»Mm, dann ist es auch kein Wunder, dass sie nicht raus kommt.«
»Ja. Da kannst du lange warten. Ich habe Angst um sie.«
Edgar nickte nur. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Zwar konnte er ihre Sorgen verstehen, nur war er nicht gut darin, tröstende Worte auszusprechen. Wann immer er versuchte, jemandem Trost zu spenden, kam das nicht so an, wie es gemeint war. Deshalb entschied er sich, es einfach sein zu lassen.
»Wie war es bei Max?«
»Ich war nur kurz bei ihm, damit ich pünktlich um neun hier auf der Matte stehe.«
»Oh. Dann stehst du schon vier Stunden hier? Das tut mir leid!«
»Meinst du, Sandra kommt heute noch nach Hause?«
»Ich weiß es nicht. Wenn du fahren willst, verstehe ich das.«
»Ach. Ich werde noch ein bisschen warten. Aber du weißt ja, Warten gehört nicht gerade zu meinen Stärken. Dafür fehlt mir einfach die Geduld.«
»Ja, ich weiß. Sei mir nicht böse, aber ich muss dich jetzt wieder allein lassen! Mein Dienst fängt bald an.«
»Ist schon gut.«
»Also mach es gut.«
»Mach es besser.« Edgars Worte zauberten ein zaghaftes Lächeln in Ellas Gesicht. Sie öffnete die Autotür, stieg aus und ging zu ihrem Wagen. Nach wenigen Minuten verschwand sie vom Parkplatz und der Privatdetektiv war wieder allein.
Nachdem Elena die Wohnungstür von innen hinter sich zugeschlagen hatte, lehnte sie sich dagegen und atmete tief durch. Ihr zweiter Arbeitstag in der Bäckerei verlief fast genauso gut wie der erste Tag, aber irgendwas war heute anders. Sie hatte das Gefühl, jemand war an ihrer Handtasche gewesen. Auch wenn ihre Tasche auf andere nicht aufgeräumt wirkte, hatte sie ein System. Ihre Handtasche besaß drei Fächer, die sie in Kategorien aufteilte. In der Mitte verstaute sie immer ihr Portemonnaie. Im vorderen Fach bewahrte sie Taschentücher und Frauenhygieneartikel auf und im hinteren befanden sich alle ihre Kosmetikartikel.
Während sie den Haustürschlüssel suchte, den sie normalerweise auch im mittleren Handtaschenfach deponierte, merkte sie, dass etwas nicht stimmte. Alle Gegenstände in ihrer Tasche waren an einem anderen Platz. Das Portemonnaie und die Schlüssel waren plötzlich im vorderen Fach. In der Mitte waren die Hygieneartikel und ein Teil der Kosmetik. Sie hatte ihre Sachen so definitiv nicht eingeräumt. Es musste jemand an ihrer Handtasche gewesen sein. Sie wusste nur nicht, wer es gewesen sein konnte und wann es geschehen war. Außer in der Bäckerei war sie nirgendwo anders.
Im Hinterzimmer des Geschäfts hatte sie einen eigenen Spind, den sie natürlich abgeschlossen hatte. Nach der Feststellung, dass etwas nicht stimmte, hatte sie sofort nachgeschaut, ob sie bestohlen wurde. Es war alles da. Ihre Papiere waren komplett und von dem Geld fehlte nicht ein Cent. Sie wusste nicht, wer ein Interesse an ihren Sachen haben konnte. Wenn ihr Spind nicht verschlossen gewesen wäre, hätte Christa die Einzige sein können, die eine Gelegenheit hatte in ihrer Tasche zu wühlen, aber so war es Elena ein Rätsel. Ihre Kollegin hatte sicherlich nicht ihren Schrank aufgebrochen, als sie auf der Toilette gewesen war. Anschließend musste sie ihn auch wieder verschlossen haben. Das konnte nicht sein! Welches Interesse sollte Christa gehabt haben, so etwas zu tun?
Elena wusste nicht, was sie machen sollte. Wenn sie Edgar davon erzählte, hielt dieser sie bestimmt für verrückt. Also entschied sie sich, den Vorfall zunächst für sich zu behalten. Vielleicht war sie es wirklich selber. Bei dem Gedanken schüttelte sie mit dem Kopf, so als ob sie sich selbst antwortete.
Sie legte die Tasche auf den Boden, zog ihre Jacke aus und hängte sie an die Garderobe. Dann brachte sie ihre Tasche ins Schlafzimmer in ihren Kleiderschrank. Sie wusste nicht, warum sie das tat. Womöglich wollte sie unbewusst die Handtasche aus ihrem Blickfeld räumen, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen.
