»Echt? Was macht ihr denn so?«
»Setz dich, damit ich dich schminken kann!«
»Ja«, antwortete Amelie und verdrehte die Augen. »Also?«
»Hm? … Ach so, das ist unterschiedlich. Meistens gehen wir Essen oder auf Partys.«
»Aha. Wozu braucht der dich denn auf Partys? Da gibt es doch genug Leute.«
»Das stimmt schon, aber weißt du, manche Männer … Wie soll ich sagen? Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
»Klar! Das weißt du doch.«
»Also es gibt Männer, unverheiratete Männer, die brauchen hin und wieder eine Ehefrau, um ihre Chefs oder Geschäftspartner zu beeindrucken.«
»Was? Warum denn das?«
»Weil die Chefs auf Familie stehen. Die Männer, die sich eine Ehefrau buchen, rechnen sich bessere Chancen aus, mit ihrer Karriere weiter zu kommen.«
»Ernsthaft?«
»Ja. Stillhalten!«, ermahnte Rike ihre Freundin.
»Was für ein Schwachsinn! Ist das nicht unheimlich anstrengend, die Ehefrau von jemandem spielen zu müssen, den man nicht kennt?«
»Am Anfang schon, aber man gewöhnt sich daran. Ich mache mir einfach für jeden Kunden Notizen, damit ich keine Details durcheinanderbringe. Das wäre eine Katastrophe. Vor jedem Date lese ich mir meine Notizen noch einmal durch und dann klappt es auch.«
Amelie starrte ihre Freundin fassungslos an. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass so etwas funktionierte. Insgeheim hoffte sie, niemals in solch eine Lage zu geraten.
»Fertig«, holte Rike sie aus ihren Gedanken. »Jetzt kannst du dich anziehen und dann mache ich dir noch deine Haare.«
Amelie sprang auf und schaute in den Spiegel. Von dem Ergebnis war sie so überwältigt, dass sie ihrer Freundin um den Hals fiel.
»Schon gut«, sagte Rike und lächelte.
Amelie löste sich von ihrer Freundin und lief ins Schlafzimmer.
Kurze Zeit später kam sie zurück ins Bad. Sie hatte sich das Kleid übergezogen, das ihr Rike bezahlt hatte, und trug die Schuhe, die sie zusammen aussuchten. Die Pumps, die weder zu hoch, noch zu flach waren, passten optimal zu dem Kleid.
Amelie fühlte sich wie eine Prinzessin. Jetzt fehlte ihr nur noch eine hübsche Frisur für den Abend. Selbst wenn alles schiefgehen würde, wäre sie wenigstens perfekt gestylt.
Samstag, 24.09.16, 19:24 Uhr
»Wir telefonieren später!«, rief Rike, als sie ihre Kollegin vor dem Restaurant absetzte.
Amelie stand verloren vor dem Gebäude. Sie starrte es an, ohne sich zu bewegen. Vorbei laufende Passanten musterten sie. In ihrem Outfit fühlte sie sich vor den Leuten unwohl. Im Gegensatz zu allen anderen, die auf der Straße zu sehen waren, war sie aufgetakelt.
Bevor sie mit klopfendem Herzen das Restaurant betrat, atmete sie kräftig durch. Als kleine Motivationshilfe dachte sie an das Geld, das sie an diesem Abend verdienen würde. Das half ihr. Mit winzigen Schritten ging sie hinein.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte einer der Kellner, der sofort auf sie zugelaufen kam, als er sie entdeckte.
»Ähm, ich bin hier verabredet.«
»Haben Sie reserviert?«
Amelie starrte den Mann an. Sie bekam keinen Ton heraus und wurde rot.
Als sie bemerkte, wie ungeduldig ihr Gegenüber wurde, nickte sie und lächelte. »Er ist noch nicht da. Ich warte an der Bar«, flunkerte sie und schaute zu einem der Tische.
»Wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie mich!«, antwortete der Kellner und wendete sich von ihr ab.
Amelie war erleichtert über den schnellen Abgang des Mannes. Nun stand sie vor dem nächsten Problem. Sie wusste nicht, wie sie ihren Kunden erkennen sollte. Die einzige Information, die sie hatte, war sein Name, den ihr Stella mitgeteilt hatte.
Amelie fand es unvorteilhaft, dass die Agenturchefin ihr vorher keine Fotos der Kunden zeigte. Dabei dachte sie, vor jeder Buchung könnte sie sich die Kunden anschauen und dann entscheiden, mit wem sie sich traf. So hatte sie Stella bei dem Gespräch in der Agentur zumindest verstanden.
