»Verwirrend.«
»Nun lass dir doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen, Lutz. Erzähl schon.«
»Gibt nichts groß zu erzählen. Elfies Ex-Mann ist aufgetaucht. Hab ihm die Hand gebrochen.«
»Die Hand gebrochen?«, fragte Katharina – nicht ohne Genugtuung.
»War Notwehr. Hat mich angegriffen.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Ist weggelaufen. Und Elfie hat mich geküsst.«
»Ja, und dann?«, drängelte Hans.
»Bin ich nach Hause gegangen.«
»Aber du hast dich mit ihr verabredet?«
»So halb und halb. Für später. Wenn nicht mehr so viel zu tun ist.«
Und damit versenkte er sich wieder in sein Buch. Hans schwieg, für ihn völlig ungewohnt. Schließlich murmelte er »Feigling!«, stand auf und ging zur Küchentür.
Lutz blickte auf: »Hm?«
»Ich sagte ›Feigling‹.« Damit ging Hans hinaus auf den Flur. Sie hörten ihn mit seiner Familie telefonieren, ihnen zärtlich »guten Morgen« wünschen.
***
Als Hans zurückkam, fragte Lutz: »Wieso Feigling?«
»Weil du mal wieder davonläufst, du Feigling!«
»Bin kein …«
»Was Frauen angeht, schon. Wann immer es halbwegs ernst wird, läufst du davon.«
»Will halt keinen Ärger.«
»Jaja.« Hans rührte mürrisch in seiner Kaffeetasse und schwieg.
»Nur weil du eine Frau und zwei Kinder hast, ist das doch nicht –«, platzte es aus Lutz heraus.
»Bist du glücklich?«, fiel Hans ihm ins Wort.
»Was?«
»Bist du glücklich?«
»Was hat das denn damit zu tun? Natürlich bin ich –«
»Ach, lüg dir nicht in die Tasche. Ich bin doch Tag und Nacht mit dir zusammen; immer nur deine Bücher, dein muffliges Schweigen.«
»Nur weil ich nicht rede wie ein Wasserfall –«
»Ich rede zu viel, ich weiß. Na und? Ich bin glücklich.«
Katharina sah sich genötigt, einzugreifen, bevor der Streit weiter eskalierte: »Hör mal, Hans, nicht für jeden sind Familie und Kinder das Richtige.«
»Genau«, ergänzte Lutz. »Und dann das Risiko in unserem Beruf …«
»Ja, ja, ja. Es könnte ja was passieren. Aber mal im Ernst gefragt: Wie viele Polizisten und Leibwächter sind denn im letzten Jahr zu Schaden gekommen? Einer? Zwei? Und –«
»Einer davon war mein Partner«, unterbrach ihn Katharina wütend.
Hans schwieg und vertiefte sich wieder in Kalle Blomquist.
Katharina notierte sich in Gedanken, dass sie Polanski dringend fragen musste, wann eigentlich Thomas' Beerdigung war.
***
»Warum hast du denn eine Rose gekauft?«, wollte Laura von Lutz wissen.
Lutz hatte Hans gebeten, vor einem Blumengeschäft zu halten. Wenige Minuten später war er mit einer einzelnen Rose wieder aus dem Laden gekommen. Hans trommelte vergnügt mit den Fingern auf dem Lenkrad, bis Lutz ihn anschnauzte: »Sendepause!«
Lauras Frage wollte Lutz auch nicht beantworten. Doch da kannte er das kleine Mädchen schlecht. »Die Rose?«, bohrte sie dreimal nach.
»Ist für Elfie«, ließ sich Lutz endlich zu einer Antwort herab.
»Ist die Elfie jetzt deine Freundin?«
»Nein«, grummelte Lutz.
»Doch«, sagte Hans über die Schulter.
»Das ist schön.« Laura wandte sich an Katharina: »Bringst du dem Andreas auch eine Rose mit?«
»Nein«, knurrte Katharina.
»Warum denn nicht?«
»Weil … weil … weil man das nicht so macht. Blumen schenkt man nur Menschen, die man sehr mag.«
»Magst du den Andreas nicht?«
Nicht schon wieder! »Doch!«
»Aber dann kannst du –«
»Nein. Und ich will jetzt auch nichts mehr davon hören.«
Laura schmollte und schwieg.
***
Katharina wusste nicht recht, was sie sich unter einem Institut für Gendiagnostik vorgestellt hatte. Vielleicht die gleiche Stahl- und Glas-Kühle wie in der Abteilung von Henthen. Auf jeden Fall keine geräumige, etwas plüschige Etage einer Gründerzeit-Villa auf dem Klinikgelände.
