»Henthen braucht andere Gesetze, um weiterforschen zu können, nicht wahr?«, fragte Katharina. »Das hatten wir ja schon beim letzten Mal vermutet.«
»Ja, aber jetzt haben wir die Bestätigung: Die Marberts nehmen momentan massiven Einfluss auf die Ethik-Kommission, auf das Ministerium für Bildung und Forschung und auf die entsprechenden Ausschüsse. Sie wollen unbedingt durchsetzen, dass die Gesetze zur Stammzellen- und Embryonenforschung gelockert werden.«
»Und wie geht so eine Einflussnahme vor sich?«
»Zunächst einmal die übliche Lobby-Arbeit: Gespräche, Vorträge, Eingaben. Positionspapiere von Experten wie Henthen.«
»Das reicht?«
»Nicht immer. Und dann greifen die Marberts zu den seit Jahrhunderten erprobten Methoden der seriösen Geschäftswelt: Bestechung, Bedrohung, Erpressung.«
»Illegal?«
»Nicht bei uns. Dafür haben sie und andere gesorgt. Sie dürfen sich das auch nicht so vorstellen, dass in dunkler Nacht Koffer mit Geld den Besitzer wechseln.«
»Sondern?«
»Gut honorierte Vorträge. Aufsichtsratsposten. Die Marberts verfügen über ein Netzwerk, mit dessen Hilfe sie Menschen in praktisch jede Position hieven können. Sie wollen Innenministerin werden? Oder Professorin? Die Marberts sind Ihre Ansprechpartner. Wenn Sie den Preis zahlen können.«
»Preis?«
»Einfluss ist die Währung, in der sich die Marberts bezahlen lassen. Ihr System ist dabei selbsterhaltend und selbststeigernd, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Je mehr Menschen ihretwegen in den richtigen Positionen sind, desto stärker wächst der Einfluss der Marberts?«
»Richtig.«
»Aber Sie sagten auch Drohung und Erpressung. Das ist doch illegal, oder nicht?«
»Wenn es belegbar wäre. Aber es ist einfach, die Karrieren von Menschen nachhaltig zu zerstören: Ein paar harmlose Urlaubsfotos zum falschen Zeitpunkt an die Presse lanciert, das große Exklusiv-Interview der Ex-Geliebten, oder ein einfacher Tipp an den richtigen Börsianer über etwaige Unregelmäßigkeiten in den Bilanzen eines Unternehmens, und schon geht eine Karriere den Bach runter. Meine Familie hat jahrhundertelang so Politik gemacht. Kein Erbe, auf das ich stolz bin. Aber die Marberts sind unsere Meister.«
»Warum das?«
»Sie haben keine Feinde. Zumindest keine, die sie ernsthaft bedrohen könnten.«
»Wie haben sie das denn geschafft?«
»Indem sie für ihre Opfer sorgen. Als Minister geschasst? Hier ist der Aufsichtsratsposten. Oder die Botschaft eines schönen, sonnigen Landes. Böse Zungen sagen: ›Es kann dir nichts Besseres passieren, als von den Marberts unter Beschuss genommen zu werden.‹«
»Das ist doch absurd.«
»Glauben Sie mir, ich habe mich oft bei dem Gedanken ertappt, dass die Verrückten in meiner Praxis gesünder sind als die Welt von Macht und Politik, in der auch meine Familie zu Hause war.«
»Und wenn wir jetzt mit den Marberts sprechen, werden Sie uns vermutlich drohen, oder?«
»Schlimmer. Sie werden versuchen, euch als Freunde zu gewinnen.«
***
Das Anwesen der Marberts lag nicht weit entfernt von Paul Leydths Villa. Vom streng bewachten Tor führte eine Privatstraße durch einen großzügigen englischen Park auf einen Glas-, Stahl- und Beton-Neubau zu. »Ich habe eine Vision«, musste der Architekt verkündet haben. »Ich sehe ein postmodernes Sanssouci.«
Ein britischer Butler geleitete Katharina und Andreas Amendt würdevoll durch die Säle dieses Schlosses in ein Büro, dessen Dimensionen mit weitläufig zu beschreiben eine Untertreibung wäre. Ein Elektroroller lehnte an der Wand neben der Tür. Sehr sinnvoll. Sonst würden die Bewohner des Schlosses ihren Tag wohl nur mit dem Weg zum Büro und zurück verbringen.
»Kriminalhauptkommissarin Klein? Professor Doktor Amendt? Endlich lernen wir uns einmal kennen.« Ein schlanker, mittelgroßer Mann mit Frettchen-Gesicht kam um den großen Schreibtisch herum auf sie zu und streckte ihnen mit einem Teflon-Lächeln die Hand entgegen. »Ulf Marbert. Meine Frau wird auch gleich bei uns sein. – Aber nehmen Sie doch Platz.«
Die Sitzecke stammte aus der Designschule Neue Unbequemlichkeit. Nur mit Mühe fand Katharina eine halbwegs erträgliche Sitzposition.
