»Aber wäre es nicht gerechter, wenn der Vater –«
»Gerechter ja. Aber umständlicher. Und nicht immer ist der beste Versorger auch der beste Erzeuger.«
»Aber mit künstlicher Befruchtung …«
Die Professorin lachte: »Sie sollten mit meinem Kollegen Henthen sprechen. Er ist der Meinung, dass künstliche Befruchtung der beste Weg ist. Mit dem ganzen Brimborium, das er sich so wünscht.«
»Brimborium?«
»DNA-Banken, Embryo-Selektion, Genchirurgie. Optimierte Gene für eine optimierte Rasse.«
»Und Sie teilen diese Auffassung nicht?«
»Ich halte diese Anstrengungen schlicht für überflüssig. Die Menschheit ist auch so ein gutes Stück vorangekommen, nicht wahr? – Mein Gott, Sie sind wirklich gut gelungen. Noch mal nach vorn bitte. Mit geschlossenen Augen.«
Katharina drehte sich gehorsam in die gewünschte Richtung: »Und was wäre Ihre Vision?«
»Meine Vision? Die Menschen sollten endlich wieder lernen, sich die richtigen Partner auszusuchen. Und für den Rest hat uns die Schöpfung den Sex geschenkt.«
»Und was wären die richtigen Partner?«
»Beide gesund, frei von Erbkrankheiten und Risikofaktoren. Und möglichst unterschiedliche Gene. Wie bei Ihren Eltern zum Beispiel. Jetzt einmal mit dem Rücken zu mir, bitte.«
»Und wie finden sich die richtigen Partner?«
»Meistens auf dem natürlichen Weg. Entkleiden Sie sich bitte.«
»Was?«
»Runter mit den Klamotten! So eine Figur muss doch dokumentiert werden.«
Lutz und Hans hatten sich in ihren Sesseln vorgebeugt. Fischer-Lause bemerkte die Bewegung: »Ach so, Verzeihung.«
Rasch zog sie einen Vorhang zu, der den Raum in der Mitte teilte. Katharina hörte Hans »Das ist unfair« murmeln. Etwas unsicher streifte sie ihren Rollkragenpullover über den Kopf. Schließlich stand sie nur noch in Unterwäsche vor der Professorin, die sie wohlwollend musterte: »Sehr geschmackvoll. Runter mit dem BH!«
»Was?«
»Erstens brauchen Sie keinen, zweitens verfälscht die schwarze Seide die Farbwerte.«
»Schwarze Seide?«, rief Hans durch den Vorhang.
Was hatte der denn gedacht, was sie trug? Sportunterwäsche? Also gut, wenn es der Wahrheitsfindung diente.
»Perfekt. Die richtige Größe in der richtigen Form an der richtigen Stelle«, sagte die Professorin begeistert. »Wo waren wir stehen geblieben?«
»Wie sich die richtigen Partner finden.«
»Ach ja. Voraussetzung ist natürlich, dass sich die Partner auf ihre Instinkte verlassen. Leider sind viele Menschen heutzutage verblendet von seltsamen Schönheitsidealen.«
»Ach ja?«
»Ja. Wenn sich immer nur große, blonde, blauäugige Menschen paaren, kann ja nur Inzucht dabei rauskommen. Diversität! Darauf kommt es an. Wie bei Ihnen.«
»So, so. Mischungen also.«
Die Professorin sah erneut hinter ihrer Kamera hervor: »Mischungen? Das klingt ja fast rassistisch!«
»Aber läuft es nicht darauf hinaus? Gute Gene für die ideale Rasse?«
»Darüber kann man geteilter Meinung sein. – Bitte mal die Arme spreizen!«
»Sie sind nicht dieser Meinung?«
»Nein, das ist eher das Gebiet von Kollege Henthen.«
Kollege Henthen? Das klang ja nicht gerade nach großer Sympathie.
»Arbeiten Sie nicht mit ihm zusammen?«
»Doch, aber deswegen muss man die Theorien des anderen ja nicht mögen. Eigentlich streiten wir uns meistens.«
»Und das gemeinsame Buch?«
»Eine Publicity-Idee der Universität.« Die Professorin beschäftigte sich wieder mit ihrer Kamera.