Das Wartezimmer war völlig leer. Katharina, Lutz und Hans nutzten die Gelegenheit, noch einmal ihre Rollenverteilung durchzusprechen. Lutz und Katharina würden die kritischen Journalisten spielen, während Hans den Fotografen gab.
Ihre kleine Unterredung wurde jäh unterbrochen.
»Mein Gott, Sie sind aber gut gelungen!«
Durch die Tür des Wartezimmers steuerte eine kleine, dralle Frau in einem Arztkittel zielstrebig auf Katharina zu. Ihr graues Haar war zu einem Dutt hochgesteckt, und sie trug eine altmodische Nickelbrille. Sie streckte Katharina die Hand hin: »Halb kaukasisch, halb … Nein, sagen Sie es nicht. Koreanisch! Mutter Koreanerin, Vater Deutscher!«
Das war keine Frage, sondern eine – erschreckend korrekte – Feststellung.
»Was für eine schöne Mischung!«, schwärmte die Frau weiter. »Sie müssen mir erlauben, Sie zu fotografieren. Für meine Sammlung. – Verzeihung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Ich bin Erika Fischer-Lause. Sie sind die Journalisten?«
Katharina bejahte und stellte Hans und Lutz vor. Die Frau musterte Lutz streng. »Gute Muskulatur. Leider eine latente Neigung zur Fettleibigkeit. Da müssen Sie aufpassen, junger Mann.« Zu Hans sagte sie nichts, aber ihr Blick sprach Bände. Kein gutes Genmaterial, übersetzte Katharina für sich. Das konnte ja heiter werden.
***
Das Büro von Professorin Fischer-Lause mochte gut und gerne fünfzig Quadratmeter haben. Zur Hälfte war es ein verkramtes Gelehrtenzimmer aus dem neunzehnten Jahrhundert: schwerer Eichenschreibtisch, über und über mit Büchern und Akten bedeckt; deckenhohe Bücherregale, zum Bersten gefüllt; ein Skelett an einem Ständer.
Die andere Hälfte war eine Mischung aus modernem Untersuchungszimmer und Fotostudio. In diese Hälfte lenkte die Professorin Katharina, während sie Lutz und Hans, der den emsig knipsenden Fotoreporter gab, zwei große Sessel zuwies; selbst Lutz wirkte in seinem unscheinbar.
»Na, dann wollen wir mal.« Die Professorin verschanzte sich hinter einer monströsen Großbild-Digitalkamera. »Erst mal den Kopf! Fragen Sie einfach; ich fotografiere derweilen. Bitte geradeaus schauen!«
Katharina blickte in die Kamera: »Wir haben uns intensiv mit Ihren Theorien aus ›Gute Gene‹ beschäftigt.«
»Ja? Bitte mal nach links drehen ins Profil.«
Katharina tat, wie ihr befohlen: »Wir fragen uns nun, ob es möglich ist, das ideale Kind künstlich zu erzeugen?«
Die Professorin sah erstaunt hinter ihrer Kamera hervor: »Wozu das denn?«
»Künstliche Befruchtung und Samenbanken sind doch das Thema zurzeit. Halten Sie nichts davon?«, fragte Katharina erstaunt.
»Nichts davon halten ist zu viel gesagt. Ist aber aufwendig. Und die Risiken sind so hoch, dass sich der Aufwand meist nicht lohnt.«
»Risiken?«
»Nun, erst mal muss die zukünftige Mutter hohe Dosen von Hormonen nehmen. Und selbst dann gibt es keine Garantie, dass ihr Körper den Embryo auch annimmt.«
»Und was macht man dagegen?«
»Das Übliche. Man pflanzt drei ein, in der Hoffnung, dass einer angenommen wird. Oft genug mit dem Resultat, dass die Mutter entweder doch kein Kind bekommt. Oder Drillinge.«
»Sie lehnen künstliche Befruchtung also ab.«
»Nein. Nicht direkt. Ich bin nur der Meinung, dass sie der letzte Ausweg sein sollte.«
»Und was wäre die Indikation?«
»Wenn einer der Partner erblich vorbelastet ist, zum Beispiel. Mit künstlicher Befruchtung kann man dann auf fremdes Erbgut zurückgreifen.«
»Mit einer Samenspende?«
»Genau. Aber auch das regelt sich in den meisten Fällen von selbst.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun ja, pater semper incertum est. Es kommt doch recht häufig vor, dass der rechtliche Vater nicht der biologische ist, nicht wahr? Und mit etwas Glück beweist die Mutter dann bei der Erzeugerwahl den richtigen Instinkt.«
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