Caminchen verdutzt: Ja, nach der Wende da stand’s in der Zeitung, andauernd... aber in Wirklichkeit kenne ich keinen.
Unsicher bin ich ein bissel, zweifelt Weshilda kurz vor der Wohnungstür, ob ich willkommen bin, ob sie über mich reden, dass ich mich reindrängeln tu und...
Hm... aber wieso denn? Das lass meine Sorge sein. Komm!
⸙
Im Wohnzimmer ist der Tisch mit künstlichen Blumen geschmückt, mit billig geblümten Tassen aus chinesischer Produktion in schillernd changierenden Farben, einst in Eulines Kaufhalle glücklich erstanden und von Božena heimlich als »kitschig« bewertet. Auch Eulis Puppen finden bei ihr keine Gnade, auf der oberen Kante des Sofas sitzen annähernd zwanzig gesammelte Exemplare: in Spreewälder und in anderen Trachten. Auch Stoffbälge mit glubschrunden Augen, Andenken früherer Reisen. Enkel-Ersatz, weiß Božena, verkneift sich deshalb den Spott, wirft einen Blick auf ein Foto mit schwarzem Florband, darauf Eulines Tochter, umarmt von ihrem zweiten Mann Dieter.
Caminchen geht in die fensterlose, neun Quadratmeter kleine Küche, die von Weshilda bestaunt wird. Durch eine Regalwand, halb gläsern, ist sie vom Wohnzimmer abgetrennt. Sie packt den gekauften Kuchen aus und stellt ihn auf die »Durchreiche«, unter die mit Nippes bestellten Glasscheiben.
Das haben fast alle Wohnungen in DDR-Bauten, erläutert sie für Weshilda. Oh, Euli, ich staune, was hast du da Leck’res versteckt?
Och, sei still, das soll Überraschung sein, flüstert Euline.
Isolde ist noch nicht da? Ah, es klingelt, da stürmt sie rein.
Hallo, liebe Leute, was mir passiert ist, ihr glaubt’s nicht! sprudelt sie raus. Ich komme vom Walking, war auch durch Büsche gekrochen nach wildem Thymian, Schnittlauch und so, schüttle danach die Klamotten gleich aus dem Fenster, damit nicht die Wohnung voll Gräser. Irgendwas ist dabei runtergeflattert, hab’s nicht verfolgt, weil ich abgelenkt war, zwei Frauen stritten sich lautstark da unten. Ach, dacht ich, guckste nachher. Unter die Dusche, da klingelt’s. Ich in den Bademantel und an die Tür, da steht ein Nachbar und bringt mir – hehehe hee– mein’n Schlüpfer.
Isolde, du bist ja wirklich sehr… hmm... extravagant!
Als ob du Männer anlocken wolltest, nicht wahr!
Seid bloß nicht zimperlich, ihr wart doch alle am Nackt-Badestrand in unsern früheren Zeiten, außer vielleicht Euline.
Sehr oft sind wir mit Dieter nach Prerow gefahren, sagt die beleidigt. Aber Caminele nicht, weil ihr Russki-Mann Ilja...
Ach, regt euch mal ab, es war nur mein Liebestöter.
Aber trotzdem Isolde, du bist unmöglich, nicht wahr!
Und der Mann, der dir deine Buchse gebracht hat, dem war das wohl gar nicht peinlich? fragt Božena höhnisch.
So isses, der ist nicht so pinglig, ist einer von den Normalsten im Haus, ihr ahnt nicht, wie manche jetzt sind seit der Wende. Das müsste man glatt mal aufschreiben, wie sie verblöden, doch wartet mal: Hatte nicht dieser, dein Zeitzeuge, Božena, im vor’gen Jahr in der Bibliothek ein Satirchen gelesen vom Affen-Werden und so?
Ja, solche Hochhaus-Storys hat mein Plotzek verfasst, ja, über Aff-werdung des Menschen, ich kann ihn fragen. ... Tja, die nicht gen Westen Gewanderten, brubbelt Božena – sie stibitzt sich ein Schlagsahne-Kleckschen und sagt provozierend – die sitzen im Mumienland hier und verblöden. Aber die drüben gelandet sind, da rennen auch manche in Sackgassen rein. Fünf Mädchen aus meinen letzten Abi-Jahrgängen leben z.B. in München. Um die vierzig sind sie inzwischen, Angestellte bei Versich’rung, Bank, Immobilien. Als Single glücklich, erzähl’n mir die Eltern, verheiratet mit ihrer Arbeit sind sie, manche verplempert sich als »Geliebte« ihres Chefs aus dem »Oberen Mittelstand«. Kotz!
