Amelie war nicht wohl dabei, so abseits zu sitzen. Um sich zu beruhigen, redete sie sich ein, der Tisch wurde für das Geschäftsessen so weit weg vom Schuss gewählt, damit die Geschäftsleute sich in Ruhe unterhalten konnten.
Armin schob einen Stuhl zurück und blieb dahinter stehen. Er wartete, bis Amelie mit den Rücken zu ihm stand, und richtete das Möbelstück aus. Dann ging er zur anderen Seite des runden Tisches und setzte sich. Er legte die Arme auf die Tischplatte.
Amelie zog ihre Hände langsam zu sich. Ihr war der Tisch viel zu klein, um sich entspannen zu können. Sie wollte den Fremden nicht berühren. Gedanklich fragte sie sich, wie zwei Menschen hier sitzen und essen sollten, ohne sich dabei in die Quere zu kommen. Das Möbelstück erinnerte sie an einen zu hoch geratenen Couchtisch, der höchstens für eine Person zum Essen reichte. Langsam zweifelte sie daran, der Tisch könnte für das Geschäftsessen reserviert gewesen sein. Es machte ihr Angst. In ihrem Kopf tauchten die wildesten Bilder auf, wie dieser Abend ausgehen könnte.
Es dauerte nicht lange, bis der Kellner mit zwei Speisekarten vor dem Paar auftauchte und jedem eine in die Hand drückte.
»Wissen Sie schon, was Sie trinken wollen?«
»Ja, Weißwein«, antwortete Armin ohne seine Begleitung anzuschauen.
»Den Sie immer nehmen?«
»Ja.«
»Gut«, sagte der Kellner und verschwand.
Amelie schaute verdutzt aus der Wäsche. Für sie war es ungewohnt, dass jemand anderes für sie entschied. Nach der Trennung von Erik war sie auf sich alleine gestellt und musste selbst entscheiden, was gut für sie war.
Obwohl sie keinen Wein wollte, widersprach sie nicht. Sie redete sich ein, der Kunde sei König. Immerhin bezahlte er für den Abend. Da durfte sie keine Ansprüche stellen.
Kurze Zeit später kehrte der Kellner mit zwei Gläsern Weißwein zurück.
»Zwei Mal das Tagesmenü, bitte!«, bestimmte Armin ein weiteres Mal, ohne Amelie gefragt zu haben. Sie wusste nicht, was in dem Menü enthalten war. Wieder hielt sie den Mund und redete sich ein, ihr Gegenüber bezahle für ihre Zeit und ihr Essen. Also könne er auch bestimmen, was es gab.
»Darf ich fragen, wie lange du das schon machst?«, fragte Armin nach einer Weile.
»Ähm …«, stotterte Amelie. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Dass es ihr erster Einsatz als Begleitdame war, wollte sie auf keinen Fall erwähnen. Es wirkte in ihren Augen unprofessionell, sich als Anfängerin zu outen.
»Wie lange machen Sie … ähm, wie lange machst du das schon, ich meine Frauen mieten?«, konterte sie, in der Hoffnung, ihr Kunde würde auf eine Antwort verzichten.
Armin lachte laut los.
Amelie spürte, wie sie von den anderen Gästen beobachtet wurden. Sie konnte ihre Blicke fühlen, ohne sich zu ihnen zu drehen. Es war ihr unendlich peinlich. Warum musste sie ihrem ersten Kunden auch so eine dumme Frage stellen? Es stand ihr nicht zu, über solche Themen zu reden.
Sie sah Armin ernst an.
Er beruhigte sich allmählich und sagte: »Wie das klingt: Frauen mieten! Lange scheinst du das noch nicht zu machen.«
Amelie lief erneut rot an. Sie schaute nach unten und hoffte, der Abend würde schnell vorbei gehen.
»Also?«
»Was?«, fragte sie.
»Wie lange?«
Amelie wusste, sie kam um die Antwort nicht herum. Einen Moment überlegte sie, ob sie ihn anlügen sollte. Doch dann entschied sie sich dagegen. »Du bist mein erster Kunde«, sagte sie verlegen.
»So etwas dachte ich mir schon«, antwortete Armin amüsiert.
Ihr war die Situation unangenehm. Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen, aber sie konnte nicht. Irgendetwas in ihr hielt sie fest, und es war nicht nur das Geld, was sie für ihre Anwesenheit bekommen sollte. Da war noch etwas anderes, ein Hauch von Neugier.
»Du willst wissen, warum ich das mache, ja?«, fragte Armin und schaute sie ernst an.
Amelie nickte.
