Große Kunst mit Maklern und sonstiger Quatsch
Es ist große Kunst, ganze 25 Immobilienmakler mitsamt Schreibtisch so auf die Fläche zu verteilen, dass jeder zum anderen exakt die gleiche Entfernung hat. Diese schwierige Aufgabe zu bewältigen unternahm ich über Nacht, so dass ich das hübsche Bild am Morgen vor mir hatte. Auch die Makler waren zufrieden, was mich mit Genugtuung erfüllte. Das gesamte Projekt wurde mir durch die erfreuliche Tatsache erleichtert, dass die fragliche Fläche topfeben war, was ich dem Arbeitseinsatz und dem Fleiß unermüdlicher Dampfwalzenfahrer verdanke.
Außerdem freue ich mich, Wissenswertes über die Stadt Celle mitteilen zu können. Die vielerorts geäußerte Vermutung, dass Celle nur aus zu den Straßen hin offenen Schuppen bestünde, die überdies leer sind, hat sich bestätigt. Das zu diskutieren, sollte aber aus medizinischer Sicht besser unterlassen und aus philosophischer Sicht gänzlich verboten werden. Schon eine Erörterung stößt rasch an ihre Grenzen, und zwar vorne, hinten und auch an beiden Seiten.
Es wurde hell, dann wieder dunkel, wieder hell, dunkel – und das hin und her den ganzen Sonntag. Ich kam mir vor wie der Mönch von Heisterbach. Aber es waren vermutlich nicht vorbeirauschende Jahre, sondern die Regenschauern, die immer wieder hereinzogen. Gegen 17 Uhr kam kurz die Sonne hervor. Ich entschloss mich zu einer kleinen Radtour. Als ich in die Davenstedter Straße einbog, bedauerte ich, keine Sonnenbrille bei mir zu haben. Man dürfe nicht „dabei“ sagen, behauptete ein Germanistikdozent am Anfang meines Studiums. Ich habe ihn längst vergessen, weiß nicht mehr, ob er mich auch was Vernünftiges lehrte, aber an sein Dabei-Verdikt halte ich mich immer noch. Ich rolle also die Davenstedter Straße gen Westen, wo sich eine verwaschene Sonne zeigt, die mich immerhin blinzeln lässt, denn ich habe keine Sonnenbrille da … bei mir. In Hafennähe wird der Radweg immer wieder von gepflasterten Einfahrten unterbrochen. “Hier rollt es nicht”, wie die Radsportler sagen. Weil auf der Davenstedter sonntags kaum Verkehr ist, wechsele ich auf die Fahrbahn.
Es ist eine öde Gegend rund um den Hafen. Sonntags sieht man fast niemanden – doch da eine schmale rothaarige Frau mit Kurzhaarschnitt. Sie schiebt einen Kinderwagen mächtig voraus wie jemand, der eine weite Wegstrecke zu bewältigen hat und sich von der öden Straße nicht entmutigen lassen will. Während ich an ihr vorbeirolle, ahne ich, dass sie in ihrem Leben weit größere Widerstände zu bewältigen hat als Kopfsteinpflasterpassagen von Einfahrten. Ich überquere ein Güterbahngleis zum Hafen und biege dann in eine ruhige Nebenstraße des an den Hafen grenzenden Gewerbegebiets.
Eine seltsame Subkultur hat sich hier in der sozialen Brache auf dem Parkstreifen angesiedelt. Ein Truck reiht sich an den anderen. Die meisten Fahrerkabinen sind verhangen. Bei einem Truck steht die Klappe der Motorhaube offen. Daran hängen an Bügeln zwei dunkle Hemden. Leerlaufende 500 PS sind schon eine merkwürdige Weise, Wäsche zu trocknen. Wie lange mag es dauern? Drei Fahrer stehen beisammen und reden. Man kann sich Schöneres vorstellen, als den Sonntag im Gewerbegebiet des Lindener Hafens zu verbringen. Aber immerhin ist es hier ruhig, anders als auf dem Parkplatz einer Autobahnraststätte.
Im Traum letzte Nacht war ich in Berlin. Ich sah durch ein offenes Fenster in eine Wohnung so arm. Der Raum war vollgestopft mit altem Krempel. Mitten in diesem Chaos von unfassbar sinnlosem Zeug spielte ein kleiner Junge. Obwohl ich ja nur im Vorbeigehen war, sprach er mich an, und zwar auf eine charmante, liebenswürdige Weise, dass ich stehen blieb und durchs offene Fenster mit ihm redete. Eine Tür zum ebenso chaotischen Nachbarzimmer stand offen. Halb verdeckt war da seine Mutter und schien etwas zu bügeln. Dann trat sie hinzu und folgte schweigend unserem Gespräch, eine ausnehmend hübsche Frau mit einem guten ruhigen Gesicht. Sie war schwanger. Mein Gott, dachte ich, sollte sie noch ein Kind in dieses Elend gebären? Es war der Junge, der mich zum Wiederkommen einlud.
