»Die zweite Präsentation bei Stockert & Rohrbacher war ein voller Erfolg. Alle waren sehr angetan von Ihrer Arbeit«, begann Hasko Beyer ohne Übergang.
»Aber?«
»Kein Aber. Wir wollen Sie fest an die Agency binden. Commanding Conceptioner for Defence Goods.«
Katharina verstand zwar nur die Hälfte, aber offensichtlich wollten die vier ihr einen Job anbieten. »Das ist –«
»Diese Campaign kann unser Einstieg in ein völlig neues Segment sein. Wir haben schon ein Appointment mit Heckler & Koch nächste Woche.«
»Und ich?«
»Sie werden Creative Head dieser Accounts. Text, Konzept und so weiter.«
»Ich weiß gar nicht –«
»You can thank us later. Sie müssten allerdings sofort anfangen.«
Hasko streckte ihr siegesgewiss die Hand hin. Was jetzt? Am besten mit dem Kopf durch die Wand.
»Nein. Das geht leider nicht.«
»But why?«
»Weil ich immer noch Polizistin bin. Und ich bin hier, weil Melanie Wahrig aller Wahrscheinlichkeit nach ermordet worden ist. Daher müsste ich von Ihnen allen wissen, wo Sie letzten Donnerstag waren.«
Hasko Beyer war bleich geworden: »Aber … Sie glauben doch nicht, dass einer von uns …?«
»Ich habe DNA-Spuren von Ihnen.«
»Von uns allen?«
»Bis auf Wigo, ja. – Vielleicht setzen Sie sich besser.«
Die vier Männer nahmen gehorsam Platz.
»Sie, Ernesto und Hartmut haben offenbar mit Melanie –«, begann Katharina.
»Wir alle? Colleagues? Im Ernst?«, unterbrach Hasko Beyer sie.
Ernesto zuckte mit den Schultern: »Ach Gottchen, das eine Mal. Und sie hat es ja darauf angelegt. Das war eindeutig freiwillig.«
»Und?«, fragte Katharina.
»Nett. Aber nichts Besonderes.« Das klang zu abgebrüht, um gelogen zu sein.
»Und danach wollte Melanie nichts mehr von Ihnen wissen, stimmt’s?«
»Andere Mütter haben auch hübsche Töchter.«
»Und bei dir?«, fragte sie Hartmut Farber. Hatte der sich nicht mit Melanie gestritten? Das hatte Laura doch erzählt.
»Oh je. Ja. Leider. Ich verstehe es auch nicht so ganz. In einem Augenblick streiten wir uns noch über den richtigen Schriftschnitt, und im nächsten liegen wir in ihrem Bett.«
»Und bei mir …«, beichtete Hasko Beyer, »… war es nach der Office-Messe in Köln. Zu viel Sekt. – Warten Sie! Donnerstag, sagten Sie? Dann kann es keiner von uns vieren gewesen sein. Wir waren den ganzen Tag bei Stockert & Rohrbacher. The fucked-up first presentation. Wir sind Mittwochabend rübergefahren und erst am Freitagmorgen zurückgekommen.«
Die anderen atmeten erleichtert auf. Ein Alibi.
»Moment«, widersprach Katharina. »Wir haben doch am Donnerstag miteinander telefoniert.«
»Richtig«, erwiderte Hasko Beyer. »Aber wenn niemand mehr im Office ist, werden alle Calls entweder auf mein Handy oder das von André Meyer umgeleitet. Das können Sie aber bestimmt an unseren Logs erkennen.«
Katharina nickte. Die Geschichte klang glaubwürdig. Sie konnte das Alibi immer noch überprüfen. »War André auch dabei?«
Hasko zuckte mit den Schultern. »Nicht sein Account.«
»Gut. Dann würde ich gern mit ihm sprechen.«
»Ist erst am Montag wieder im Office. – Sie glauben uns also?«
»Ja, ich glaube Ihnen. Tut mir leid, dass ich Ihnen so einen Schrecken eingejagt habe. Aber ich muss Sie bitten, über dieses Gespräch erst mal Stillschweigen zu bewahren.«
»Natürlich.« Mit wem sollten sie auch darüber reden? So angenehm war die Situation wirklich nicht.
»Ist die Angelegenheit erledigt?«, wechselte Hasko Beyer das Thema. »Dann kommen wir doch wieder auf unser Angebot zurück. Undercover oder nicht, Sie haben einen sehr guten Job gemacht. Und im War for Talent siegt der Early Bird. Also: Unsere Offer steht.«
»Leider ist das alles nicht so einfach.«
»Schade.«
»Aber …« Man sollte Türen ja nicht unnötig zuschlagen. »Ich habe zurzeit ein Disziplinarverfahren am Hals. Kann sein, dass ich wirklich gefeuert werde.«
Hasko Beyers Miene hellte sich auf: »Gorgious! Wann ist denn die Decision?«
»Montag.«
«Please, call me first thing!«
***
Nur Wigo und Katharina waren in dem kleinen Besprechungsraum zurückgeblieben.