»Nun ja, irgendwie hast du schon recht, wenn du sagst, dass Männer wie ich uns Frauen mieten. Ich arbeite sehr viel und habe einfach keine Zeit auf anderem Wege mit dem weiblichen Geschlecht in Kontakt zu kommen. Na ja und bei Geschäftsessen, wenn die Geschäftspartner ihre Ehefrauen mitbringen, sieht es immer besser aus, wenn man auch jemanden mitbringt.«
Amelie erinnerte sich an Rikes Worte. Sie erwähnte etwas von Stammkunden, bei denen sie sich als Ehefrau oder Freundin ausgeben musste. Was sie sich vor wenigen Stunden nicht vorstellen konnte, erlebte sie nun selbst. Armin gehörte zu den Männern, die eine gemietete Frau zum Vorzeigen brauchten.
»Wie … Ähm, wie häufig wechselst du die Frauen? Ist es nicht sinnvoller immer mit derselben aufzutauchen?«
»Nicht unbedingt. Ich gehe ja nicht immer mit den gleichen Leuten essen«, antwortete Armin und grinste dabei. »Hast du sonst noch irgendwelche Fragen?«
»Nein.« Sie lächelte verlegen.
»Dann habe ich noch eine. Warum machst du den Job? Ist es das Geld oder wolltest du etwas Neues ausprobieren?«
Amelie zögerte. Rike hatte ihr geraten, nicht zu viel Privates von sich preiszugeben. Nicht umsonst gab es zum Schutz der Privatsphäre die Künstlernamen. Kein Kunde sollte die wahre Identität der Dienstleisterinnen herausbekommen. Diskretion in alle Richtungen war oberste Priorität.
Amelie überlegte, ob sie Armin erzählen sollte, wie sie zu diesem Job kam. Sie entschied sich aber, den wahren Grund für sich zu behalten. Warum sollte sie auch mit einem Fremden über ihre privaten Sorgen reden?
»Es ist das Geld«, sagte sie nach einer Weile verlegen.
»Nur wegen des Geldes? Gibt es keinen anderen Beruf, der dich interessiert und wo du gut verdienst?«
Sie war schockiert über diese direkte Frage. Das war ihr auch anzusehen.
»Es tut mir leid! Ich wollte dir nicht zu nahe treten«, entschuldigte sich Armin hastig und nippte an seinem Glas.
Amelie schwieg. Sie wollte keine Vorlagen für neue unangenehme Themen bieten. Sie wusste, der Abend war gelaufen. Dennoch versuchte sie, sich zusammenzureißen. Sie war erleichtert, als der Kellner das Essen brachte und vor ihnen abstellte.
Beide begannen schweigend zu essen und beobachteten sich heimlich gegenseitig. Sobald sich ihre Blicke trafen, schauten sie weg, um sich nach einer Weile wieder anzuschauen.
Mit jedem Bissen verschwand Amelies Appetit. Als ihr Teller zur Hälfte geleert war, stocherte sie nur noch in ihrem Essen herum.
Armin hingegen schien einen Bärenhunger zu haben, vielleicht schmeckten ihm die Garnelen mit Salat auch nur gut.
Nachdem das Ende der Vorspeise eingeläutet war, indem Armin seinen Teller geleert hatte, machte sich Amelie Gedanken. Sie fragte sich, wie viele Gänge noch kommen sollten und wie der Abend weitergehen würde. Am liebsten wäre sie sofort nach Hause gefahren, aber das konnte sie nicht machen. Sie wusste, wenn sie jetzt ging, würde er sich beschweren und sie keinen Cent für dieses Treffen bekommen. Sie musste sich zusammennehmen.
»Da kommt schon der nächste Gang«, riss er sie aus ihren Gedanken.
Amelie sah dem Kellner gespannt zu, wie er das Essen auf dem Tisch platzierte. Auf jedem Teller waren Kartoffeln, ein Steak und Gemüse angerichtet. Das musste die Hauptspeise sein. Wenn sie Glück hatte, würde es dann nur noch ein Dessert geben und das Abendessen wäre beendet. Sie starrte auf den Teller. Das Essen sah verlockend aus. Wenn sie nicht ausgerechnet mit diesem Mann an dem Tisch gesessen hätte, wäre ihr Essen längst verschwunden. Da war sie sich sicher, aber in dieser Situation tat ihr jeder Bissen weh. Sie hatte das Gefühl, jeder noch so kleine Happen vermehrte sich in ihrem Mund und verstopfte ihre Speiseröhre. Immer wieder dachte sie, sie könnte jeden Augenblick ersticken. Als sie es nicht mehr aushielt, stocherte sie in den Resten herum und wartete, bis Armin fertig war.
Читать дальше