Immerhin kannte sie seinen Namen. Er hieß Armin.
Amelie wollte aber nicht jeden Typen nach seinem Vornamen fragen und auch nicht, ob er mit einer Dame vom Begleitservice verabredet war. Sie hoffte darauf, von ihrem Kunden angesprochen zu werden und lief durch das Restaurant. Mit jedem Mann, der allein an einem Tisch saß, nahm sie Blickkontakt auf, aber keiner sprach sie an. Stattdessen glotzen sie Amelie nur an. Sie kam sich vor, als wäre sie die Attraktion des Abends. Verzweifelt ging sie an die Bar und setzte sich auf einen Hocker. »Einen Whisky bitte!«, sagte sie zu dem Mann hinter dem Tresen.
»Kommt sofort«, antwortete der Barmann, während er den Drink einschenkte. »Bitteschön!«
»Danke.« Amelie griff nach dem Glas, setzte es an den Mund und kippte den Inhalt mit einmal hinunter. Sie atmete tief durch. »Noch einen bitte!«
»Gerne.«
»Guten Abend!«, sagte ein Mann, der sich auf den Barhocker neben Amelie setzte. Er musterte sie dezent, sie merkte nichts davon.
Als sie den zweiten Whisky bekam, spülte sie ihn genauso hinunter, wie den ersten. Sie stellte das Glas ab und schaute nach links zu dem Mann, der kurz zuvor eingetroffen war. Er trug einen Anzug und machte einen gepflegten Eindruck. Ihr Blick fiel auf seine Hände, die auf der Theke abgelegt waren.
»Was darf es bei Ihnen sein?«, fragte der Kellner den Neuankömmling.
»Ein Bier bitte.«
Amelie lauschte seiner Stimme. Sie klang rau und doch irgendwie sanft. Am liebsten hätte sie ihn dazu aufgefordert weiter zu reden, damit sie dieser beruhigenden Stimme weiterhin zuhören konnte. Doch das verkniff sie sich. Stattdessen wanderte ihr Blick an dem Mann hinauf. Sie konnte ihm nicht in die Augen schauen, da er keine Anstalten machte, sich zu ihr zu drehen. Er starrte stur geradeaus. Amelie musste sich mit dem Anblick seines Profils zufriedengeben. Ihre Augen harrten auf jeder Stelle seines Kopfes einige Sekunden aus, so als wolle sie sich ihn genau einprägen. Als ihr Blick auf seinen Haaren lag, drehte er sich zur ihr. Hastig schaute sie weg. Sie spürte seine Blicke und fragte sich, ob er vielleicht ihr Date war. Die Überlegung verwarf sie schnell. Wenn er es wirklich wäre, hätte er sich doch zu erkennen gegeben.
Amelie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie fühlte sich verloren und spielte mit dem Gedanken, sich auf den Heimweg zu machen und sich von der Idee, als Begleitdame ihr Geld zu verdienen, einfach zu verabschieden. Bevor sie sich erheben konnte, ließ sie eine Stimme zusammenzucken. »Gloria?«
Der Name kam ihr bekannt vor. Es war ihr Name, den Rike ausgesucht hatte. Diese raue und doch beruhigende Stimme gehörte dem Mann neben ihr. Amelie drehte sich langsam zu ihm und nickte.
»Wir sind miteinander verabredet«, sagte er und schaute ihr tief in die Augen. Ihr lief ein Schauer den Rücken hinunter.
»Dann sind Sie Armin?«, fragte sie so normal, wie sie konnte, um sich nichts anmerken zu lassen.
»Ja, der bin ich«, sagte er und lächelte sie an.
»Ich dachte, Sie hätten mich heute für ein Geschäftsessen gebucht«, sagte Amelie. Sie war irritiert, ihren ersten Kunden so ruhig an der Bar sitzen zu sehen. Immerhin war es inzwischen eine Viertelstunde nach der Zeit, zu der sie verabredet waren.
»Nein, das ist ausgefallen. Ich dachte, wir können uns auch so einen netten Abend machen. Und das Sie kannst du ebenfalls weglassen!«
Amelie wurde rot. Sie wollte sich nicht vorstellen, was bei ihm ein netter Abend hieß. Auch wenn er ihr sympathisch war, wollte sie nicht, dass er ihr zu nahe kam. »Okay«, sagte sie mit zittriger Stimme.
»Gut, wollen wir rüber an den Tisch gehen und etwas essen?«
»Gerne.«
Armin erhob sich und wartete, bis sie aufgestanden war.
Er ging voraus, zu einem Tisch in der hintersten Ecke.
Читать дальше