Ja, bestätigt Caminchen traurig, meine Enkelin in Cuxhafen macht auch so’n Quatsch, leider... …
Als die Freundinnen später am Kaffeetisch sitzen und sich zuerst den gekauften Kuchen reinlöffeln – da erzählt Euline von einem Nachbarn: Weil wir letztens das Thema Männer... hab’ ich auch eine Neuigkeit, äh äh... bei mir schräg gegenüber – dort der Balkon auf meiner Höhe – da lebt jetzt ein, äh... älterer Mann, ein verrückter. Der Balkon ist voll mit Kartons und obwohl er schon vier Wochen dort wohnt, mit dem Auspacken hat er’s nicht eilig. Ich bin fasziniert, wie der humpelt und trotzdem noch viel unterwegs ist, äh... Fährt oft mit dem Fahrrad, einen silbrigen Kasten am Gepäckträger aufgeschnallt, so wie ein tragbarer Computer sah’s aus, … äh... ach so, Laptop heißen die Dinger, ach ja... ’Ne Ewigkeit bis der das festgezurrt hat, und dann steht er minutenlang, wie ein Maikäfer, der pumpt, bevor er abfliegt, schließlich hebt er ein, äh... sein langes Bein rüber, fährt los, langsam, aber – man glaubt’s kaum – hält dabei noch ’ne Zig’rette im Mund und ein altmod’scher Krückstock hängt am Lenker und neulich hat er sogar noch eine, äh... eine schwarze Klappe über dem einen Auge...
Die anderen hören kaum zu, aber Božena sagt mit vollem Mund: Was sagst du? Augenklappe und langer, klappriger Kerl, der noch Fahrrad fährt?! … Hört sich an wie Plotzek, mein Zeitzeugen- Hobby-Kollege, der mit den Plauschi-Geschichten. Nee, aber der kann das nicht sein, wohnt im Spreewald
Isolde, neugierig: Der? Hehe, wenn der’s wäre? … Also was gibt’s nun als Überraschung?
Oh Frankfurter Kranz! Hast du den selber gebastelt, Euline?
Ja, nein... eine Nachbarin, die oftmals, äh... mit mir. …
Aus dem Rucksack Caminchens dudelt ein Handy. Die springt auf, verharrt einen Moment, weil ihr schwindlig ist, dann tritt sie auf Eulis Balkon. Nach 10 Minuten kommt sie zurück und berichtet:
M ein Urenkel-Mädelin Rosenheim. Fast jeden Tag ruft sie mich an, weint manchmal ein bisschen und all ihre Kümmernisse klagt sie ins Telefon... mir... hmm... ins Herz. Aus dem kind-pubertätlichen Gleichgewicht ist sie, weil ihre Eltern... der Vater fand Arbeit in Bonn und nach einer Weile hatte er dort eine andre. Die Mutti kriegte dann eine halbe Stelle in Dresden, holte das Kind von mir weg und seitdem bin ich nur noch tröstendes Ohr. Der Vati fehlt ihr so sehr. Und in der Schule: Dauernd war Zoff mit den Mitschülerinnen; Kleinzicken-Cliquenkrieg: Die trägt ein rosa T-shirt, oder: Ihre Hosen sind zu weit oder zu eng, usw. Aber jetzt, unten in Rosenheim, wo Mutti und Kind nun gelandet sind, kommen noch andre Probleme dazu: Das Mädel ist ziemlich stämmig gebaut, und damit die andern nicht mosern, sie sei dick und verfressen, isst sie die Frühstückstulle heimlich in einer Kabine im Klo. Und man mockiert sich wegen des sächsischen Dialekts – und Freundinnen find’t sie gleich gar nicht, weil sie den katholischen Kirchentamtam nicht mitmacht, denn sie ist ja als Atheistin erzogen. Ihre Mutter, mein Ehrgeizling-Enkelkind, wenn die spät abends heimkommt, manchmal auch nachts, sitzt das Kind vor der Glotze und friert. Hmm... die Klagemauer kann ich nur sein. Zum Überfluss wohnen sie in einer Gegend mit kahl-nackten Straßen, fast ohne Baum, ohne Strauch, und sie liebte so sehr meinen Garten. Jetzt wo alles blüht, kann ich mich gar nicht recht freun, hmm... Auch in Dresden konnt sie noch stromern über die großen Höfe zwischen den sozialistischen Platten, aber jetzt: Wie kann ich helfen?◄
Hach, die leckere Torte! wirft Isolde leise zwischen die ratlosen Seufzer der Großmutter-Runde.
Ich kann oft kaum schlafen, klagt Caminchen weiter. Immer muss ich an meine Nachkommen denken, die in vielfachen Nöten stecken. Gestern rief mich Enkelin Gesa an. Architektur hat sie studiert, fand noch keinen Job, lebt davon, Hunde zu malen nach Fotos, die man ihr übers Internet schickt. Sie war sehr talentiert, weil’s aber Architekten gibt wie Sand am Meer...
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