De la Buquet lachte freudlos auf. »Ich wünschte, es wäre einer. – Jan-Ole … Superstars haben viele Neider.«
»Auch in der eigenen Partei?«
»Kennen Sie nicht die Steigerung von Feind? Feind, Todfeind, Parteifreund?«
Katharina stieß frustriert die Luft aus. Politik war ein Spiel, das ihr nicht lag. War sie überhaupt kompetent für diese Aufgabe? Gab es da nicht …?
»Sie zweifeln?«, fragte der Innenminister.
»Ich frage mich nur, ob wir wirklich die Richtigen sind. Ich meine, ich kenne mich in der Politik überhaupt nicht aus. Wäre es nicht besser, jemanden zu beauftragen, der –?« Weiter kam sie nicht.
»Meinen guten Freund Berndt meinen Sie?«
Berndt Hölsung. Katharinas Todfeind im Polizeipräsidium.
Aber ja. Hölsung wäre genau der Richtige. Der geborene Politiker. Golfpartner von de la Buquet. Er musste sich doch mit all dem hier auskennen.
Der Innenminister schüttelte energisch den Kopf: »Berndt. Tja. Sicher ein tüchtiger Beamter. Gut vernetzt. Wird seinen Weg nach oben machen. – Aber, ganz ehrlich, auch mir ist schon aufgefallen, dass seine Ermittlungsergebnisse eher durchschnittlich sind.«
So konnte man das auch nennen.
»Außerdem will ich gerade keinen Politiker«, fuhr de la Buquet fort. »Keinen, der das Spiel mitspielt. – Warten Sie …« Er durchwühlte wieder einen Aktenberg auf seinem Schreibtisch und schlug schließlich einen Hefter auf. »Die Beamtin Katharina Klein ist, und darüber dürfen ihre Ermittlungserfolge nicht hinwegtäuschen, ein überaus problematischer Fall, deren Tauglichkeit gerade für den höheren Polizeidienst aus gutem Grund hinterfragt wird«, las er vor. »Sie weigert sich, sich unterzuordnen, ignoriert Dienstvorschriften und direkte Weisungen ihrer Vorgesetzten, integriert sich nur schwer ins Team und überschreitet bei ihrer Arbeit auch schon einmal die Grenzen der Legalität. Jenseits dessen, dass sie damit kontinuierlich die ordentliche Strafverfolgung der ihr anvertrauten Fälle gefährdet, stellt sie zudem eine Bedrohung für den Betriebsfrieden dar. Sie geht in Konfliktfällen nicht ausgleichsorientiert oder deeskalierend vor.«
Katharina fühlte ihre Wangen aufglühen. Sie kannte diesen Text: ein nicht eben schmeichelhafter Eintrag in ihrer Personalakte. Sie holte Luft, um sich zu verteidigen, doch der Innenminister kam ihr zuvor: »Genau so jemanden brauche ich. Der sich um Spielregeln nicht kümmert. Für den nur das Ergebnis zählt. Der nicht Zeit und Ressourcen mit falsch verstandener Diplomatie verplempert. Der kein Problem damit hat, sich notfalls auch Feinde zu machen. Der die Eier hat, diesen Saustall, den wir Landespolitik nennen, auszukärchern und das ganze Kroppzeug in die Gosse zu schwemmen. Und Sie, Frau Kriminaldirektorin Klein, sind dieser Mensch! Das sind Sie doch? Deshalb nennt man Sie doch die Killer Queen, nicht wahr? Oder hat die Beförderung Sie etwa weichgespült?«
Katharina blieb der Mund offen stehen. Andreas Amendt bebte unter einem mühsam unterdrückten Lachen. Und noch bevor sie etwas erwidern konnte, fuhr der Innenminister fort: »Allerdings wäre ich dankbar, wenn Sie bei der Arbeit ausnahmsweise darauf verzichten, gleich ganze Ministerien niederzubrennen. Zumindest nicht ohne Vorwarnung.« Er gluckste plötzlich auf. »Doch wenn Sie das schon müssen: Fangen Sie bitte beim Innenministerium an. Dieser Bunker schlägt mir aufs Gemüt, und ich will endlich einen angemessenen Amtssitz.«
De la Buquet ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. Lachte. Und lachte. Und lachte. Sein Lachen wurde immer höher und schriller. Tränen rannen ihm über die Wangen, er rang nach Luft, doch er lachte noch immer.
Oh Gott, er ist hysterisch, dachte Katharina. Eigentlich müsste man …
Andreas Amendt hatte wohl den gleichen Gedanken, zögerte allerdings nicht, ihn in die Tat umzusetzen: Er gab de la Buquet zwei schallende Ohrfeigen.
