»Kurtz ist nicht –«
»Sie wissen genau, was ich meine.«
Katharina wechselte lieber das Thema: »Ich glaube nicht, dass das Risiko auf der Beerdigung allzu groß ist, wenn Sie das Gelände vernünftig bewachen lassen. Außerdem werden mindestens zweihundert Polizisten vor Ort sein.«
Polanski nickte langsam: »Na meinetwegen. Ich lasse die Kapelle und das Grab gleich absperren und rund um die Uhr bewachen.«
»Kann ich dann kommen?«
»Mir wäre es lieber, wenn …«
»Chef, ich kann dort auch nützlich sein. Ich bin die Einzige, die die Bombenlegerin bisher gesehen hat.« Das stimmte zwar nicht ganz, aber das konnte Polanski ja nicht wissen.
»Also gut. Aber kleiden Sie sich unauffällig. Halten Sie sich im Hintergrund. Und die Personenschützer vom BKA sind immer in Ihrer Nähe, verstanden?«
»Versprochen. Danke, Chef. – Möchten Sie etwas mitessen? Kurtz hat gekocht.«
»Ach, Pflicht und Gewissen.«
***
Es war schon ziemlich spät, als Polanski sich verabschiedete.
»Zeit fürs Bett, Laura«, sagte Katharina, nachdem sie hinter ihm die Tür abgeschlossen und die Sicherheitskette vorgelegt hatte.
Das Kind putzte sich wie immer gründlich die Zähne, schlüpfte in ihren Pyjama und krabbelte zwischen die zahllosen grünen Yodas ihrer Bettwäsche.
»Liest du mir noch was vor?«
Katharina setzte sich auf die Bettkante und schlug das große Märchenbuch auf. »Es war einmal …«, setzte sie an.
Weiter kam sie nicht, denn Laura fragte: »Wird der Andreas jetzt doch nicht dein Freund?«
Wie kam das Kind denn jetzt darauf? »Nein, Laura. Ich glaube nicht.«
»Bist du deshalb so traurig?«
»Ich bin doch nicht …«
»Doch, den ganzen Abend schon.«
Verdammt gute Beobachterin, die Kleine.
»Warum bist du denn dann so traurig?«
»Ach, weißt du …«, fing Katharina an. Besser gleich die Wahrheit. Laura kriegte sie ja auch so heraus. »Ich hab was Dummes gemacht. Und ich darf vielleicht nicht mehr Polizistin sein.«
»Hmhm.« Das Kind hatte die Stirn angestrengt in Falten gelegt.
»Laura, was denkst du?«
»Wenn du nicht mehr Polizistin bist, dann kannst du doch mit mir und Papa nach Brasilien kommen.«
Was hatte das Kind sich denn jetzt schon wieder ausgedacht?
»Wie kommst du darauf, Laura?«
»Also, der Papa hat keine Freundin. Und du hast keinen Freund. Und da könnt ihr doch …«
Daher wehte also der Wind. Oh Hilfe!
»Aber ich kenne deinen Vater doch gar nicht.«
»Der ist ganz doll lieb. Den magst du bestimmt.«
»Aber wenn er mich nicht mag?«
»Natürlich mag er dich.«
»Ich kann doch nicht einfach so –«
»Du kannst doch auch in Brasilien Polizistin sein!«
Unwillkürlich sah Katharina sich am Strand liegen, einen Longdrink in der Hand, jeden Tag Sonne … Aufs Stichwort trieb der Wind einen Schauer schweren Winterregens gegen das Fenster des Gästezimmers.
Laura flehte leise: »Bitte komm mit.«
Katharina schwieg. Lauras Haar strich über ihre Wange. Das Mädchen hatte ihre Arme um sie geschlungen. »Ich will, dass du meine neue Mama wirst. Dann sind wir eine Familie.«
Familie. Katharina spürte, wie ihre Augen anfingen zu brennen.
»Nicht weinen.« Laura strich ihr über das Haar.
Katharina tastete nach ihren Wangen. Tatsächlich. Sie weinte. Trotzig wischte sie mit dem Handrücken über ihr Gesicht.
Schließlich ließ Laura sie los und kuschelte sich wieder zwischen ihre Decken. »Du wirst meine neue Mama! – Liest du mir jetzt noch was vor?«
Laura hatte gesprochen. Um Himmels willen.
***
Round Trip
Samstag, 1. Dezember 2007
»Katharina wird meine neue Mama!«
Die so Auserkorene wünschte sich eine Spalte zum Verkriechen.
»Ach, Sie wollen das Kind adoptieren?«, erkundigte sich einer beiden Personenschützer vom BKA, die Katharina zum Frühstück eingeladen hatte.
»Katharina heiratet meinen Papa. Und dann fahren wir nach Brasilien!«, erläuterte Laura stolz ihren Plan.
