Er könnte jeden zweiten Samstag, an dem er nachmittags frei hatte als Glücksritter nach Hause kommen und ihr genüsslich erzählen, den Reibach auf der Rennbahn gemacht zu haben. Mit den Gewinnen könnte er Aktien kaufen, an der Börse spekulieren und dicke Dividenden einstreichen und mit dem Gewinn ein Haus kaufen. Birgit verstand weder etwas vom Prerderennen noch von Dreierwetten, geschweige den von Finanzen und Dividenden. Sie würde sicherlich nicht nachforschen, wenn e vorsichtig war und es mit den Taschen voller Geld nicht übertrieb. Seine Lügengeschichten abnehmen könnte er jeweils am darauffolgenden Montag mit Hinweisen auf die Rennergebnisse auf Seite sechs im Argus untermauern. Trotz aller Euphorie über seinen plötzlichen Reichtum wurde für ihn die Beute zur Bürde.
In dem unter Denkmalschutz stehenden Haus der alteingesessenen Familie Goosen, unweit der Post an der Dorp Street von Stellenbosch übten normalerweise an jedem Dienstag Hellen Benedela (Piano), Erika Goosen (Cello), Elske Terblanche (Violine), Senta Snyder (Harfe), Karin Vosloo (Fagott) und Diana Geldenhuys (Violoncello). Die sechs jungen Damen hatten Anfang der 60ger Jahre das mittlerweile bekannte Sextett Kleine Klassieke Kunstenaar gegründet und probten in der hohen Wohnhalle wegen der hervorragenden Akustik und des Nachhalls an jedem Dienstag in unterschiedlicher Besetzung die Masurken, Preluden, Nocturnen und Serenaden, mit denen sie ihr nächstes Konzert gestalten wollten. Das Repertoire ihrer Kammermusik umfasste vom Klavierkonzert bis hin zum Sextett alle Varianten.
An diesem Dienstag probte nur das Trio, bestehend aus Hellen, Erika und Elske für ein Konzert, dass sie am Samstag auf dem Weingut Groot Constantia geben sollten. Je nach Vereinbarung trafen sie sich bei Erika Goosen und spielten unterschiedliche Kompositionen international bekannter Komponisten. Mal solo, mal zu zweit, dann wieder als Trio oder als Quintett. Am häufigsten traten sie als Sextett in den großen Hallen der Weingüter auf.
Die drei jungen Ladys probten an diesem Dienstag zum wiederholten Mal das Trio für Klavier, Violine und Violoncello von Johannes Brahms. Während der Pause besprachen sie noch einmal die Einsätze, die während des Trios in A-Moll für Klavier, Violine und Violoncello von Pjor Iljitsch Tschaikowsky zu bewältigen waren. Stets stellten sie ein Mikrofon und ein Tonbandgerät in nicht zu weiter Entfernung auf, um das Gespielte als Zuhörer kritisch beurteilen zu können.
Erika Goosen war in die Küche gegangen, hatte den Wasserkessel auf die Gasflamme gestellt und streckte die Arme aus, um an die blaue Dose mit frisch gemahlenen Kaffeebohnen zu gelangen, als die Hausglocke läutete. Vor der Tür stand Senta Snyder, die Tochter von Punt Snyder, und bat mit verweinten Augen eintreten zu dürfen. Schluchzend berichtete sie ihren Freundinnen, dass sie am Morgen von zwei als Maler verkleideten Gangstern im hinteren Aufzug der Post mit vorgehaltenen schwarzen Kalaschnikows überfallen wurde.
“Die Maler kannten sich aus, als wären sie schon einmal in dem hinteren Teil der Post gewesen”, sagte sie, wischte die Tränen aus ihrem Gesicht und begann mit steigernder Hysteriesie von ihrem traumatisierenden Abenteuer zu erzählen. “Sie wussten genau, wo der Tresorraum ist, klopften wie vereinbart dreimal lang und dreimal kurz. Als Jan das Losungswort verlangte, flüsterte der ältere von den beiden, der wahscheinlich der Vorarbeiter war, Moskito.”
“Glaubst du, dass er oder beide Gangster ehemalige Postler waren, oder sogar zwei von euren Angestellten?”, fragte Hellen Benedela.
“Ich habe keinen erkannt, weil ich keine Zeit hatte, mir ihnen zu reden. Der Vorarbeiter sprach Cockney-Englisch und der Geselle hörte sich an, als wäre er Deutscher, aber schon lange im Land.”
“Würdest du einen von ihnen an der Größe oder Sprache erkennen?”
