1 ...8 9 10 12 13 14 ...30 So sind ewiges und zeitliches Sein, unwandelbares und wandelbares, und ebenso Nichtsein Ideen, auf die der Geist in sich selbst stößt, sie sind nicht von andersher entlehnt. Eine Philosophie aus natürlicher Erkenntnis hat hier einen rechtmäßigen Ausgangspunkt. Auch die analogia entis, als Verhältnis des zeitlichen zum ewigen Sein verstanden, wird an diesem Ausgangspunkt bereits sichtbar. Das »aktuelle Sein« ist in dem Augenblick, in dem es ist, etwas von der Art des Seins schlechthin, des vollen, das keinen Wandel der Zeit kennt. Aber weil es nur für einen Augenblick ist, ist es auch im Augenblick nicht volles Sein, seine Hinfälligkeit steckt schon in dem augenblicklichen Sein, dieses selbst ist nur ein »Analogon« des ewigen Seins, das unwandelbar und darum in jedem Augenblick volles Sein ist: d. h. ein »Abbild«, das Ähnlichkeit mit dem Urbild hat, aber weit mehr Unähnlichkeit.
§ 3. Das eigene Sein als aktuelles und potenzielles; Zeitlichkeit
Ob aus dem Abbildungsverhältnis von zeitlichem und ewigem Sein eine Ursprungsbeziehung zwischen beiden zu folgern oder in eins damit gegeben ist, wie sie die Namen »Schöpfer« und »Geschöpf« einschließen, darauf brauchen wir hier nicht einzugehen. Zunächst gilt es, die Ausgangstatsache weiter auszuschöpfen. Mit der Idee des Seins und Nichtseins hat sich uns zugleich die der Aktualität erschlossen. Das Sein, das sich uns zeigte, war gegenwärtig-wirkliches; wir können dafür (weil das Sein, das wir betrachten, Ich-leben ist) auch sagen: voll-lebendiges. Aber damit ist die Tatsache noch nicht fertig beschrieben. Was war, aber nicht mehr ist, und was sein wird, aber noch nicht ist, das ist nicht schlechthin nichts. Vergangenes und künftiges Sein ist nicht schlechthin Nichtsein. Das besagt nicht nur, daß Vergangenes und Künftiges ein erkenntnismäßiges Sein in Erinnerung und Erwartung hat, ein esse in intellectu (sive in memoria). Das gegenwärtig-wirkliche Sein des Augenblicks selbst ist nicht denkbar als für sich allein bestehend – wie der Punkt nicht außerhalb der Linie und der Augenblick selbst nicht ohne eine zeitliche Dauer –, und wenn wir es bewußtseinsmäßig fassen, gibt es sich als etwas, was, aus Dunkelheit aufsteigend, einen Lichtstrahl durchläuft, um wieder in Dunkelheit zu versinken; oder als Gipfelpunkt einer Welle, die selbst einem Strom angehört – alles anscheinend Bilder für ein Sein, das dauernd, aber nicht während der ganzen Dauer aktuell ist. Doch wie ist das zu verstehen? In dem, was ich jetzt bin, steckt etwas, was ich jetzt nicht aktuell bin, aber künftig einmal aktuell sein werde. Und das, was ich jetzt aktuell bin, war ich schon früher, aber nicht aktuell. Mein gegenwärtiges Sein enthält die Möglichkeit zu künftigem aktuellem Sein und setzt eine Möglichkeit in meinem früheren Sein voraus. Mein gegenwärtiges Sein ist aktuelles und potenzielles Sein, wirkliches und mögliches zugleich; und soweit es wirklich ist, ist es Verwirklichung einer Möglichkeit, die früher schon bestand. Aktualität und Potentialität als Seinsweisen sind in der schlichten Seinstatsache enthalten und daraus zu entnehmen.
Die Potenzialität, die in Aktualität übergehen kann, ja deren Sinn es ist, in Aktualität überzugehen, ist nicht Nichtsein. Sie ist etwas zwischen Sein und Nichtsein, oder Sein und Nichtsein zugleich. Die Freude, die mich eben noch erfüllte, jetzt aber »im Abklingen« ist, kann nicht mehr voll-lebendig genannt werden, aber ebensowenig ist sie versunken und vergessen oder gar so, als wäre sie nie dagewesen. Sie ist da, aber in einer – im Vergleich zur vollen Lebendigkeit – abgeschwächten Seinsweise. So ist – in verschiedenen Abstufungen – das, was in der Gegenwart ist, aber nicht voll-lebendig ist; so ist das, was einmal voll-lebendig war, aber es nicht mehr ist, sofern es wieder aus der gegenwärtigen Seinsweise in die des vollen Lebens übergehen kann; so ist das, was in Zukunft voll-lebendig sein wird, sofern es in der vorausgehenden Zeitdauer jene vorbereitende Seinsweise hat.
