»Danke«, sagte Katharina amüsiert. »Du bist doch nicht etwa nervös?«
»Nee. Nur etwas umständlich. Tunte halt. – Apropos: Kannst du für dich behalten, dass Sven und ich ein Paar sind? Wäre nicht gut, wenn sich das in der Agentur herumspricht.«
»Klar. Kein Thema. Dann seid ihr wohl noch nicht so lange zusammen?«
»Drei Jahre.«
»Doch schon?«
»Ich weiß, für Schwulenbeziehungen ist das angeblich ein biblisches Alter.«
»Das meinte ich nicht. Nur wegen der Heimlichtuerei.«
»Man merkt uns das doch hoffentlich nicht an, oder? Beziehungen innerhalb der Agentur sind nicht gern gesehen. Hasko glaubt, das führt zu kreativer Inzucht.«
»Ehrlich gesagt hatte ich Sven für ...« Wie sagte man das denn jetzt am besten?
»... für 'ne Hete gehalten?« Wigo atmete auf. »Gott sei Dank.«
***
»Und? Was kann ich für dich tun?«, fragte Sven neugierig, kaum, dass er sich zu ihnen gesellt hatte. Er trug Jeans und ein Muscle-Shirt über dem gut trainierten Oberkörper.
»Verlust für die Damenwelt«, dachte Katharina und verkniff sich ein Kichern.
Sven lehnte den Kopf gegen Wigos Schulter. »Wieder ein Fotoshooting?«
»Hat Wigo dir noch nicht erzählt, wer ich bin?«
»Du hast uns doch gebeten, es nicht zu tun«, sagte Wigo gekränkt. »Nicht alle Schwulen tratschen.«
»Was nicht erzählt?« Sven richtete sich neugierig auf.
»Ich bin Kriminalpolizistin«, erklärte Katharina. »Und ich untersuche den Tod von Melanie Wahrig.«
»Wow«, sagte der große Mann beeindruckt. »Under cover?«
»Sozusagen.«
»Cool. Und jetzt willst du auch mit mir sprechen?«, fragte er mit kindlicher Neugier. »Bin ich verdächtig?«
Das dürfte das erste Mal sein, dass sich jemand darüber freute, von ihr verdächtigt zu werden. »Nun, wir haben in Melanies Wohnung DNA-Spuren –«
»Klar. Meine Spermaprobe.«
»Deine was?«, fragte Wigo entrüstet.
»Meine Spermaprobe. Melanie hat mich darum gebeten.«
»Und du hast …?«
»Lass doch erst mal die Kommissarin fragen.«
»Melanie hat dich um eine Spermaprobe gebeten?«, übernahm Katharina Wigos Frage.
»Klar. Suchte den optimalen Vater für ihr zweites Kind. Fand ich ’ne schöne Idee.«
»Und du sagst mir nichts davon?«, fragte Wigo, immer noch entrüstet.
»Ich wollte dich nicht kränken.«
»Aber du hast doch nicht mit Melanie …?«, fragte Wigo das, was Katharina auch auf der Zunge brannte.
»Geschlafen? Mit einer Frau?« Jetzt war es an Sven, entrüstet zu sein. »Nicht persönlich gemeint«, ergänzte er in Katharinas Richtung.
»Schon klar.« Katharina biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu lachen.
»Und wie dann?«, bohrte Wigo nach.
»Handarbeit. Und ja, ich habe dabei an dich gedacht. – Wigo ist manchmal etwas eifersüchtig.«
Wigo ließ sich schmollend in seinen Sessel zurücksinken.
»Nun ja«, setzte Katharina an. »Melanie hat von deiner DNA-Probe ein Genprofil erstellen lassen. Du wärst der optimale Vater gewesen.«
»Wirklich?« Sven wirkte ehrlich erfreut.