Dann ging sie in die Küche, setzte eine Kanne Kaffee an und nahm am Küchentisch Platz. Sie dachte an Edgar, daran, was er wohl im Moment machte. Er fehlte ihr sehr. Gerade jetzt, als sie an sich selbst zweifelte.
Als der Kaffee durchgelaufen war, griff sie nach einer Tasse und füllte sie fast bis zum Rand. Damit sie die Kaffeetasse transportieren konnte, musste sie abtrinken. Sie nahm einen großen Schluck und realisierte dabei, wie heiß das Getränk war. Beim Abtrinken hatte sie sich die Zunge verbrannt. Sie ging mit der Tasse ins Wohnzimmer. Anschließend legte sie sich auf die Couch und dachte darüber nach, was heute passiert war und womöglich noch geschehen könnte. Irgendwann schlief sie ein.
***
Edgar schloss die Wohnungstür auf und warf die Post, die er eben aus dem Briefkasten geholt hatte auf den Schuhschrank. Dann schlüpfte er aus seiner Jacke und spürte, wie erschöpft er war. Bis um sechs hatte er vergeblich auf Sandra gewartet. Auf der Heimfahrt machte er noch einen kleinen Umweg zu Max und erzählte ihm alles, was ihm gerade einfiel. Er berichtete ihm von Elena, davon, wie sie sich kennengelernt hatten und von Ella. Auch wenn Max ihm nicht mehr antworten konnte, tat es dem Detektiv gut, sich alles von der Seele zu reden. Edgar wusste, seine Sorgen waren gut bei Max aufgehoben. Nicht nur, dass Tote nichts mehr sagen können, Max war schon zu Lebzeiten ein guter Freund, der Geheimnisse für sich behalten konnte.
»Elena bist du da?«
Es kam keine Antwort. Beim Blick ins Wohnzimmer sah er warum. Seine Freundin lag auf der Couch und schlief. Auf dem Tisch stand eine fast volle Kaffeetasse. Nach kurzer Berührung der Tasse spürte Wolf, sie war eiskalt. Elena musste also schon vor einer Weile eingeschlafen sein.
Er holte die Post aus dem Flur und ging in die Küche, in der Hoffnung, dass für ihn noch Kaffee da war. Er hatte Glück, die Kaffeekanne war fast voll. Es schien nur eine Tasse zu fehlen. Er goss sich einen Becher seines Lieblingsgetränkes ein und nahm einen Schluck. Das warme Getränk tat ihm gut. Dann setzte er sich an den Küchentisch und sah die Post durch. Einer, der beiden Briefe, die heute im Briefkasten waren, erregte seine Aufmerksamkeit. Auf dem Brief stand in einer auffälligen roten Handschrift »An Edgar Wolf« . Es war weder seine Adresse noch die des Absenders zu finden. Er nahm ein Messer aus dem Küchenschrank und öffnete damit den Briefumschlag. Anschließend holte er den Brief heraus, der ebenfalls mit einem roten Stift in der gleichen Handschrift geschrieben war. Edgar konnte sich nicht erklären, wer ihm einen Brief schreiben könnte. Um seine Neugier zu befriedigen, begann er, die Zeilen zu lesen:
»Lieber Edgar,
es hat mich sehr gefreut, dich nach Jahren wieder zu sehen. Du siehst immer noch so gut aus wie damals. Leider hast du mich nicht erkannt. Vielleicht wolltest du mich auch einfach nicht erkennen. Deine Freundin passt überhaupt nicht zu dir. Ich glaube, sie ist falsch und nutzt dich nur aus. Du solltest dich von ihr trennen! Ich passe sowieso viel besser zu dir und das werde ich dir noch beweisen. Auch, wenn du mich damals nicht wolltest, ich liebe dich immer noch und werde um dich kämpfen!
Deine dich liebende Verehrerin«
Der Detektiv war sprachlos und las die Zeilen ein zweites Mal. Er wusste nicht, von wem dieser Brief war. In den letzten Tagen hatte er niemanden von früher getroffen. Trotzdem schloss er einen Irrtum aus. Auf dem Umschlag stand sein Name. Diese Person wusste, wo er wohnte, sonst hätte der Brief wohl kaum den Weg zu ihm gefunden. Angestrengt dachte er darüber nach, wer damals in ihn verliebt gewesen sein konnte. Da er aber nicht wusste, in welchem Zeitraum sich dieses Damals erstreckte, fiel ihm auf Anhieb niemand ein, der diese Nachricht verfasst haben könnte. Womöglich war es auch nur ein Scherz von jemandem, der ihn ärgern wollte. Elena wollte er das Ganze vorerst verschweigen. Solange er nicht sicher war, wer dahinter steckte, musste sie sich keine unnötigen Sorgen machen.
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