“Sie sprachen nur ganz wenig. Einer flüsterte den Code. Niemand von uns kannte das heutige Losungswort, aber der Maler mit der Kalschnikow im Anschlag kannte es und stieß die Tür mit solcher Wucht auf, dass Jan rückwärts taumelte und fast hingefallen wäre. Mich schubste der junge Geselle mit seiner Kalaschnikow mit aller Wucht in den Vorraum, dass ist stolperte und der Länge nach auf den Boden gefallen bin. Ich glaube, alle haben meinen Schlüpfer gesehen.”
“Was passierte dann?”
“Der junge Geselle, also der Deutsche konnte auch Afrikaans und befahl mir, die Randbündel aus den Regalen in einen Postsack zu werfen. Als es ihm nicht schnell genug ging, befahl er dem dickenJakob, einen zweiten Postsack zu füllen. Ich sah nur noch die weißen Gipsgesichter von den Gangstern, die sahen aus, wie Clowns. Ich war auch genz weiß gepudert von der Staubwolke im Aufzug.”
“Wie ging es dann weiter?”, fragte Hellen.
“Dann mussten wir uns neben Jan und den beiden anderen mit dem Gesicht gegen die Wand stellen und hörten, wie der Geselle beide Säcke zum Fenster trug und hinunter warf. Unten in der Gasse muss ein dritter Gangster neben einem Auto gewartet haben, der die Säcke verstaute. Auf jeden Fall sind die beiden abgehauen und haben die Tür von außen abgeschlossen.”
“Sind die Fenster nicht vergittert?”
“Doch, nur die kleine Luke zur Gasse nicht.”
“Das müssen die Gangster gewusst haben.”
“So langsam glaube ich, dass sie zwei von uns waren.”
“Hat keiner etwas bemerkt?”
“Um diese Zeit sitzen die meisten im Sortierraum.”
Den weiteren Verlauf des Raubüberfalls gab Senta Snyder so wider, wie sie ihn wiederholt von den acht Augenzeugen vernommen hatte. Mit tränenerstickter Stimme schilderte sie unter Schluchzen, wie ihr Vater im Sortierraum erschossen und Justus angeschossen wurde.
“Weißt du, wer von beiden geschossen hat?”
“Nein.”
Nach Beantwortung weiterer Fragen, konnte sich Hellen Benedela ein Bild vom Hergang des Überfalls machen und ging ans Telefon. Sie bat ihren Mann, Colonel Bernd Botha, vom Department of Robbery and Drug Affairs in Kapstadt, umgehend nach Stellenbosch zu kommen, um die örtlichen Polizisten bei der Klärung des Raubmords zu unterstützen. Zwei Stunden später saß sie mit ihm und drei Cops von der Polizeistation in der Amtsstube des immer noch unter Schock stehenden Postdirektors. Bei laufendem Tonband befragten sie die Zeugen nach dem genauen Hergang des Raubüberfalls. Die Aussagen deckten sich im Großen und Ganzen mit denen von Senta Snyder und bestätigten, dass professionelle Einbrecher am Werk gewesen sein mussten, die Verbindungen zu einem der oberen Sicherheitsbeauftragten haben mussten. Nur Senta Snyder und beide Pförtner konnte die zwei Mörder vage beschreiben, wobei Hellen und Bernd äußerten, dass sich die drei Ganoven maskiert und verkleidet hatten.
Die vier Streifenbeamten von Somerset West hatten zwar den Pickup neben der Einfahrt und den VW-Variant auf dem Sir-Lowry’s-Pass am Morgen sichergestellt, konnten aber nichts zur Klärung des Überfalls beisteuern. Der Colonel übergab Hellen die Visitenkarte des ihr bereits bekannten Maklers, Robert Eliot, und berichtete, dass der Gentleman einwandfreies Afrikaans und sich auch mit seinem Kunden, dem er am Morgen die Wohnung gezeigt hätte, auf Afrikaans unterhalten hätte. Mister Eliot sei sehr hilfsbereit und äußerst zuvorkommend gewesen und hätte ihnen sogar die Ferienwohnung in dem Neubau gezeigt.
Am späten Abend besuchten Hellen und Bernd Hellens Eltern in der Sonneblom Street. Beide taten sich schwer, den Schock über die Ermordung des ihnen bekannten Punt Snyder zu verwinden. Bernd versprach, die Gangster so bald wie möglich vor den Kadi zu bringen. Erst müssten sie jedoch die Täterprofile erstellen und allen Hinweisen nachgehen. Alle waren sich nach der Diskussion einig, dass die bisherigen Vernehmungen wenig gebracht hatte, weil die Gangster wahrscheinlich Perücken trugen und ihre Gesichter unkenntlich gemacht hatten und wegen der Gipswolke keine genaue Beschreibung möglich war. Ein wichtiger Hinweis war jedoch, dass der Malermeister Afrikaans beherrschte, der Geselle mit deutschem Akzent und Afrikaans sprach und der Vorarbeiter seine wenigen Anweisungen in reinstem Cockney gegeben hatte.
Читать дальше