»Wann willst du morgen los?«, fragte sie, während sie in Edgars Wagen stiegen.
»Ich werde mit dir zusammen das Haus verlassen. Zuerst will ich kurz zum Friedhof, Max gratulieren. Dann fahre ich zu Ellas Haus und warte, bis Sandra rauskommt. Ich habe nur keine Ahnung, wann sie das Haus verlässt. Ella meinte, dass es zwischen neun und zwölf Uhr sein kann. Mit viel Pech muss ich mehrere Stunden warten.«
»Ach du Armer. Dann nimm dir wenigstens genug Kaffee und etwas zum Essen mit.«
»Ja, das mache ich.« Edgar dachte an ihre letzten gemeinsamen Einsätze und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Was ist?«
»Ich dachte gerade daran, wie wir stundenlang vor dem Haus deines Ex in meinem Auto saßen und uns das Essen ausging. Kannst du dich noch daran erinnern, wie unsere Mägen um die Wette knurrten?«
»Hör bloß auf! Daran möchte ich nicht mehr denken!«, antwortete Elena gespielt ernst.
Inzwischen waren sie vor ihrem Wohnhaus angekommen. Den restlichen Tag ließen sie gemütlich in ihrer Wohnung ausklingen.
Edgar saß verschlafen am Küchentisch bei seiner ersten Tasse Kaffee. Elena war bereits seit gefühlten Stunden im Badezimmer. Jedenfalls kam es ihm so lange vor. Die Nacht war kurz gewesen, obwohl sie am Vorabend schon um zehn Uhr ins Bett gegangen waren. Bis sie einschlafen konnten, dauerte es eine Weile. Elena war selbst am Abend noch aufgekratzt und erfreut darüber, wie gut ihr erster Arbeitstag verlaufen war. Nachdem sie irgendwann eingeschlafen war, verfolgten Edgar die Gedanken an Max. Er hatte die Bilder von damals vor Augen, die ihn am Einschlafen hinderten. Die halbe Nacht hatte er wach gelegen und an seinen Freund Max gedacht. Der Detektiv vermisste ihn sehr.
Heute war wieder dieser Tag, den er am liebsten aus seinem Kalender streichen würde, Max sein Geburtstag.
Immerhin hatten sie am Morgen beide den Wecker gehört, der pünktlich halb sechs klingelte.
Als Elena endlich aus dem Bad kam und die Küche betrat, ging der Detektiv ins Badezimmer. Er konnte jetzt eine schöne heiße Dusche vertragen, um wenigstens einigermaßen wach zu werden. Schließlich wusste er nicht, was ihn an diesem Tag erwartete und wie lange er unterwegs sein würde. Das war abhängig davon, wann Sandra das Haus verlassen und wohin sie gehen würde. Edgar konnte sich noch immer nicht vorstellen, dass sich Ellas Tochter so stark verändert haben sollte. Zu ihm war sie sehr höflich, wenn sie sich trafen. Zugegebenermaßen kam eine Begegnung der beiden nicht allzu oft vor. Das erschwerte es dem Detektiv, sie einschätzen zu können.
Nachdem Edgar mit seiner Morgentoilette fertig war und er aus dem Bad kam, stand Elena im Flur. Sie schaute immer wieder nervös auf ihre Armbanduhr. Es war bereits kurz nach sieben Uhr. Sie musste zur Arbeit. Ohne sich von Edgar zu verabschieden, wollte sie nicht gehen.
»Na endlich! Ich muss los.«
»Ist es schon so spät?«
»Ja.« Sie ging ihm entgegen, umarmte ihn und gab ihn hastig einen Kuss auf den Mund. Kurz danach verließ sie die Wohnung. Edgar stand mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet noch einige Sekunden im Flur. Er konnte nicht fassen, dass es schon so spät war und Elena gerade aus dem Haus ging. Das Paar wollte eigentlich an diesem Morgen gemeinsam aus ihrer Wohnung gehen. Der Detektiv hätte seine Freundin gerne zur Arbeit gebracht, bevor er zum Friedhof fuhr. So lange hatte er sich doch nicht im Bad aufgehalten. Zumindest nicht so lange wie seine Elena.
Edgar ging ins Schlafzimmer und zog sich an. Dann überlegte er kurz, ob die Zeit noch für einen Kaffee reichte. Da er nicht wusste, wann Sandra das Haus verlassen würde und er vorher bei Max vorbeischauen wollte, entschied er sich den Kaffee unterwegs zu trinken. Während Elena im Bad war, hatte er sich eine Thermoskanne Kaffee vorbereitet und ein paar Scheiben Brot geschmiert. Er ging in die Küche und holte seinen Proviant, den er kurz darauf im Flur auf dem Schuhschrank ablegte. Anschließend zog er sich seine heiß geliebte Lederjacke an und schlüpfte in seine Cowboystiefel. Nachdem er fertig angezogen war, schnappte er sich seine Tagesverpflegung und verließ die Wohnung.