»Wusstest du nichts davon?«
»Nee. Überhaupt nicht.« Er dachte kurz nach. »Moment! Deshalb wollte sie sich am letzten Donnerstag mit mir treffen.«
»Treffen?«
»Ja. Sie hat mich angerufen. Von wegen gute Nachrichten und so. Und ob sie mit mir sprechen kann. Ich hatte aber keine Zeit. War bis abends spät auf einem Shooting in Hanau. Stahlpressen fotografieren. Also haben wir uns für den nächsten Tag zum Frühstück verabredet. Sie kam aber nicht. Hab versucht, sie anzurufen, doch sie ist nicht ans Telefon gegangen.«
»Fandest du das nicht seltsam?«
»Bei Melanie? Nö. Die war ziemlich oft in ihre Arbeit versunken und hat dann alles um sich herum vergessen.«
»Und das Fotoshooting kann jemand bestätigen?«
»Ein Alibi?« Schon wieder diese kindliche Neugierde. »Klar. Mein Assistent, der Firmenchef der Stahlwalz AG, der Marketingleiter, die Kommunikationstante und so ungefähr hundert Arbeiter, die ich durch die Gegend gescheucht habe. Ziemlich enttäuschend. Nur Bierbäuche. Keine Muskeln.«
»Tja, dann kann ich dich wirklich mit ruhigem Gewissen von der Verdächtigenliste streichen.«
»Cool. – Siehst du, Wigo, so sieht ein Verhör aus. Er schreibt seit Jahren Krimis, die keiner drucken will.«
»Ich weiß. – Aber etwas anderes: Hast du sonst einen Verdacht?«
Sven zuckte mit den Achseln: »André. Das ist der Gewalt-Fan in der Agentur. Den würde ich auf jeden Fall befragen.«
***
Amendt hatte eine SMS geschickt, mit einer Adresse und der Bitte, ihn dort abzuholen. Katharina ließ es sich nicht nehmen, selbst an der Tür zu klingeln. Svenja Taboch musterte sie frostig: »Sie wollen den Andreas aufgabeln?«
In diesem Moment drängte sich Andreas Amendt auch schon aus der Tür: »Gehen wir?«
Svenja stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste den Arzt zum Abschied kräftig auf die Wange. Sie hätte den Mund erwischt, wenn er nicht in letzter Sekunde den Kopf zur Seite gedreht hätte. »Bis bald!«
»Bis bald.« Amendt hatte es eilig, die Treppe hinunterzukommen. Katharina konnte kaum folgen; der Knoten in ihrem Bauch schmerzte doch ziemlich.
***
Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sich Amendt in die weichen Polster des Panzers sinken: »Endlich Ruhe. Die Frau kann reden! Ein Wasserfall ist nichts dagegen.«
»Reden?«
»Fast die ganze Nacht. Erst heute Morgen um drei hat das Schlafmittel endlich gewirkt. Und immer das gleiche Thema: Wie schön es wäre, wenn Johanna doch zu ihr kommt. Und dass ein Kind eine Familie brauche. Mit Mutter und Vater. Und wie schwer es doch ist, passende Männer kennenzulernen.«
»Und was haben Sie gesagt?«
»Was soll ich schon groß sagen? Ich hab zugestimmt. – Ich glaube, ich werde ihr Eric vorstellen. Den Neurologen, Sie erinnern sich? Der ist Single. Und leidensfähig.«
Katharina fühlte sich erleichtert. Warum auch immer.
***
Als wollte es Katharinas Laune widerspiegeln, hatte auf der Fahrt das Wetter aufgeklart. So bogen sie unter einem strahlend-blauen Spätherbsthimmel durch das große Tor, das zum Anwesen von Paul Leydth führte. Der Professor und seine Frau erwarteten sie schon auf dem kleinen Vorplatz.
»Andreas, du musst mir helfen!«, flehte Angelica Leydth dramatisch, kaum dass sie sich begrüßt hatten. »Eine Schülerin hat da Noten mitgebracht, mit einem Fingersatz, den ich einfach nicht durchschaue.« Sie fasste Andreas Amendt bei der Hand und zog ihn Richtung Haus. »Magst du auch mitkommen, Laura? Wir haben Kakao«, rief sie über die Schulter.
»Klar.« Laura hüpfte vergnügt hinter den beiden her.
»Das ist unsere Chance«, bühnenflüsterte Paul Leydth verschwörerisch zu Katharina. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen meine Autosammlung.«
Der Professor ging zügig auf die Garage zu. Katharina wollte folgen, doch ihre Beine gehorchten nicht. Das Garagentor war eingedrückt gewesen, als sie am Mittwoch weggefahren waren. Eine Folge der Explosion. Doch jetzt sah es aus wie neu. Nur auf dem Pflaster war noch ein großer, schwarzer Fleck. Viele der Steine waren zerbröckelt oder gebrochen.
Katharina spürte einen festen Kloß im Hals. Sie alle wären jetzt tot. Wenn sie nicht mit der Fernbedienung für die Zentralverriegelung gespielt hätte.
Nur aus purem Zufall waren sie noch am Leben. Sie. Andreas Amendt. Laura. Und wenn Hans und Lutz nicht in ihrem Auto gesessen hätten … Das war alles ihre Schuld!
Sie spürte, wie ihr Gesicht kalt wurde. Ein Arm legte sich um sie. »Sie dürfen übrigens ruhig weinen«, sagte der Professor sanft. »Ist das Beste bei Schock.«
Ein paar Minuten standen sie so, während Katharina die Tränen über die Wangen rannen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
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