»Denkst du wirklich darüber nach, den Job anzunehmen?«, wollte Wigo wissen.
»Vielleicht. Mal sehen, was meine Anhörung ergibt.«
»Darf ich fragen, was du angestellt hast?«
»Ich habe zwei Drogendealer erschossen.«
Wigo wirkte nicht sonderlich geschockt. »Notwehr?«
»Ich sage Ja, andere sagen Nein.«
»Egal. Elendes Pack. Zwei tote Drogendealer sind zwei gelöste Probleme.« Er zögerte. »Ein Lover von mir ist an einer Überdosis krepiert.«
»Das tut mir leid.«
Wigo schwieg kurz. Dann fragte er: »Und … Hast du schon irgendeinen Verdacht? Wegen Melanie, meine ich?«
Katharina zuckte mit den Schultern. »Ein paar Spuren. Aber nichts Handfestes.«
»Ich habe Melanie wirklich gemocht. Scheint aber trotzdem, dass an den Gerüchten etwas dran war, nicht wahr?«
»Welche Gerüchte?«
»Ich meine den Kondomfetisch. Und die ganzen Männer.«
»Irgendeinen Tipp?«
»Ganz ehrlich? André!«
»Warum?«
»Hat eine Neigung zur Gewalt. Guckt sich in unserem Kinosaal hier immer Horrorfilme an. Von der übelsten Sorte. Hostel und so. Hast du auch Spuren von dem?«
»Ja. Aber das bleibt unter uns.«
»Natürlich. Du solltest aber unbedingt auch noch mit Sandra sprechen.«
»Warum? Denkst du, dass sie …?«
»Die zarte Seele? Nein. Aber sie war Melanies beste Freundin. Kann sein, dass sie noch etwas weiß, was dir weiterhilft.«
***
Katharina hatte gehofft, verschwinden zu können, doch Hasko Beyer bat sie, noch zu der kleinen internen Trauerfeier für Melanie Wahrig zu bleiben, die er hatte arrangieren lassen.
Fast die gesamte Agentur hatte sich in der Church versammelt. Nur André Meyer fehlte. Und Sven Langstroem. Mit ihm würde Katharina auch noch reden müssen.
Hasko Beyer hielt eine Rede. Auf Deutsch und erstaunlich einfühlsam. »… und so werden wir dich stets in Erinnerung behalten. Gut gelaunt mit wehender Mähne durch die Agentur laufend. Immer das Schöne auch noch in den seltsamsten Dingen sehend. Ich glaube, keiner von uns konnte Abwasserrohre und Gummidichtungen so ästhetisch in Szene setzen wie du.«
Ein leises Kichern im Publikum.
»Melanie, wo auch immer du jetzt sein magst: Vermutlich gestaltest du eine fröhliche Kampagne oder diskutierst über die richtige Schattierung von Weiß für deine persönliche Engelswolke. – Melanie, wir vermissen dich!«, schloss er seine Ansprache.
Nach einem Moment der Stille begann einer der Zuhörenden zu klatschen, die anderen fielen ein, bis der Beifall sich zu stehenden Ovationen gesteigert hatte.
Endlich war der Applaus verklungen. Hasko Beyer deutete mit den Händen an, dass sich alle wieder hinsetzen sollten. »Liebe Colleagues, gestattet mir noch einen Nachsatz. Ich weiß aus berufener Quelle, dass – und das wird für viele von euch ein Schock sein –, dass die Polizei Melanies Tod eingehender untersucht.«
Die Zuhörer atmeten alle hörbar ein.
»Ich erwarte von euch, dass ihr die Ermittlungen in vollem Rahmen unterstützt. Das sind wir Melanie schuldig. Danke.«
Er verließ das Rednerpult. Die Anwesenden begannen leise, aber aufgeregt durcheinanderzusprechen. »Ich habe es ja gesagt …«, hörte Katharina. »Kein Unfall … Mord … Entsetzlich … Wer … Na ja, Melanie und die Männer … ich dachte, sie …«
»Wo ist denn eigentlich Laura?«
Katharina hatte zunächst nicht registriert, dass die Frage ihr galt.
»Hallo? Laura?« Jemand stupste sie an der Schulter. Katharina drehte sich um. Neben ihrem Stuhl stand Sandra Beckmann.
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