Eine dritte Ohrfeige brachte endlich das gewünschte Resultat. Aus tränenden Augen starrte der Innenminister Andreas Amendt an. Doch der fühlte nur routiniert den Puls und zog eine kleine Stabtaschenlampe hervor, mit der er de la Buquet in die Augen leuchtete.
»Bitte verzeihen Sie die drastische Maßnahme«, sagte Amendt schließlich ohne einen Funken der Entschuldigung im Ton. »Aber Sie hatten, was man im Volksmund einen hysterischen Lachanfall nennt. – Sagen Sie, Sie wurden doch nach dem Vorfall gestern medizinisch betreut, oder?«
Der Innenminister nickte artig.
»Haben Sie irgendwelche Medikamente erhalten? Zur Stabilisierung des Kreislaufs? Psychopharmaka?«
De la Buquet zögerte zunächst, doch unter Amendts streng-mitfühlendem Blick nickte er schließlich erneut.
»Und welche Medikamente?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wie sahen die Medikamente denn aus?«
»Pillen. Klein und weiß. Hilft das?«
Amendt stieß ärgerlich die Luft aus. »Warten Sie, ich schreibe Ihnen etwas Besseres auf.«
Während er zurück um den Schreibtisch ging, zog er einen Rezeptblock und einen Kugelschreiber aus der Innentasche seiner Jacke. Er legte den Block auf den Tisch, während er die linke Hand wieder in seiner Jackentasche verbarg. Lässig an die Tischkante gelehnt schrieb er. Dann riss er das Rezept vom Block und legte es vor den Innenminister. De la Buquet nahm das Blatt, warf einen kurzen Blick darauf und wollte es wegstecken. Doch dann stockte er und las das Rezept noch einmal. »Soll das Ihr Ernst sein, Doktor Amendt? Fünf Kilometer Dauerlauf pro Tag? Mit dem Fahrrad zur Arbeit?«
Katharina wollte losprusten vor Lachen, doch dann sah sie, dass Amendt vollkommen ernst blieb.
»Körperliche Ertüchtigung ist aus medizinischer Sicht eines der potentesten Heilmittel, das wir kennen«, dozierte er wie vor einer Klasse lernunwilliger Medizinstudenten. »Neben der Erhöhung des Grundumsatzes, der Stärkung der Muskulatur, der Verbesserung von Stoffwechsel und Immunsystem sowie der Förderung der Durchblutung sind die bei verstärkter körperlicher Bewegung ausgeschütteten Botenstoffe das wirksamste Psychopharmakon, das wir kennen. Sie helfen gegen Depression, steigern die Antriebskräfte und unterstützen uns dabei, Stress abzubauen.« Sein Ton wurde versöhnlicher. »Ich laufe zwischen zehn und fünfzehn Kilometern am Tag. Und ich möchte das nicht mehr missen. – Das Dritte, was ich Ihnen aufgeschrieben habe«, fuhr Amendt fort, »ist aber genauso wichtig.«
»Zehn Stunden Gesprächstherapie«, las der Innenminister halblaut vor, um dann ärgerlich zu fragen: »Halten Sie mich etwa für gestört?«
»Nein, natürlich nicht. Zumindest nicht für gestörter als den Durchschnitt der Menschheit. Aber Sie waren Zeuge, als sich ein Mensch erschossen hat. Zudem ein Mensch, den Sie näher kannten. Ich halte es daher für eine gute Idee, die posttraumatische Belastung gleich von Anfang an in den Griff zu kriegen. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen ein paar Namen von Therapeuten nennen, die –«
»Nicht nötig«, winkte de la Buquet ab, während er das Rezept in die Innentasche seines Jacketts schob. »Wir sind hier etwas empfindlich, was die Auswahl von Ärzten und so weiter angeht. Sie wissen schon, die Presse. Deshalb müssen wir so etwas diskret angehen. Aber ich werde Ihren Rat beherzigen.«
Amendt zögerte kurz, dann fragte er: »Zu wem würden Sie gehen? Oder einer Ihrer Kollegen?«
»Ich sagte doch gerade, dass –«
Amendt hob die Hände, um den Innenminister zu bremsen. »Ich frage nicht Ihretwegen. Sondern wegen Doktor Vogel.«
»Warum das denn?«
»Niemand begeht grundlos Suizid. Die häufigste Ursache sind psychische Probleme, etwa eine Depression. Vielleicht hat Doktor Vogel deswegen Hilfe gesucht. Also: Haben Sie eine Vermutung, bei wem?«
Der Innenminister zögerte und starrte auf seinen Schreibtisch. Endlich sah er auf: »Nein. Leider nicht. Wie ich schon sagte: Es ist nicht so einfach für uns, Hilfe zu – Oder doch, Moment, Vogels Frau ist Ärztin.«
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