Der Arzt lachte auf: »Ach, das bedeutet nur, dass der Gesuchte zwar da ist, aber nicht behelligt werden will. Eine Standardausrede. – Jeannie schickt mich übrigens immer auf die Malediven. Sie meint, etwas mehr Sonne würde mir guttun.«
Andreas Amendt würde ein leicht gebräunter Teint wirklich gut stehen. In ihrem Kopf hörte Katharina Fischer-Lause sprechen: Ihn küssen? Einfach so? Gut, dass Frauke weiter berichtete.
»Mein Gott, war das gruselig. Wenigstens hat er auf eine Untersuchung verzichtet. Diese Wurstfinger …« Die Staatsanwältin schüttelte sich. »Also gut. Ich hab ihm das Übliche erzählt, von wegen biologischer Uhr und so. Und dass ich mir ein Kind wünsche. Außerdem habe ich diskret fallen lassen, dass Männer nicht so mein Ding sind. Da wollte er erst das Gespräch beenden, bis ich gesagt habe, was ich mache. Und dass ich bereit bin, gut zu zahlen. Das Geld schien ihm nicht so wichtig, aber eine Oberstaatsanwältin? Dachte mir, dass er so einen Kontakt brauchen kann.
Dann habe ich ihm erzählt, wie mein Wunschkind sein soll. Er meinte, mit einer guten Samenspende wäre da schon einiges zu machen. Ich müsste mich aber einer Hormonbehandlung unterziehen, und das Risiko, das Kind zu verlieren, sei sehr hoch. Dann habe ich gefragt, ob man die Eigenschaften eines Kindes eigentlich genau bestimmen kann. Da hat er etwas von Zufallsfaktor erzählt. Gene könne man nicht genau manipulieren. Noch nicht. Ich habe ein bisschen gebohrt: Dann ist er mit der Sprache rausgerückt. Die Technik sei eigentlich so weit. Durch die Art der Befruchtung, die Auswahl des richtigen Embryos und ein bisschen Manipulation käme man ziemlich dicht an das Idealbild heran. Aber er dürfe so etwas leider noch nicht. Die Gesetze würden jedoch bald geändert werden, auch auf seine Anstrengungen hin. Und dann sei der Weg frei für Kinder mit optimalen Genen.«
Genau, was Paul Leydth vermutet hatte: Henthen betrieb Lobby-Arbeit.
»Die Fischer-Lause wird hellauf begeistert sein«, sagte Katharina.
»Nach ihr habe ich ihn auch gefragt. Er ist gar nicht gut auf sie zu sprechen. Sagt, sie seien Wissenschaftler und kein Partner-Vermittlungsinstitut. Wie dem auch sei, ich habe bei Henthen Melanie Wahrig als Referenz angegeben. Der Name schien ihm nichts zu sagen. Oder er ist ein extrem guter Pokerspieler.«
Katharina kramte in ihrem Gedächtnis: Was hatte Lutz gesagt? Henthen spielte oft im Goldtaler? Also eher nicht.
»Bei Melanie Wahrig können wir ihn, glaube ich, von der Liste der Verdächtigen streichen«, fasste Andreas Amendt zusammen.
Katharina stimmte ihm zu: »Und so wenig, wie sein Computer abgesichert war, ist er bestimmt auch kein begnadeter Hacker.«
Damit blieb nur einer der potenziellen Väter. Oder der große Unbekannte. Schon wieder eine Sackgasse.
Katharina wurde durch einen leichten Tritt gegen ihr Schienbein aus ihren Gedanken gerissen. »Katharina, kann ich dich mal kurz unter vier Augen sprechen?«, fragte Frauke. »Wegen deiner Anhörung?«
***
Etwas widerwillig wollte Katharina die Oberstaatsanwältin in das Gästezimmer lotsen. Doch Frauke nahm sie bei der Hand, zog sie ins Badezimmer und schloss die Tür leise ab. »Du hast mich doch gestern um einen Gefallen gebeten? Weißt du noch?«, flüsterte sie.
Natürlich. Andreas Amendt und seine Verbindung zu Polanski. Die Staatsanwältin sprach schnell und leise: »Andreas Amendt ist mal festgenommen worden und saß in U-Haft.«
»Weswegen?«
»Ich weiß es nicht. Die Akte ist nicht bei uns, und die Computereinträge sind lückenhaft. Aber Polanski war der zuständige Sachbearbeiter. Das Ganze war eine Angelegenheit vom KK 11.«
KK 11? Das hieß Mord oder Totschlag.