»Ich weiß, nicht sehr rückenfreundlich. Dafür passend zur übrigen Einrichtung.« Ulf Marbert wandte sich an den Butler, der schweigend neben der Tür gewartet hatte. »Ich darf Ihnen doch etwas anbieten? – James. Kaffee und Refreshments, bitte.«
»Sehr wohl.« Der Butler glitt davon.
»Und womit kann ich Ihnen …? – Ach, Monica, sehr schön. Das sind Kriminalhauptkommissarin Klein und Doktor Andreas Amendt.«
Drei Monate im Jahr Wellness-Farm, Fitness, tägliche Kosmetik und operative Optimierungen im sechsstelligen Preisbereich schüttelten ihnen die Hand und nahmen Platz. Monica Marberts Augen erinnerten Katharina an Zielerfassungssysteme.
»Nun, womit können wir Ihnen helfen?«, fragte Ulf Marbert freundlich.
Katharina begann vorsichtig: »Wir untersuchen gerade den Tod einer Patientin von Doktor Henthen. Und wir haben erfahren, dass er Sie als Adoptiveltern für das Kind der Toten vorgeschlagen hat.«
»Ja, das hat er. Der gute Henthen. Enger Freund der Familie.«
»Und wir fragen uns –«
»Nicht so schüchtern. Hat Henthen uns ein Wunschkind erzeugt?« Ulf Marbert lächelte noch immer.
»Hat er?«, fragte Katharina.
»Ja. Das kann man so sagen. Die beste Mutter, genetisch gesprochen, und den besten Vater: gesund, Nobelpreisträger, musisch begabt. Bei uns wird das Kind die beste Zukunft bekommen, die man sich vorstellen kann. Sie sollten nur mal das Kinderzimmer sehen, das wir haben entwerfen lassen. Und nur Topp-Personal von Anfang an.«
»Sie wissen aber schon, dass Kinderhandel strafbar ist?«
»Wer spricht denn von Handel? Es war eine Absprache, wie man sie unter Erwachsenen trifft.«
»Sie haben die Mutter nicht bezahlt?«
»Wir haben die Webdesignerin Alexandra Taboch dafür bezahlt, unsere Firmenwebsite auf den neuesten Stand zu bringen. Fürstlich natürlich. Da wollte sie uns den kleinen Gefallen gern erweisen.«
»Offenbar nicht.«
»Ach, eine kleine Meinungsänderung. Kein Problem.«
»Deswegen ist sie jetzt ja auch tot«, sagte Andreas Amendt.
»Das ist höchst bedauerlich, hat aber mit unserer Absprache nichts zu tun. Ein tragisches Unglück, wie Sie ja wissen.«
»Meiner Meinung nach nicht.«
»Ach, kommen Sie, Doktor Amendt! Selbst eine Koryphäe wie Sie kann sich mal irren. Als Rechtsmediziner müssen Sie die Dinge ja immer von der strafrechtlichen Seite aus betrachten. Da kann man schon mal die Fakten überinterpretieren, nicht wahr?«
»Aber –«
»Ich lege für unseren Freund Markus Henthen die Hand ins Feuer. Und mein Wort hat sicherlich Gewicht. Keine Sorge.«
Andreas Amendt hätte seinerseits wohl gerne nicht nur eine Hand um den Hals von Ulf Marbert gelegt. Katharina konnte es ihm nicht verdenken.
»Nun ist aber das Verfahren, dass Henthen für die Erzeugung des Kindes angewandt hat …«, setzte sie an.
»Illegal, meinen Sie? Ich bitte Sie. Die Gesetzesänderung wird kommen, muss kommen, wenn es mit unserem Land aufwärts gehen soll. Kein Richter in diesem Land wird ihn deswegen belangen. Alle werden davon profitieren. Auch Sie übrigens, Frau Klein.«
»Ich?«
»In Ihrem Portfolio finden sich reichlich Biotechnologie-Aktien.«
»Woher wissen Sie das?«
»Nun, wir haben natürlich mitbekommen, dass Sie sich für Henthen interessieren. Da lag die Vermutung nahe, dass Sie irgendwann hier auftauchen würden. Außerdem ist es unser Geschäft, über jeden Frankfurter mit einem Vermögen in zweistelliger Millionenhöhe Bescheid zu wissen.« Er wandte sich an Andreas Amendt. »Ja, da sind Sie überrascht, wie? Frau Klein zelebriert die neue Bescheidenheit. Aber sie gehört zu den reicheren Bürgern dieser Stadt. Eine Schande, dass das Vermögen so brachliegt. Was könnten Sie nicht alles bewirken, Frau Klein? Kriminalitätsbekämpfung zum Beispiel.«
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