»Sie sind verlobt? Glückwunsch! Ich dachte, Sie wären –«
»Ich bin nicht lesbisch!«, blaffte Katharina so laut, dass der Personenschützer fast vom Stuhl fiel.
»Single«, beendete er kleinlaut seinen Satz.
»Und wenn schon«, mischte sich sein Kollege ein. »Bei uns sind fast alle weiblichen Beamten lesbisch. Kein Problem damit. Verlust für die Männerwelt, Gewinn für das Team. Sagt unser Chef immer.«
»Wie dem auch sei: Ich bin nicht lesbisch.«
»Das hatten wir schon gehört.« Der Beamte bohrte sich theatralisch im Ohr. »Ach ja, es geht so ein Gerücht über Sie um: Sie haben wirklich zwei Killer weggepustet?«
»Ja. Leider.«
»Coole Aktion.«
»Deswegen werde ich jetzt ja auch gefeuert.«
Die Personenschützer sahen sich an, dann zuckten sie synchron mit den Schultern: »Kriminalpolizei! Bei uns hätten Sie ’ne Auszeichnung bekommen. – Und was machen Sie jetzt?«
»Sie geht mit mir und Papa nach Brasilien!« Laura begeisterte sich von Minute zu Minute mehr für ihren Plan.
Gott sei Dank klingelte in diesem Augenblick das Telefon: Andreas Amendt. »Torsten hat sich ziemlich beeilt. Er sagt, der ideale Vater wäre der mit der Probe, die mit Sven gekennzeichnet ist.«
Sven Langstroem. Der Fotograf von stop!. Er war hochgewachsen, kräftig, hatte sehr große Hände; das war Katharina aufgefallen, weil die Spiegelreflexkamera mit dem Großbild-Digitalaufsatz in seinen Händen klein und zerbrechlich gewirkt hatte. Körperlich war ihm die Tat durchaus zuzutrauen.
»Frau Klein?«, riss Amendt sie aus ihren Gedanken.
»Doch, ja. Wir sollten mit Sven sprechen.«
»Außerdem können wir später noch mal zu Paul Leydth fahren. Er hat sich wegen der Marberts umgehört.«
»Gut. Wir gabeln Sie gleich auf.«
»Momentan ist es noch etwas ungünstig. Vielleicht so in zwei Stunden? Bis dahin habe ich Svenja nach Hause gebracht.«
Katharina konnte sich auch nicht erklären, warum ihre Verabschiedung so frostig ausfiel. Amendt konnte doch so viele Frauen über Nacht bei sich behalten, wie er wollte.
***
Es gab nur einen Sven Langstroem im Telefonbuch. Er wohnte ganz in ihrer Nähe. Die Haustür war offen, und so stieg Katharina die Treppe hinauf. »Vorsicht, Fotograf« stand unter der Klingel. Katharina läutete, kurz darauf öffnete sich die Tür.
Wigo Bach starrte sie mindestens ebenso erstaunt an wie sie ihn: »Oh, hi. Das ist ja eine Überraschung! Was bringt dich hierher?«
»Ich müsste auch noch mit Sven sprechen. Wegen …«
»Wegen Melanie?« Wigos Miene verdüsterte sich.
»Reine Routine. Ich überprüfe alle Männer aus ihrer Umgebung.«
»Wer ist es denn, Honey?«, hörte sie die Stimme von Sven Langstroem aus der Wohnung.
»Katharina, Schatz. Du weißt doch …«
»Klar. Die süße Asiatin mit der Knarre.« Sven Langstroem tänzelte heran. Er trug nur ein lässig geschwungenes Handtuch um die Lenden: »Komm doch rein. Ich zieh mir rasch was an. Wigo? Bist du so lieb und machst Kaffee?«
Er gab Wigo einen Kuss auf den Mund und verschwand wieder im Bad.
Wigo führte Katharina verlegen in eine gemütlich eingerichtete Wohnküche und bot ihr Platz auf einem mit reichlich Kissen dekorierten Sofa an. Dann nahm er ein Glas aus dem Regal: »Macchiato?«
»Gern.«
Sven Langstroem hatte die gleiche Kaffeemaschine wie sie, stellte Katharina fest. Wigo kämpfte mit den Tasten, bis die Maschine endlich ein erlösendes Zischen von sich gab und das Glas mit Espresso und Milchschaum füllte. Er stellte das Glas auf eine Untertasse, legte einen langstieligen Löffel dazu und fischte schließlich noch zwei Schokoladenkekse aus einer großen Schale. Dieses Arrangement stellte er vor Katharina ab. Dann setzte er sich kurz in einen Sessel, stand aber gleich wieder auf und ging zur Kaffeemaschine. Espresso diesmal. Nach einer weiteren kurzen Servier-Ballett-Einlage blieb er dann endlich sitzen: »So.«
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