Es ist wohl zu bemerken, daß die abgewandelten Seinsweisen, in denen ich »noch« bin, was ich einst war, und »schon« bin, was ich künftig sein werde, beide zu meinem gegenwärtigen Sein gehören: mein vergangenes und mein künftiges Sein als solches ist völlig nichtig; ich bin jetzt, nicht damals und nicht dann. Nur dadurch, daß ich in Erinnerung und Erwartung mein vergangenes und mein künftiges Sein geistig innerhalb einer gewissen, nicht scharf abgegrenzten Reichweite festhalte, erwächst mir das Bild einer von dauerndem Sein erfüllten Vergangenheit und Zukunft, einer Daseinsbreite, während in der Tat mein Sein auf Messers Schneide steht. Hedwig Conrad-Martius hat den Gegensatz der phänomenalen Daseinsbreite und der faktisch punktuellen Aktualität in aller Schärfe herausgestellt. Es gibt (in der Zeit!) keine Dimension, in der Existierendes versinken kann, so daß sie es »gewissermaßen noch enthält«, und ebenso »keine Dimension, die das aus sich selbst herausgibt oder entläßt, es schon vorher enthaltend, was zur Existenz werden soll und wird. Vergangenheit und Zukunft bieten das in Wahrheit nicht, was sie anschaulich-phänomenal zu sein und zu bieten scheinen.« Die ganze Rätselhaftigkeit der Zeit und des zeitlichen Seins als solchen tut sich hier auf. Der gegenwärtige Augenblick ist nicht möglich ohne Vergangenheit und Zukunft, aber Vergangenheit und Zukunft stehen nicht fest, sie sind keine Behälter, in denen etwas bewahrt werden oder aus denen etwas kommen kann: es läßt sich in ihnen kein dauerndes Sein bergen. Die Eigentümlichkeit des dauernden Seins ist nicht von der Zeit her zu verstehen, sondern umgekehrt die Zeit von der punktuellen Aktualität her. Die »ontische Geburtsstätte der Zeit« liegt »in der vollaktuellen Gegenwärtigkeit«; darin, daß »aktuelle Existenz … eine bloße Berührung mit dem Sein … in einem Punkt« ist, ein Gegebenes und zugleich »als Gegebenes ein Genommenes«, ein »Hangen zwischen Nichtsein und Sein«. Was uns als dauerndes Sein erscheinen will, ist ein kontinuierliches Passieren der Berührungsstelle. Das ist die »existentielle Urbewegung«, die sich die Zeit – als ihren »Raum« – schafft. Im »Existenzberührungspunkte ›ist‹ Zeit. Und zwar als ›Gegenwart‹«. »Zeit ist die den Existenzberührungspunkt passierende Gegenwart schlechthin.« Vergangenheit und Zukunft sind von der Gegenwart nicht vorausgesetzt, aber »mit und an der Gegenwart« konstituiert vermöge des Entsteigens aus dem Nichts und Versinkens ins Nichts, das zur Urbewegung gehört, als »formale Leerdimensionen«. Die Urbewegung ist eine »Bewegung in das Sein hinein, dem Nichts entgegen; oder in sich selbst hinein (in dasjenige, was eben zur Setzung kommt), aus dem Nichts heraus.« Sein ist in diesem Sinn ein »Werden und bleibt es immer, es wird niemals zu einem (ruhenden) Sein«. Dieses Sein bedarf der Zeit. Die immer zu erneuernde »Position« setzt notwendig eine formale Dimension, in der sie immer neu Platz findet; setzt Aktualität oder Gegenwart im prägnanten Sinn: als den Ort oder die Stelle des Positionsaktes, der gerade vollzogen wird. »Gegenwart ist ›dort‹, wo dieser ontische Urakt sich vollzieht. Das kann nur ein ›Punkt‹, nie eine Breite sein … Gegenwart bricht kontinuierlich ins Nichts hinein … Aktualität ist … vorgerückt, wie sie es konstitutiv muß. Das heißt aber, daß jetzt eine neue Stelle erreicht ist und die alte nicht mehr gilt. Die Dimension der Zeit ist ja nichts außer diesem Vorrücken der Aktualität.« Ihr fester Angelpunkt ist die passierende Gegenwart. Die Zeit vermag keinen Existenzbesitz, keine Gegenwartsbreite zu schaffen, »weil zeitliche Setzung die Existenzform desjenigen Existierenden ist, das nicht wesenhaft, sondern nur faktisch existiert; weil dieses nur faktisch Existierende selbst prinzipiell nicht … zu einer endgültigen Seinssetzung in sich, zu einem wahren Existenzbesitze zu gelangen vermag«.
Читать дальше