Am nächsten Tag erzählte er mir eine komplizierte Geschichte, warum man nichts habe einkaufen können. Man könne mir nicht mal Wasser anbieten. Der Ladenbesitzer habe seinen Laden, in einer Villa gelegen, einfach vor ihrer Nase zugemacht. Vermutlich schämte sich die Mutter vor ihrem Sohn, die bittere Notlage zuzugeben und hatte ihm mit einer sinnverwirrenden Geschichte erklärt, warum nichts zu essen da wäre. Ich war versucht, mit den beiden einkaufen zu gehen, ihre Vorräte wenigstens einmal richtig aufzufüllen. Gleichzeitig warnte mich eine Stimme, mich nicht verstricken zu lassen. Die schöne Frau forderte nichts, sah mich nur an als würde sie denken: „Meinen weißen Ritter habe ich mir nicht so grau vorgestellt. Aber gut …“
Als ich erwachte, haderte ich mit mir, dass ich mich beinah von einem hübschen Antlitz in eine schwierige Situation hätte locken lassen.
An einer T-Kreuzung bog ich nach links, denn ich hatte mir vorgenommen hatte, eine Straße zu erkunden, in die ich bislang immer nach rechts eingebogen war. Ich fuhr durch ein Wohnviertel im Grünen mit Eigenheimen und geriet in eine Schleife, die irgendwann die öde Davenstedter Straße wieder kreuzte. Da an einer unwegsamen Baustelle sah ich die rothaarige Frau wieder, wie sie tapfer den Kinderwagen durch Pfützen schob. Den Kinderwagen sollte ein Mann schieben, dachte ich, möglichst der Vater des Kindes. Aber vielleicht steht der mit seinem Truck irgendwo in Spanien in einem Gewerbegebiet und wäscht seine Hemden auf dem Tankstellenklosett.
Die Sonne verschwand, und es regnete Bindfäden. Aber ich war vorher schon schwermütig.
Weckerchen Holger und der Zauber des Schreibens
Als ich heute Morgen sah, was für ein trübes, nasses Grau mir als Tageslicht geboten wurde, erfasste mich bodenloser Grimm. Ich schimpfte und tobte. Sogar das rote Kontrolllämpchen am Kaffeeautomaten zitterte, obwohl es als einziges einen tröstenden Schein spendete. Alles ringsum bedrohte ich, fuchtelte mit dem gestreckten Zeigefinger herum, als wär’s mein schwerer Trommelrevolver. Die Bilder, der Fernseher, die Lampen, sie müssten dran glauben, stieß ich hervor. Sogar in den Vorhang drohte ich zu schießen, worauf er freilich nur höhnisch wehte.
Als erstes verlor Weckerchen Holger die Nerven und hub an zu jammern. Es wär ja noch so jung, hätte längst nicht so viele Stunden gezählt wie seine Großmutter, die gute 50-er-Jahre Wanduhr, von der es bedauerlicher Weise fast nichts wüsste, nur dass sie Jahrzehnte im linksrheinischen Dorfe Ramrath in einer Bauernküche im Kochdunst gehangen, bevor sie, o Schmach, von einem levantinischen Händler, vermutlich einem windigen Türken, auf dem Flohmarkt verkauft wurde. Das ging zu weit! Wenn Weckerchen anfangen, von ihrer schmantigen Oma zu erzählen und ausländische Mitbürger mit hässlichen Adjektivattributen belegen … Ich hob Weckerchen Holger mit zwei Fingern der Linken hoch und schoss ihm genau ins Ziffernblatt. Mittenrein! Ein Blattschuss!
Jetzt war klar, dass ich es ernst meinte. Nur die gelbe Engeltasse Cornelié, aus der ich morgens meinen Kaffee trinke, die blieb ganz ruhig. Sie hatte erfahren, dass Hitze sich irgendwann naturgemäß abkühlt, hatte schon oft zuerst heißen, dann lauen und zuletzt kalten Kaffee erlebt. Außerdem wusste sie um ihre seit Jahren unangefochtene Sonderstellung, weil ich sie zu behandeln pflege wie ein rohes Ei, was schon so versteckte Eifersucht hatte aufkeimen lassen. Tatsächlich wurde ich bald darauf schon wieder friedlich, derweil ich die Ereignisse aufschrieb. Der Zauber des Schreibens! Anfangs hatten die Tasten im Tastenboard sich noch ängstlich unter dem heftigen Anschlag meiner Finger geduckt. Doch hatte ich sie einmal erniedrigt, hoben sie wieder ihre Köpfe. Ganz schön kess, die jungen Dinger! So nahm der Morgen seinen gewohnten Gang. Nur Weckerchen Holger wird leider nie mehr ticken.
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