»Wenn man nun die richtigen Partner hätte …«, fragte Katharina vorsichtig. »Wie stellt man dann die optimale Genkombination sicher?«
»Meistens regelt sich das natürlich.«
»Man kann also nicht nachhelfen?«
»Ach, darauf wollen Sie hinaus. Das wäre dann wieder das Gebiet von Henthen. Künstliche Befruchtung. Embryo-Selektion. Genchirurgie.«
»Und das wäre möglich?«
»Möglich? Darüber kann man geteilter Meinung sein. Es ist nicht so einfach, wie es sich anhört. Man kann nicht einfach beliebig Gene zusammenschneiden.«
»Nicht?«
Die Professorin schüttelte den Kopf. »Drehen Sie sich bitte einmal um. – Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Sie wollen ein großes Kind? Dann macht es keinen Sinn, nur die Wachstumsgene zu manipulieren. Sondern Sie müssen das Wachstum auch begrenzen. Sonst wächst Ihnen das Kind in den Himmel und stirbt vermutlich schon, bevor es volljährig ist. Außerdem sind solche Prozederes Gott sei Dank illegal. Noch!«
»Noch?«
»Sie kennen ja sicher die Litanei: Forschungsstandort Deutschland! In Timbuktu ist man weiter. Das muss ich mir vom Kollegen Henthen ja permanent anhören. Und wenn ich dann so seine Ideen sehe, hoffe ich, dass der Gesetzgeber ein letztes Quäntchen Vernunft besitzt …« Die Professorin hielt inne, während sie die Linse des Objektivs polierte.
»Was würde Henthen denn bei so einem Idealpaar machen? Wenn sich nicht alles natürlich regeln sollte, meine ich?«
»Künstliche Befruchtung. Den optimalen Embryo auswählen. Hoffen, dass er angenommen wird. Theoretisch.«
»Theoretisch?«
»Die Genanalyse von Embryos ist extrem schwierig und nicht ganz frei von Risiken. Sie müssten sie sehr viel länger außerhalb der Mutter aufbewahren.«
»Wäre das möglich?«
»Nun ja, die Präimplantationsdiagnostik ist schon recht weit fortgeschritten. Aber in dem Umfang, in dem Henthen sich das wünscht, ist das ein ziemliches Risiko für den Embryo. Ideal wäre eine Analyse aus einer einzelnen Zelle, um den Embryo nicht unnötig zu belasten.«
»Und ist das machbar?«
»Nun, man forscht dran.«
»Wo?«
»Genau genommen? Hier. Ein Doktorand von mir forscht über die Genanalyse aus einer einzigen Zelle. Wenn er auch vermutlich eher darüber nachdenkt, das Ganze für die forensische Genetik einzusetzen, seitdem er im Institut für Rechtsmedizin sitzt. – Unser Genlabor ist uns weggenommen und in die Rechtsmedizin gesteckt worden. Ein echter Skandal! Darüber sollten Sie schreiben.«
»Das Kompetenzzentrum DNA …«, begann Katharina vorsichtig.
»… ist eigentlich unser Labor. Jetzt dürfen wir es nur noch gelegentlich benutzen. – Ach, sind Sie schön! Sie sind bestimmt sehr selten krank, nicht wahr?«
»Ja, eher selten.«
»Kurz- oder weitsichtig?«
»Nein.«
»Irgendwelche Erbkrankheiten oder Diabetes in der Familie?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Ihre Eltern sind wohlauf?«
»Nein. Sie sind gestorben.«
»Das tut mir leid. – Darf ich fragen, woran?«
»Bei einem Verkehrsunfall«, log Katharina rasch.
»Gott sei Dank. Ich meine, das ist schrecklich, aber Schicksal. Was gäbe ich für Ihr DNA-Profil! – Haben Sie Kinder?«
»Nein, ich –«
»Na, dann aber los!« Die Professorin musterte sie streng. »Sie sind doch für Männer empfänglich?«
»Sie wollen wissen, ob ich heterosexuell bin?« Katharina verkniff sich ein Aufstöhnen. »Natürlich.«
»Wenigstens das. Alles andere wäre Verschwendung. Aber nicht verheiratet?«
»Nein.«
»Liiert?«
Katharina schwieg.
»Single?«, fragte die Professorin empört. »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber das ist ein Skandal. So eine Vergeudung!«
»Es hat sich wohl noch nicht der Richtige –«
»Weil Sie sich nicht genügend Mühe geben!«
»Was?«
»Schauen Sie sich doch an: Ihre Kleidung! Ihre Frisur!«
Katharina war gerade dabei, sich wieder anzuziehen: »Was ist damit?«
»Die Unterwäsche stimmt. Aber damit hat es sich auch. Jeans! Rollkragenpullover! Lederjacke! Turnschuhe! Pferdeschwanz!« Die Professorin spuckte die Wörter aus. »Das schreit doch alles ›Rühr mich nicht an‹! Und dann diese Körperhaltung. Als würden Sie permanent Kampfsport machen. Völlig unweiblich. So eine Verschwendung. Sie tragen auch eine Verantwortung den Genen kommender Generationen gegenüber. Oder wollen Sie eine Welt voller bulimischer Models?«
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