Der Detektiv wartete schon seit einer geschlagenen Stunde auf Sandra. Die Uhr in seinem Wagen zeigte ihm, es war kurz nach zehn. Er hoffte, er müsste nicht bis zum Mittag vor dem Haus warten. Dann hätte er sich mit seinem Besuch bei Max auf dem Friedhof etwas mehr Zeit lassen können. Gern wäre er länger am Grab geblieben und hätte seinem Freund von den Ereignissen der vergangenen Wochen in allen Einzelheiten berichtet. So erzählte der Detektiv ihm nur grob, was er seit seinem vorherigen Besuch bei Max erlebt hatte. Sein letzter Aufenthalt auf dem Friedhof war inzwischen schon mehrere Monate her. In der letzten Zeit schaffte er es einfach nicht, öfter hinzugehen. Das wollte er auf jeden Fall wieder ändern und seinen Freund nicht nur zu seinem Geburtstag und zu seinem Todestag besuchen. Seit Elena bei ihm wohnte, hatte das Paar die Zweisamkeit genossen. Nach der Sache mit Florian, Elenas Ex, hatten sie etwas Erholung auch nötig. Nun kehrte allmählich der Alltag ein, Elena hatte einen neuen Job und Edgar war wieder viel allein.
Vor dem Haus, in dem Ella und Sandra wohnten, war es ruhig. Obwohl es sich um ein Mehrfamilienhaus in einer Wohnsiedlung am Stadtrand handelte, waren kaum Menschen auf der Straße. Vielleicht lag es daran, dass die meisten der Bewohner berufstätig waren und sich zu dieser Zeit bereits auf der Arbeit befanden. Ella musste noch in ihrer Wohnung sein. Ihre Schicht würde erst am Nachmittag um zwei Uhr anfangen. Wenn Edgar ein Handy hätte, könnte er sie anrufen und fragen, ob ihre Tochter überhaupt zu Hause war. Womöglich wollte Sandra das Haus heute gar nicht verlassen und er wartete hier umsonst. So schnell konnte er aber nicht aufgeben. Nachdem, was Ella in den vergangenen Jahren alles für ihn getan hatte, wollte er wenigstens ein Mal für sie da sein. Edgar konnte seine alte Freundin unmöglich im Stich lassen.
Stunde für Stunde verging, ohne, dass der Detektiv Sandra zu Gesicht bekam. Entweder war sie an diesem Tag früher weggegangen, noch bevor Wolf Stellung vor dem Haus bezogen hatte oder sie verbrachte den heutigen Tag einfach in der Wohnung. Die Möglichkeit, sie nicht gesehen oder erkannt zu haben, konnte Edgar ausschließen. Er hatte das Wohnhaus nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen. Unter allen Personen, die aus dem Haus kamen, war nicht ein junges Mädchen gewesen. In spätestens einer halben Stunde musste Ella rauskommen, um ihren Dienst anzutreten. Es war bereits ein Uhr mittags.
Der Proviant, den sich Edgar mitgenommen hatte, war inzwischen aufgebraucht. Durch die Wartezeit hatte er eine Tasse Kaffee nach der anderen getrunken und aus langer Weile alle Brote aufgegessen. Im Moment war er zwar noch nicht hungrig, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sein Magen ihn lautstark daran erinnern würde, dass er gefüllt werden wollte.
So langsam wurde Edgar schläfrig. Die vergangene Nacht hatte ihn um den Schlaf gebracht. Am liebsten hätte er einfach seine Augen geschlossen und ein paar Stündchen geschlafen. Er musste sich zusammenreißen, nicht einzudösen. Bevor es so weit kommen konnte, ging die Haustür auf, Ella kam aus dem Haus.
Edgar wollte aussteigen und auf sie zu gehen. Doch dann entschied er sich dagegen. Es wäre nicht klug, sich zu zeigen. Sollte Sandra in der Wohnung sein, bestand immerhin die Möglichkeit, dass sie hinter einem der Fenster stand und das Geschehen beobachtete. Das wollte der Detektiv keinesfalls riskieren. Bevor er seinen Gedanken zu Ende denken konnte, entdeckte Ella ihn und lief schnurstracks auf ihn zu. Sie als Polizistin musste doch wissen, wie unklug ihre Aktion war. Ella öffnete die Beifahrertür und stieg wortlos ein. Nachdem sie es sich auf dem Beifahrersitz bequem gemacht hatte, sagte sie: »Sandra ist gestern nicht nach Hause gekommen. Ich habe keine Ahnung, wo sie stecken könnte.«
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