich einen Augenblick zu setzen. Ich wolle mit ihr sprechen. Etwas genervt und mit zum Schnauben gespreizten Nasenflügeln nahm sie Platz.
Geduldig versuchte ich ihr klar zu machen, dass wir trotz Trennung darauf achten sollten, das Verhältnis unserer Kinder zu beiden Elternteilen normal laufen zu lassen. Schließlich seien es nicht nur ihre, sondern auch meine Kinder. Da sei es nicht okay, dass ich quasi darum betteln müsse, die beiden zu sehen.
„Ach Jakob“, erwiderte sie die Augen verdrehend, „mach du mal deine Sachen in Austin und ich kümmere mich hier um meine Sachen. Die Kinder wirst du noch oft genug sehen. Außerdem haben sie ja ihre Mama. Das ist doch eigentlich genug.“
„Das sehe ich anders!“
„Das ist mir egal!“, giftete sie mich an.
„Wie redest du überhaupt!“, schüttelte ich den Kopf, „Bist du auf etwas sauer?“
„Nein. Ich will halt einfach nur meine Ruhe haben“, sagte sie, und verschränkte die Arme unter den Brüsten. (Die Geste fand ich im Prinzip süß, jetzt derweil nicht erheiternd. Ich antwortete:)
„Hab meinetwegen deine Ruhe, aber überdenke, was du gerade gesagt hast. Das läuft vollkommen dem zuwider, was wir immer für die Kinder gewollt haben: Wir wollten gemeinsam für sie sorgen!“
„Wir sind halt jetzt nicht mehr zusammen. Das ist ja dann wohl eine ganz andere Situation jetzt.“
„Für uns: klar. Für die Kinder: auch. Für die Tatsache allerdings, dass die beiden ebenso meine Kinder sind: nicht.“
„Mach du dir mal keine Sorgen um die Kinder. Ich krieg das schon hin.“
„Das glaub ich dir. Versuch dir bloß nicht eine Sichtweise anzugewöhnen, in der ich keine Rolle mehr spiele für die Kinder.“
„Ist ja gut. Reg dich nicht auf!“, beschwichtigte sie, beide Hände wie ein Schlichter hebend (ich hatte mich ein wenig echauffiert, sogar mit dem nackten Zeigefinger auf sie gezeigt!).
Ihr „Einlenken“ hatte mich offenbar „milde“ gestimmt oder ich weiß auch nicht, welcher Teufel mich geritten hatte, denn auf einmal hatte ich die Idee, meiner Frau die CD zu schenken, die ich in der Autobahnraststätte gekauft hatte. Dieses „Des milliers de baisers“ beschrieb doch perfekt unsere Situation, wenigstens, was den Mülleimer anging. Womöglich half dieses Geschenk meiner Frau ja, sich an Positives unserer Geschichte zu erinnern. Womöglich würde es ihr so leichter fallen, einen akzeptablen Kurs mit den Kindern einzuschlagen. Womöglich wollte ich aber auch einfach nur diese scheiß CD loswerden. Kurzum, ich stand auf, griff meinen Rucksack, kramte die CD hervor, und hielt sie meiner Frau hin. Sie sah mich fragend an. Ich erklärte:
„Hier, für dich. Kleines, verspätetes Weihnachtsgeschenk.“
Sie nahm es beziehungsweise sie entgegen, schaute auf das Cover, und meinte lächelnd:
„Danke! Celine Dion auf Französisch. Kenn ich gar nicht.“
„Ist recht hübsch. Vor allem ein Lied, ‚Des milliers de baisers‘. Moment, ich mache dir ein Kreuz dahinter.“ Auf der Fensterbank lag ein Kugelschreiber. Ich griff ihn und nochmals die CD, fummelte das Cover aus der Hülle, machte ein Kreuz hinter den Titel, packte alles wieder zusammen, und gab meiner Frau die CD zurück. „Hör dir das Lied gut an“, erläuterte ich, und driftete ins Unerfreuliche ab: „Es geht darin um Dinge in einer Beziehung, die nach der Trennung im Mülleimer landen. Um Kinder geht’s darin nicht. Vielleicht, weil sie nicht im Mülleimer einer Trennung landen sollten?“
Meine Frau verzog nahezu angewidert das Gesicht (was ich inzwischen, wenn auch aus anderer Perspektive, nachvollziehen kann) und sagte verärgert:
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