»Und weiter?«
»Wenn ich die paar Informationen, die ich finden konnte, richtig interpretiere, war Andreas Amendt der Hauptverdächtige. Die Akte ist noch offen. Und wann hast du je erlebt, dass Polanski sich bei seinen Festnahmen geirrt hätte?«
***
Katharina ging zurück in die Küche. Ihre Beinmuskeln fühlten sich an wie Gelee. Polanski irrte sich in der Tat selten. Hatten vielleicht nur die Beweise nicht für eine Anklage ausgereicht? War Andreas Amendt ein …? Sie weigerte sich, die Frage zu Ende zu denken. Mit Schwung setzte sie sich wieder auf ihren Platz.
»Danke dir, Frauke. – Für deine Recherche.«
»Nichts zu danken. Es hat wirklich Spaß gemacht, Detektiv zu spielen. Zum Ermitteln komme ich ja viel zu selten«, sagte Frauke munter. »Aber eine Frage: Darf ich mal mit auf den Schießstand?«
In diesem Augenblick kam Laura panisch in die Küche gelaufen: »Du musst ganz schnell kommen. Hans und Lutz …«
»Bleib in der Küche, Laura. Und macht die Tür zu.«
Katharina blickte in den Flur. Nichts. Verdammt, wo war ihre Waffe? Handtasche, richtig. Durchladen. Entsichern. Vor der Wohnzimmertür blieb sie stehen. Was würde sie erwarten? Egal. Hans und Lutz waren ihre Freunde. Sie trat die Wohnzimmertür auf und sprang hinein, die Waffe im Anschlag.
Hans und Lutz starrten sie erschrocken an. Ihre Gesichter waren … feucht? Sie weinten?
Katharina ließ die Waffe sinken. Dann warf sie einen Blick auf den Fernseher. Bambis Mutter war eben vom bösen Jäger erschossen worden. Waidmanns Heil.
Laura kam hinter ihr ins Zimmer gedüst: »Die heulen ganz doll«, schloss sie ihre Botschaft ab.
Katharina atmete kräftig durch, zählte im Geiste bis zehn, ging gemessenen Schritts in ihr Schlafzimmer, schloss die Tür und zog ihre Schuhe aus. Dann ließ sie sich auf ihr Bett fallen und lachte so lange, bis ihre Bauchmuskeln den Dienst verweigerten und ihr die Tränen über die Wangen liefen.
***
Love’s Haunts
Freitag, 30. November 2007
»Wissen Sie, was der texanische Sheriff über die Leiche eines Schwarzen mit zwölf Messerstichen im Rücken sagte? – So einen grausigen Selbstmord hätte er noch nie gesehen.«
Die Reaktionen der Studenten auf Amendts Witz waren durchwachsen. Die meisten schwiegen, einige kicherten unsicher, zwei junge Frauen plusterten sich empört auf.
Andreas Amendt ließ sie nicht zu Wort kommen: »Ersetzen Sie ›texanischer Sheriff‹ durch ›deutscher Arzt‹ und den Schwarzen durch einen beliebigen Verstorbenen – dann haben Sie das typische Bild einer hiesigen Leichenschau. Darüber wollen wir heute reden. Über Bequemlichkeit, Schlamperei, Vorurteil und Unkenntnis. Also, direkt in medias res.«
Er drückte eine Taste auf der Fernbedienung in seiner Hand. Ein Projektor warf das Bild eines älteren Mannes an die Wand: »Rolf S. lag eines Morgens tot in seinem Bett im Altersheim; seine Herzprobleme waren dem herbeigerufenen Arzt bekannt. Also schrieb er Herzinfarkt auf den Totenschein, ohne sich die Leiche gründlich anzuschauen. Erst der Bestattungsunternehmer bemerkte das Blut im Bett: Rolf S. war durch einen Stich ins Herz verstorben. – Aus diesem Fall lernen Sie zwei Dinge. Erstens: Auch beim Rommé sollten Sie nicht betrügen. Zweitens?«
Er deutete ins Publikum. Der dicke Student, der in der letzten Vorlesung umgekippt war, antwortete stotternd: »Dass die Leichenschau immer gründlich sein muss? Von allen Seiten? Bei unbekleideter Leiche?«
»Sehr gut. Und unser nächster Fall: Dieser Mann …«, er zeigte ein neues Dia, »… war obdachlos. Er lebte in einem Abbruchhaus. Dort haben ihn Freunde tot aufgefunden. Die äußeren Anzeichen wiesen auf einen Schlaganfall hin. Und das wollte der Arzt auf den Totenschein schreiben, bis er Verletzungen an den Fingerknöcheln des Toten bemerkte. Tatsächlich war der Mann ein paar Tage zuvor in eine Schlägerei geraten. Todesursache, meine Herrschaften?«
Niemand meldete sich. Katharina, die bis dahin still in der ersten Reihe gesessen hatte, erbarmte sich schließlich. »Schädel-Hirn-Trauma?«
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